Moderholz
von Berndt Schulz
192 Seiten © Sutton Verlag, 2012 www.sutton-belletristik.de ISBN 978-3-86680-954-3
Alles in allem ist er mit seinem Garten recht zufrieden, wenn man vom Zustand der marokkanischen Minze einmal absieht. Erst vor einem Jahr gepflanzt, droht sie bereits jetzt in seinem Garten eine raumfüllende Hauptrolle zu übernehmen. Auch das Pflanzen der Linde, die nichts als Arbeit macht, stellt sich im Nachhinein als Fehler heraus. Auf seine beiden Quittenbäume ist er allerdings sehr stolz. Er hatte die Apfel- und die Birnenquitte mit seiner Frau Terttu zur Geburt ihrer Töchter Liv und Karin gepflanzt. Die Bäume halfen Max Horner bei der Lösung zu so manchem Kriminalfall auf ihre ganz spezielle Art. Das eigenartige Wachstum, was sie von allen anderen Bäumen unterscheidet, brachte ihn auf Ideen und Lösungswege, die sich im seltsam verschlungenen Astwerk verbargen.
Hauptkommissar a.D. Max Horner liebt nicht nur seinen Garten in der Gartenkolonie "Am Mühlengarten" auf den Niddawiesen, sondern auch den Bethmannpark, mitten in Frankfurt gelegen, einst um 1783 von der Familie von Bethmann gekauft und umgestaltet. Ihn faszinieren Duft und Magie der alten exotischen Bäume. Insbesondere die großen Bäume im Park haben es ihm angetan. Achtlos gehen die Menschen an ihnen vorbei, die nur sich selbst im Fokus haben ... "doch verblassen dahinter unsere eigenen Lebensgeschichten".
Aber etwas stört den Frieden. Gerd Halland kann es noch nicht richtig fassen. Einer seiner Arbeiter wäre beinahe in den Tod gestürzt. Ihm, der für die Hilfsgärtner des Resozialisierungsprojektes für Strafentlassene verantwortlich ist, würde man garantiert die Schuld geben, und Chefgärtner Kalli Bender, den sie alle den "Pflanzendoktor" nennen, wäre wieder fein heraus.
Und schließlich geschieht es. Jener hässliche Mord inmitten der friedlichen Oase. Was ist los in diesem Park? Max Horner ahnt es, auch wenn sich seine Erwägungen noch jeder Konkretisierung entziehen. Noch ehe er seine Ahnungen sortiert, spürt er jedoch eine "stumme, verbissene Wut, die sich entladen hat". Es muss etwas Fremdes gewesen sein, ein Ereignis, "das dieser schöne Park nicht verdient hat ... Wildwuchs. Verwilderung, Moderholz."
Berndt Schulz geht es in "Moderholz" vordergründig etwas einfacher an als in "Die verzauberten Frauen", seinem Kloster-Eberbach-Krimi, dem fünften Band aus der Reihe um den Ermittler Martin Velsmann. Der "Garten-Krimi" aus Frankfurt am Main, das erste Buch der geplanten Reihe um den Frankfurter Hauptkommissar a.D. Max Horner, gestaltet sich in keinem Fall als epochales Drama, ist aber deshalb nicht weniger beeindruckend. Ganz im Gegenteil, denn mit feinfühliger Naturverbundenheit zaubert der Autor eine sensible Geschichte in gänzlich ungewohntem Rahmen und eröffnet damit nebenbei ebensolche Perspektiven!
Poetische Querverweise und -bezüge verknüpfen die Handlung mit wahrhaft erdverbundenen Impressionen. In bodenständiger Dichte spannt Berndt Schulz Bezugspunkte von einem scheinbar simplen Schrebergarten bis hin zu einer historischen Gartenanlage. Max Horner liebt Gärten. Die Größe spielt in seiner grundsätzlichen Betrachtungsweise keine Rolle. Alle helfen uns gleichermaßen, die Sinnlosigkeit unserer Existenz zu überwinden. Warum wir hier sind, werden wir nicht herausfinden. Brauchen wir auch nicht, denn wir finden reichlich Trost und Ablenkung in der sinnlichen Fülle eines Parks, der "Frieden atmet" oder in einem simplen Gemüsegarten, der uns reichlich Zutaten für unser Mittagessen liefert. Gefühle können sie retten und in einem Garten fühlt man, "wie sehr man mit dem Leben verbunden ist".
Traurig wird es und zauberhaft zugleich, wenn sich Max Horner an seine verstorbene Frau erinnert. Ihm, dem nicht selten ein einziger Tag genügt, "um völlig zu verzweifeln". Dann hilft nur noch der Besuch ihres Grabes auf dem Frankfurter Hauptfriedhof ("Es gab keinen schöneren Platz in Frankfurt, nicht einmal für Lebende ...") und der immerwährende Dialog mit ihr. Er speist immer noch mit ihr, auch wenn er ihre Portionen selbst essen muss, oder er spricht mit ihr unter dem Sternenhimmel über dem Niddatal, einem "Teppich am Hallendach der Welt". Im Park fühlt er sich zu Hause und seiner Frau zutiefst verbunden. Hier lernten sie sich kennen, und hier trafen sie sich zum letzten Mal: "Bist du das da drüben, dieser blinkende Punkt am Nachthimmel, zwischen all den anderen Sternen?"
Jene wunderbaren Textstellen laden zum Verweilen ein. Jenseits dem graugefärbten Alltag den Gedanken Freiheit zu erlauben, der Seele Flügel wachsen zu lassen und vielleicht sogar ein wenig Wehmut zu tanken. Leben pur, in all seinen Schattierungen. Und wenn man nur einem blinkenden Etwas in den Nachthimmel folgt, einem Flugzeug vielleicht. "Ein Alien mit Rücklicht."
Nach "Eiskalte Ekstase", "Bitteres Blut" und "Tod im Eichsfeld" mein absoluter Favorit im neuen Programm des Sutton Verlags. Ein kleiner, großer Krimi. Und Worte, die uns das Staunen wieder lehren! Schön, dass solche Steigerungen immer noch möglich sind. Ein Buch, das weitreichende Folgen hat. Man schlägt es zu, stellt es ins Regal und doch ist es das noch nicht gewesen. Man möchte nicht nur Max Horner auf seinem weiteren Lebensweg begleiten, sondern auch das Rezept seiner wunderbaren Ginnheimer Gemüsesuppe (S. 20-22) einmal ausprobieren, einen eigenen Gemüsegarten anlegen und den wunderbaren Park in Frankfurt besuchen. Einen Wunsch hat sich der Rezensent bereits erfüllt: Den Gemüsegarten. Fehlt nur noch die Suppe und die Reise nach Frankfurt ...
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