CD-Review

MIRROR OF DECEPTION  "Shards" (2006)

Doom-Metal


Erbarmen, die Schwaben kommen! Diese Platte zündet ohne die geringste Verzögerung. MIRROR OF DECEPTION starten auf dem dritten Longplayer unvermittelt, mit 100% Dampf im Kessel, durch und halten das Niveau ohne die geringsten Abstriche bis zum Schluss durch.

Nach dem genialen Debutalbum schenkte ich den Doom-Propheten zunächst keine Beachtung mehr (ein Fehler), da ich mir eine zweite Platte mit dem alten Sänger nicht mehr antun wollte. Seltsam dabei ist nur, dass ich offenbar der einzige war, der (nur) an der Ständerbesetzung was zu meckern hatte. Trotzdem, ich könnt' mich heute noch aufregen. Listen impossible!

Na ja, längst hat den 2002 frei gewordenen Posten am Mikro Gründungsmitglied Michael Siffermann übernommen. BINGO! Ihn halte ich nunmehr für D-I-E Idealbesetzung, und die kongeniale "Zweitstimme" von Jochen Müller erst recht! Der Laden läuft jetzt absolut rund. Eine zweischneidige Beurteilung wie ich sie für "Mirrorsoil" abgeliefert habe, kommt somit nicht mehr in die Tüte, und eine gesplittete Bewertung ebenfalls nicht.

Michael intoniert zwar nicht unbedingt als fröhlicher Muntermacher, aber dies wäre auch nicht der Sinn dieser Sache. Die eigentümliche Melancholie seiner Stimme passt 100% zum Stuttgarter Doom-Vorleger. Auch inhaltlich hat Frohsinn hier selbstredend keinerlei Chance. "Doom is lurking underneath, the death of all things a fact"! Stimmt. Mist. Ja, Scheiße nochmal! Was bleibt, sind "Shards"...!

Wenn man sich allerdings das eine oder sogar andere Interview mit der quirligen Truppe unter die Haube gibt, dann kommt man zu der überraschenden Erkenntnis:

Doom ist, wenn man trotzdem lacht!!!

"Foregone" (2004) hab ich glatt verpennt, aber dafür reißt mich "Shards" (die übrigens nix mit der gleichnamigen Platte von DEEP RISING zu tun hat) umsomehr aus den Schlappen. Boff! Gleich der Opener "Haunted" krallt sich ebenso energisch wie überzeugend in sämtliche noch vorhandenen Hörnerven. Das Stück beruft sich auch noch auf literarische Schmankerl, und wer H.P. Lovecraft (1890-1937) noch nicht kennt, sollte dies gelegentlich nachholen. Die nächste (freie) "Literaturumsetzung" kommt in "Ghost" zu Ehren. Jack Londons (1876-1916) "Der Seewolf" dürfte schon eher bekannt sein.

Track fünf ist so ein Stück, das mich, mit seinen begnadeten Dinosaurier-Breaks gleich zu Beginn, schlicht in die Knie zwingt. "Trapped in the universe of bitter reality, I am narrowed by laughing mirrors". Boooaah, wasn Abschlepphaken! "Insomnia" ist einer von jenen Songs, die erstens zielgenau ins Fell trommeln und zweitens nie mehr hinaus wollen. Kündigt eurem Therapeuten, Leutz - SO machen Depressionen Spaß!
Thematisch geht es weiter mit Verrat, Selbstverachtung ("Pyre"), Dummheit, Ignoranz ("Frozen Fortune") und gnadenloser Gesellschaftskritik ("The Capital New").

Musikalisch hat sich wenig getan und andererseits auf wundersame Weise doch recht viel. Viel Platz für Variationen und Innovation bieten die eng anmutenden vier Wände der Doom-Sektion ja nicht unbedingt. Dennoch gelingt den umtriebigen Schwaben um DOOM SHALL RISE-Veranstalter und Gitarrero Jochen Fopp ein Kunststück, welches es uns verdammten Schreiberlingen nicht unbedingt einfach macht. Einerseits hört sich das Gerät recht "traditionell" an, andererseits tritt sich die eingefahrene Schiene selbst in den Arsch und katapultiert sich permanent in die Gegenwart und darüber hinaus.
MIRROR OF DECEPTION erfinden den Doom nicht neu, aber sie wissen, wie man die ausgetretene Mucke mit knackigen Zutaten bereichert! Ein frischer Wind weht übers Ländle und er bringt Abwechslung mit. Eingängigkeit mit brachialen Breaks gepaart (angeführt von "Swamped"!) funktioniert immer! Und in der eigenen Nische, die sich MIRROR OF DECEPTION spätestens mit "Mirrorsoil" mühsam aus dem Fels geschlagen haben, sowieso.

Die bodenständige Produktion tut ein Übriges. Hier darf ein Schlagzeug noch wie ein solches klingen, der Bass ungeheuer fett und die Gitrarren dreckig und schwer. Und wenn das einigen Herrschaften schon fast zu "echt" klingt, muss man sich fragen, ob wir alle schon zu sehr den überproduzierten Plastiksound aus der Konserve gewohnt sind!?

Der Beipackzettel berichtet von "dezenten Folkeinflüssen". Diesen Hinweis halte ich für eine wirklich originelle Idee, denn sie ist nichts als ein raffiniertes Suchspiel. Ach was, das ist Nötigung, und zwar zum permanenten Wiederhören! Hmmm... in "The Dead Pledge" könnte so ein Fragment versteckt sein, und in Track sieben auch ... der übrigens das Tempo sachte steigert. Mitreißend grandios! Ach ja, in dem agressiven "The Capital New" scheint mir eine klitzekleine Maiden-Hommage eingebaut zu sein. Oscarreife Nebenrolle. Weitere Nominierungen für beste Nebenrollen belegen natürlich die zahlreichen Sabbath-Verweise.

Mit "Enigma", einer bedrückenden Instrumentalmatte, endet die Scheibe. Tja, und was fehlt uns sofort? Richtig, der "Siffi"! Spätestens jetzt wird klar, dass der Mann sozusagen das Amen in der Kirche bedeutet. Da dieses also fehlt, kommt mir der letzte Track wie eine Art Sprungbrett und/oder wie die Ruhe vor dem (nächsten) Sturm vor. Man kehrt etwas in sich, tonnenschwere Ruhe sinkt hernieder, doch diese Rast wird nicht von Dauer sein. Hinter dem Horizont geht's weiter ...

Fazit: Lyrischer Schwabenblei. Zum mächtigen Getön und zur Pracht! Doom shall rise!!!

 

Bewertung 12/12

Thomas Lawall - Oktober 2006

 

 

Tracklist:  

01. Haunted
02. Ghost
03. Swamped
04. The Eruption
05. Insomnia
06. The Dead Pledge
07. The Capital New
08. Pyre
09. Frozen Fortune
10. Enigma

Line-up:

Michael Sifferman: Vocals & rhythm guitars
Jochen Fopp: Rhythm & lead guitars
Andreas Taller: Bass
Jochen Müller: Drums & vocals



www.mirrorofdeception.de

 

 

 

 

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