Mein schlimmster schönster Sommer
von Stefanie Gregg
302 Seiten © Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2017 www.aufbau-verlag.de ISBN 978-3-7466-3321-3
Das wird keine leichte Rezi. Zu viele Notizen. Selten musste der Rezensent eine Lektüre dermaßen oft unterbrechen. Permanent schrieb er etwas auf und sei es nur eine Seitenzahl, die er bestimmten Begriffen wie beispielsweise "Dialoge", "Charaktere" oder "Ausdruck", oder der unvermeidlichen Abteilung "noch einfügen" zuordnete.
Nein, die andauernden Unterbrechungen störten nicht. Im Gegenteil, denn dieser Buchtext kann nicht einfach so weggelesen werden. Auch wenn man ständig wissen möchte, wie es mit diesem Lebensabenteuer weitergeht. Die Zwangspausen gaben Gelegenheit zum dringenden Verweilen, denn diese Bilderflut braucht Zeit und Raum.
Ja, Bilder! Endlich mal wieder nicht so ein statisches Geschreibsel. Stefanie Gregg geht andere Wege. Sie schreibt in Bildern. Diese entstehen bereits auf der ersten Seite. Genauer gesagt im ersten Wort. So schlicht formuliert sie das, was eigentlich eine Tragödie ist!
Ein ungewöhnlicher Einstieg, der sofort und unmittelbar fesselt, trotz der betont lockeren Ausdrucksweise. Diese begründet, fast beiläufig, den Beginn der Charakterisierung der Hauptdarstellerin, wobei schon wieder neue und andere Bilder entstehen.
Ganz schön viel für eine erste Seite. Man ahnt nichts Gutes, was sich so nach und nach bestätigt. Isabel befindet sich in einer Ausnahmesituation. Sie ist krank. Etwas ist in ihr, für das sie sich auf eine Suche begibt. Vordergründig sucht sie nach Worten, das "Ding" zu beschreiben, ihm einen Namen zu geben. Mit den Eigenschaften beginnt sie ...
Später sucht sie nach Begründungen für das, was ihr widerfahren ist. Sucht mit der imaginären Lupe ihr Leben ab. Nach Spuren, die ein Grund sein könnten. Warum, wieso und ausgerechnet sie? Hat sie ihr Leben falsch gelebt?
Diese Suche ist ebenso aufregend wie schonungslos. Die erfolgreiche Unternehmensberaterin analysiert ihre bisherigen Verhaltensmuster klar, aber ohne jeden Ansatz, daran verzweifeln zu wollen. Gründe genug gäbe es, denn auch ihre Lebensgemeinschaft mit Georg, eine durchaus zweckgebundene "Business-Partnerschaft", muss sie auf den Prüfstand schicken. Und nicht nur sie, denn auch Georg kommt zu Wort ...
Isabel hätte allen Grund, durchzudrehen. Macht sie aber nicht. Statt dessen streicht sie sofort und unmittelbar jede Lebensplanung. Indem sie eine Taxifahrt unterbricht und aussteigt, steigt sie auch aus ihrem bisherigen Leben aus ...
Wer Stefanie Gregg bereits von ihren Veröffentlichungen "Tod beim Martinszug" und "Und der Duft nach Weiß" kennt ... weiß trotzdem nicht, was ihn erwartet. Denn die Autorin überrascht mit anderem Stil und völlig anderer Thematik. Erst ein Krimi, dann ein Flüchtlingsdrama und jetzt der Blick auf ein ganz aktuelles Leben, dessen Wandlung und Umkehr.
Wenn die großen Momente im letzten Roman bereits aufblitzten, sind sie jetzt in Spielfilmlänge vorhanden. Den eigentlichen Einstieg in die Geschichte gestaltet die Autorin wie einen einleitenden Kameraschwenk. Die Kamera fährt aus einer unverbindlichen Stadtübersicht in eine Straße hinab und erfasst einen konkreten Punkt - jenes Taxi. Isabel, gerade aus dem Krankenhaus entlassen, sieht am Straßenrand einen alten VW-Bus stehen, und fortan ist nichts mehr wie es war ...
Die Notizen sind noch lange nicht abgearbeitet. Für so vieles bleibt wieder keine Zeit. Vielleicht noch für die Erwähnung selbstgebastelter Adjektive wie "häuserwändesprengend" oder violettwogend", eindrucksvolle Nebenrollen wie die des kleinen Mädchens am Abtsee, oder die wunderbare Metapher für die Begegnung mit einer Libelle. Eine Sekunde nur, und doch zu kostbar, um einfach weiterzulesen.
Die Autorin richtet Blicke und Fragezeichen nach innen. Sie stellt Fragen an das Leben und auf wunderbare Weise gibt das Leben Antworten. Es stellt sogar eine Auswahl zur freien Verfügung. Doch allen Widrigkeiten und dem Ernst der Lage zum Trotz, geht es Stefanie Gregg mit einer herzerfrischenden Leichtigkeit an. Manchmal kann eine tiefgründige Erkenntnis auch federleicht formuliert werden. Beispielsweise jene, dass man einen Rastaman nicht siezen kann.
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