Literatur

SEEGRUND - Kluftingers neuer Fall

von Volker Klüpfel / Michael Kobr

kommissar-kluftinger.de

344 Seiten
9. Auflage 2006
© Piper Verlag GmbH, München 2006
www.piper.de
ISBN-13: 978-3-492-04954-2
ISBN-10: 3-492-04954-0


Die Ideen für diesen Roman musste man im Prinzip nicht lange suchen, denn sie lagen sozusagen vor der Haustür! Gewisse Dokumente, die bisher nicht veröffentlicht wurden, lieferten eine Vorlage, die spannender nicht sein kann. Der in diesem Zusammenhang genannte Alatsee ist ebenso kein unbeschriebenes Blatt, weshalb praktisch eines zum anderen kam ...

Wer sich in Kempten und um Kempten herum ein wenig auskennt, der wird diese Gegend jetzt endgültig mit anderen Augen sehen. Wer einmal am Schloss Neuschwanstein in der lärmenden und wild um sich blitzenden Touristenschlange stand, wird um einige "Erinnerungen" bereichert, die er so eigentlich gar nicht erlebt hat. Wer durch Füssen bummelt, wird ebenfalls feststellen, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Es braucht sich z.B. bloß jemand einen Zigarillo anzustecken, und schon setzt sich die Assoziationsmaschinerie in Bewegung ...

Die einzigartige Landschaft, die in Richtung Schloss und Tegelbergbahn immer atemberaubender wird, ist natürlich unverändert, und doch erfuhr sie eine Bereicherung. Volker Klüpfel und Michael Kobr ist es mit dem völlig unerwarteten Erfolg von MILCHGELD gelungen, eine Kunstfigur zu entwickeln, die nicht nur glaubhaft ist, sondern sich nahtlos in das Bilderbuch Deutschlands integriert. Der ERNTEDANK, in Gestalt einer gigantischen Auflage, ließ nicht lange auf sich warten, und der gleichnamige zweite Roman ebenfalls nicht.

Mit dem aktuellen Roman "SEEGRUND" knüpfen die Autoren nicht nur an die vorangegangenen Erfolge an, sondern können noch (mindestens) einen Gang zulegen. Die nervenaufreibende Handlung bietet einmal mehr den Rahmen für den Hauptakteur dieser Reihe. Gab es eigentlich ein Leben VOR Kluftiger? Klar ... aber es war nicht so lustig! Das tolpatschige Superhirn ist wieder für den einen oder anderen Brüller gut und offenbart immer weitere Nuancen seiner mitunter katastrophalen Ein- und Ansichten. Los geht's in Füssen am Schloss. Bekanntlich wohnte hier ja der größte Richard-Wagner-Fan aller Zeiten, aber die Massen kommen eher wegen eines Königs, der nicht regieren wollte, aber wirklich hübsche Bauwerke errichten ließ. Genau wie in "Disneyland" ... !

"Komm Erika, wir gehen!" Kluftinger ist verstimmt. Kein Wunder, denn die menschliche Digitalkamera-Wanderausstellung wälzt sich ohne Erbarmen durch die bayrische Geschichte, als wäre sie eine begehbare Postkarte. Mit offenen Augen und schussbereiten digitalen Gerätschaften aller Art schiebt sich die Karawane durch einen wahr gewordenen Traum und sieht doch wenig oder gar nichts ... ! Kluftinger und seine Frau Erika sind mit ihrem Sohn Markus verabredet, der ihnen bei dieser Gelegenheit seine neue Freundin vorstellen will. Der Kommissar schimpft auf die "Busladungen voller grinsender und knipsender Japaner", und prompt bahnt sich die erste Katastrophe an. Markus' Freundin heißt Yumiko und ist Japanerin ... !

Situationen wie diese betten die "Haupthandlung" ein, ja scheinen sie fast zu verdrängen. Unbefriedigt bleibt der "echte" Krimi-Fan, der einen Mord nach dem anderen, natürlich so blutig wie möglich, erwartet. Deshalb lese ich wohl auch in zahlreichen "Rezensionen" von einem "toten Taucher", der in einer riesigen "Blutlache" liegt. Alle scheinen sich darauf zu fixieren ... aber ... lesen die Leute eigentlich nicht weiter??? Der Taucher ist nämlich weder tot, noch ist die rote Flüssigkeit Blut. Der Name des vermeintlichen Opfers, ein Mitglied der Forschertruppe um Prof. Guthknecht, stimmt übrigens genauso wenig ...

Wer sich hingegen an einer ebenso aufwendigen wie genauen Recherche erfreuen kann, die sowohl den intuitiven Spürsinn des Herrn Kluftinger, als auch die Arbeit das Autoren-Duos betrifft, liegt mit dem dritten Band der Kluftinger Trilogie (die bald keine mehr sein wird) genau richtig.

Zurück zu den Katastrophen. Der vermeintliche Mord fällt leider in den Zuständigkeitsbereich der Füssener Polizei, die zwar der Kemptener Direktion untersteht, aber nunmal ein Wörtchen mitzureden hat. Kollege Marx darf also an der Seite von "Klufti" kräftig mitermitteln. Er hat auch durchaus das Zeug dazu, doch der rustikale Kettenraucher hat einen gravierenden Fehler. Friedrun "Friedel" ist nämlich eine Frau und Kluftinger selbstverständlich entsetzt! Nur so viel sei verraten ... das Schlachtschiff erhält von mir eine Oscar-Nominierung für die beste weibliche Nebenrolle!
 
Großes Theater wird (wieder) an den unterschiedlichsten Schauplätzen gegeben. Die Gaststätte am Ostufer des Alatsees bietet eine kulinarische Absurdität: Ungarische Kässpatzen! Der "lukullische Zwitter" beschert unserem lieben Herrn Kommissar ein bis zwei Probleme mehr und uns die nächsten Lacher ... die aber nicht lange auf Ablösung warten müssen. Herrlich auch die telefonische Tischreservierung im (Sushi-) "Restaurant Han Po". "Hapanise Ressaura, ja bidtä?" Doch nachdem die Klippen der haarsträubenden Sprachbarrieren elegant umschippert sind (bis auf die Frage: "Wolle sizze Bann?"), kommt es noch schlimmer. Der eigentliche Besuch der Restauration gestaltet sich, wie soll es auch anders ein, als außerordentlich "schwierig", denn die Sache mit dem "Fließband" will unserem Helden nicht so recht in den Kopf und die ihm erst viel zu spät angetragene Wahrheit, was er denn da gegessen hat, schon gar nicht ...! Immerhin kennt sich Kluftinger mit japanischen Teesorten aus, und kann diese geschmacklich ganz unzweideutig zuordnen. Jasmintee schmeckt nach "aufgegossenem Pfeifentabak"!

Ernüchterung gibt's auch beim Einkauf von Weihnachtsgeschenken. Denn was ist, bitte schön, der Unterschied zwischen "Tanga, Rio und Hipslip"!? Gnadenlos gestaltet sich auch ein Event der besonderen Art. Erzfeind Dr. Langhammer nötigt Kluftinger zu einer "Leibesvisitation" der besonderen Art ... und DAS kann nun wirklich nicht gut gehen! Da hilft nur der Wink mit dem "ZAUNPFAHL"! (1a Brüller!!!)

Zurück zur Haupthandlung. Der See hat ein Geheimnis. So viel steht fest. Die Mystery-Welle parodierend, geht es auch um ein geheimnisvolles Zeichen, das der schwer verletzte Taucher im Schnee hinterlassen hat (und von einem Sanitäter beinahe vernichtet wird). Überhaupt ranken sich um den Alatsee allerlei sagenumwobene Geschichten. Im See selbst gibt es Vorkommen von seltenen Purpurbakterien. Die Äste von Bäumen am Ufer gehorchen den Gesetzen der Schwerkraft nicht. Der "Schlüsselmönch von Faulenbach" spukt in dieser Gegend. Im See und in unterirdischen Labyrinthen hausen grausame Gestalten. Im und am See häuften sich einst seltsame Todesfälle. Und dann gibt es noch die Sage von den drei Schwestern, denen ...

So, und jetzt reicht's. Selber lesen macht schlau! Hmja ... am Ende klärt sich einiges auf, wenn auch nicht alles. Kann die Mauer des Schweigens letztendlich gebrochen werden? Birgt der See vielleicht ein noch größeres Rätsel?

Das Rätsel um Kluftingers Vornamen vielleicht?

Der "Columbo von Altusried" übertrifft sich diesmal selbst und die beiden Autoren sowieso. Das dritte Werk ist eindeutig das beste. Die Sache hat allerdings einen Haken, denn wie will man im vierten Band noch eine Steigerung erreichen? Auch das bleibt unklar. Bis ins Frühjahr 2008 jedenfalls ...

Fazit: Mastermind mit liebenswerten "Schönheitsfehlern". Geschichtsträchtiger Allgäu-Slapstick in raffinierter Krimiverkleidung.

 

Kommissar Kluftinger

 

Thomas Lawall - Februar 2007

 

 

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