Literatur

Splitter
Eine Nachkriegsgeschichte


von Detlef Guhl


170 Seiten
© 2014 Detlef Guhl
epubli GmbH
www.epubli.de
ISBN 978-3-7375-1007-3



Schauplatz: Ein kleiner Vorort von Essen. Einen kleinen Bahnhof gab es auch und jenes Abstellgleis. Ein von Maschinengewehrsalven durchsiebter Triebwagen legte ein stummes Zeugnis ab. 1950 ist der Autor gerade knappe vier Jahre alt. Von dem erst vor wenigen Jahren beendeten Drama konnte sich Detlef Guhl nur ein abstraktes Bild entwerfen. Von der Sache mit den Haaren auf einer weiblichen Brust ebenfalls ...

Er berichtet von Zeiten, in denen Widerworte von "ungezogenen" Kindern verpönt waren. Je nachdem, wie drastisch die zu erwartenden Konsequenzen ausfielen, überlegte man es sich dreimal, dem Erziehungspersonal zu widersprechen. Allein die Aussicht, in einem dunklen Kellergewölbe eingesperrt zu werden, verfehlte seine Wirkung nicht.

Detlef Guhl erzählt von seiner Kindheit nach dem Krieg. Dreizehn Monate nach Kriegsende wurde er Mitte 1946 geboren. Sein 23jähriger Vater, Unteroffizier der deutschen Wehrmacht, heiratete im November 1944 seine zukünftige Mutter, Büroangestellte bei Krupp und gerade mal 21 Jahre alt. Der Standesbeamte musste seine Rede etwas beschleunigen, denn die Zeremonie wurde durch einen Fliegeralarm gestört.

Die Heirat mit den entsprechenden Ja-Worten und Unterschriften besiegelt, ging es im Laufschritt und mit Blumen bewaffnet in den nächsten Luftschutzkeller. Bomber der britischen Luftwaffe verbreiteten wieder Chaos, da sich die alliierten Verbände das Ruhrgebiet als ein beliebtes "Ausflugsziel" auserkoren hatten. Während es im Luftschutzkeller Glückwünsche hagelte, hagelte es in Richtung Stadtmitte Bomben.

"Splitter" ist nicht nur eine Nachkriegsgeschichte, sondern eine Reise in die ganz persönliche Familiengeschichte des Autors. So stellt er gleich fast die gesamte Familie seiner Mutter und seines Vaters bis jeweils zu den Großeltern und deren Eltern vor, soweit es seine Erinnerungen zulassen.

Auch alle Ereignisse rund um den 2. Weltkrieg wurden von den Eltern, auch bis ins hohe Alter, immer wieder thematisiert. Dem Autor sind nicht zuletzt deshalb sehr genaue Schilderungen im Zusammenhang mit dem "1000jährigen Reich" möglich. Sehr eindringlich sind deshalb seine Erzählungen, auch den Werdegang seines Vaters und seiner Mutter während der Jahre im Krieg betreffend.

Seine eigene Kindheit beschreibt er sachlich und ebenfalls sehr persönlich, aber auch mit dem ihm ureigenen Augenzwinkern, einer breiteren Öffentlichkeit bereits bestens bekannt durch seine beiden Gedichtbände "... neben der Venus" und "... dem Herzen so nah".

Es sind immer wieder diese kleinen Anekdoten, die das graue Einerlei der Nachkriegsjahre, die Jahre großer Entbehrungen und Hungersnöte, auflockern und durchbrechen, denn es gab ja neben dem ganzen Elend auch noch einen Jungen, der in seiner eigenen Welt lebte und das Leben in weiten Zügen auch erst einmal selbst entdecken musste.

Das kann sehr ernst sein, insbesondere wenn es nichts zum Essen, nichts zum Anziehen oder nicht einmal Heizmaterial für die eiskalte Dachwohnung gab. Es kann aber auch sehr aufregend oder gar lustig sein, denn die kindliche Sicht ist mitunter noch sehr unverbraucht und somit auf das eine oder andere Wunder nicht im geringsten vorbereitet.

Was kann man zum Beispiel alles entdecken, wenn man zwischen sich unterhaltenden erwachsenen Frauen auf dem Boden herumkriecht und dabei (selbstverständlich versehentlich) einen Blick unter den Rock von Tante "EsCeHa-Punkt" wirft. Man entdeckt "Ungeheuerliches", nämlich "ein atemberaubendes Mysterium aus halblangem Schlüpfer und Strümpfen ..."!

Einen satirischen Sprung in die Gegenwart wagt der Autor, indem er an eine Szene in der zitierten Dachwohnung erinnert. Wenn die Dachluken vereisten und man das Glück hatte, genügend Brennmaterial (mitunter gestohlen) zu haben, wurde kräftig eingeheizt, was nicht selten das Ofenrohr zum Glühen brachte. Mit nassen Tüchern wurde es wieder heruntergekühlt, was die Wohnstatt in eine Sauna verwandelte. Heute würde man das als "Wellness" bezeichnen und Eintritt dafür bezahlen.

"Splitter - Eine Nachkriegsgeschichte" bietet die Möglichkeit eines Einblicks in die ganz persönliche Lebensgeschichte des Autoren. Den Krieg hatte er nicht miterlebt, dennoch war er "allgegenwärtig". Die "Trümmerwüsten" legten ein unübersehbares Zeugnis ab. Ohne allzuviel Wehmut und ohne Klagen wagt er den Blick zurück und beschreibt, unterteilt in 22 "Splitter", sein Leben in jenen Tagen.

Wer wissen möchte, wie es nach der "glorreichen Zeit der kurzen tausend Jahre" wirklich gewesen ist, wie die Menschen gelebt haben und wie sie Hunger und den Wiederaufbau durchgestanden und erlebt haben, wird in diesem Buch Antworten finden. Kinder und Enkel der Nachkriegsgeneration entwickeln oftmals nur ein diffuses (oder gar kein) Bild jener Zeit. Die Aufgabe von "Splitter" ist es, dies zu ändern. Die Geschichtsbücher kann es insofern ergänzen, als es den Fokus auf Einzelschicksale lenkt.

 

Thomas Lawall - Dezember 2014

 

 

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