Die verzauberten Frauen Ein Kloster-Eberbach-Krimi
von Berndt Schulz
360 Seiten © Sutton Verlag, 2011 www.sutton-belletristik.de ISBN: 978-3-86680-753-2
Martin Velsmann unterhält sich mit dem unbehaglich wirkenden Mann, der das beginnende Gespräch spontan in Richtung Wilhelm Furtwängler lenkt. Doch er ist nicht hier im Rheingauer Winkel, um sich mit Sievers über die Liebe zum Universum und zur Menschheit, oder gar um die Entscheidung, welcher Liebe man den Vorzug geben sollte, zu unterhalten.
Die neue Kollegin Karen Breitenbach regte ihn zum Besuch des Brentanohauses an. Jene schlagfertige Dame, die von der Polizeischule mit dem Privileg einer "dringenden Empfehlung" bedacht wurde und deren Zuteilung für Velsmann zweifellos einen Sprung auf seiner Karriereleiter bedeutete. Jene Dame, die sich während ihrer persönlichen Vorstellung erdreistete, ihrem Vorgesetzten die etwas merkwürdig formulierte Bereitschaft anzukündigen, sich "ab heute in sein Leben zu bohren". Jene Dame, die seine innere Stimme zu einem befreienden "Endlich" anregte, da sie zwar eine junge Frau sei, jedoch ohne die ebenso obligatorische wie piepsige Stimme.
Velsmann, beinahe schon etwas ungehalten, berichtet Sievers von seiner Empfehlung, der sich sofort an Karen erinnern kann, als er einst an der Polizeischule über Gärten und Spurensicherung referierte. Der Ermittler aus Fulda wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen, tut es aber mehr oder weniger doch, denn ihn interessiert dieses "Papier", welches dem Brentanohaus angeboten wurde. Der vermeintliche Gärtner wirkt betroffen, denn als einer der beiden Archivare der Familie Brentano weiß er natürlich Bescheid. Vor zwei Wochen tauchte die Schrift im Bundesarchiv auf. Angeblich würde ein zweiter Text auf dem Dokument erscheinen, der eventuell von Clemens Brentano stammen könnte. Zu weiteren Auskünften ist der Archivar zunächst nicht bereit, zumal es sich nicht um eine offizielle Ermittlung handelt, und einem Inspektor der Fuldaer Kripo, der nicht nur nach, sondern auch vor Feierabend der Literatur frönt, ist er sowieso keinerlei Rede und Antwort schuldig.
Wie der Blitz trifft es ihn aber, als Martin Velsmann plötzlich beginnt, aus der "Cronika" zu zitieren. Denn ausgerechnet dieser Text ist jener von Clemens Brentano, der auf dem besagten Pergament erschienen ist. Doch auch der Hauptkommissar ist völlig überrascht, denn wie hätte er das ahnen können? Er zitierte lediglich aus Kindheitserinnerungen ...!
Der Ausflug ins "feindliche Ermittlungsareal" am dienstfreien Samstag hat Folgen, denn Velsmann will zunächst nicht nach Fulda zurückkehren. Kollegin Breitenbach kann es nicht nachvollziehen und seine Frau gibt ihm grünes Licht für den "Sonnenuntergang in Winkel" sowie eine Übernachtung in Eltville. Bei einem Abendspaziergang am Rhein erinnert er sich an seine Kindheit. Mit seinem Vater und Großvater besuchte er damals das Kloster Eberbach. An den Klosterverwalter Rosenthal erinnert er sich genauso gut wie an die Geschichten, die er erzählte.
Es war von einem grauenhaften Mord auf der Loreley die Rede. Und da war ein rätselhafter Fund in einem Grab, das im Kloster Eberbach an einer Stelle gefunden wurde, wo eigentlich keine Grabstätte hätte sein dürften. Viel hat er damals nicht mitbekommen, da man ihn bei dem Treffen hinausschickte. Die Grabstätte hatte er damals aber gesehen. Am Sonntag fährt Velsmann ins Kloster. Rosenthal lebt noch und erinnert sich noch sehr gut an ihn. Von dem seltsamen Grab ist aber jede Spur verschwunden ...!
Zur Vorgeschichte: Im Januar 1633 besuchte der schwedische Reichskanzler Axel Oxenstierna Kloster Eberbach. Reich beschenkt von Gustav Adolf, seinem König, durfte er es als sein Eigentum betrachten. Doch es steckte insofern mehr dahinter, als Oxenstierna und sein Berater beauftragt waren, das letzte erhaltene von sieben Pergamenten zu finden, welches eine ganz und gar unerfreuliche Prophezeihung enthielt. Das Teufelszeug zu vernichten, lautete der Auftrag ...
Nach der vergleichsweise unkomplizierten (aber nicht minder spannenden) Lektüre von "Schwarze Dame Tod" und "Abgehakt", durfte ich einen "Krimi" im üblichen Sinne, was auch die Kurzbeschreibung vom Verlag bereits vorwegnahm, nicht erwarten, dennoch traf mich die Wucht dieses historischen Thrillers gänzlich unerwartet! Über Generationen zeichnet Berndt Schulz hier ein epochales Drama, welches seinen Mittelpunkt in einer bedrohlichen Prophezeihung findet (und, zumindest bis Überschreitung des entsprechenden Datums, auch im kommenden Jahr noch für wohliges Unbehagen sorgen könnte). Die verschachtelte Erzählstruktur verliert zu keiner Zeit den Überblick und gönnt sich zudem den heute kaum mehr üblichen Luxus einer ausgefeilten Charakterzeichnung der handelnden Hauptpersonen! Hinzu kommt eine deftige Portion Humor, der aber niemals auch nur eine Spur zu flach eingebracht wird. Insbesondere die Dialoge zwischen Karen Breitenbach und ihrem Vorgesetzten Martin Velsmann suchen ihresgleichen, denn hier treffen zwei Seelenverwandte unmittelbar und ohne Vorwarnung aufeinander. Wahrhaft poetisch sind die liebevoll erzählten Rheingauer Landschaftsimpressionen - selbst ein kurz erwähnter Sonnenuntergang lädt zum Verweilen und Innehalten ein. Da der Rezensent die Gegend gut kennt, reicht es sogar für die eine oder andere Gänsehaut! Am Rhein ist sowieso alles anders. Die Sonne versinkt dort "funkensprühend im Strom" - kein Wunder, denn generell ist das "Licht über dem Rheintal" weitaus mehr als einzigartig ...
Das intellektuelle Verwirrspiel in und um Kloster Eberbach, eingebunden in historische und aktuelle Bezüge im Zusammenhang mit der Loreley-Sage sowie einer ebenso uralten wie apokalyptischen Prophezeihung, ist nach "DrachenHatz" und "Der Verlobte" das dritte Buch der Sutton-Krimi-Reihe, das sich bereits jetzt einen sicheren Platz in der Auswahl meiner Lieblingsbücher für das Jahr 2011 gesichert hat.
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