Literatur

Devil's River

von Thomas Thiemeyer


512 Seiten
© 2015 Knaur Verlag
www.knaur.de
ISBN 978-3-426-51715-4



Nicht nur die Gestaltung des Eingangsbereichs des alten Hauses kommt ihr bekannt vor, sondern auch der Geruch nach Räucherstäbchen und Curry. Wie seit eh und je riecht es wie in einem indischen Tempel. Auf den ersten Blick scheint sich nichts verändert zu haben. Eves Erinnerungen leben auf. Fast ist es so, als ob ihre Großmutter noch leben würde, als würde sie neben ihr stehen. Doch Eve muss akzeptieren, dass "Lizzy" nicht mehr lebt, auch wenn sie immer noch ihre starke Präsenz zu spüren glaubt.

Nach dem Tod ihrer Großmutter ist Eve jetzt im Besitz zweier Schlüssel. Einer ist für Lizzys Haus und für den anderen liegen selbst dem Notar, den ihre Oma einst mit der Aufteilung ihres Nachlasses beauftragt hatte, keine Informationen vor. In ihrem letzten Willen verfasste sie für Eve lediglich einige vage Andeutungen, die sich auf Fragen der unklaren Familienverhältnisse beziehen. So wie es aussieht, gibt es interessante Dinge, was Eves Herkunft betrifft, herauszufinden.

Gemeinsam mit ihrer Freundin Rita macht sie sich in dem alten Gemäuer auf die Suche, wobei sie zunächst nicht wissen, wonach. Irgendwo muss es eine Tür, einen Schrank oder eine Schublade geben, wo der Schlüssel passt. Sie durchforsten das Haus systematisch, wobei Rita, die jenes Haus noch nie betreten hatte, aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommt: "Die ganze Welt in einer Nussschale."

Schließlich finden sie, nach was sie suchten und sie finden noch viel mehr. Von nun an ist nichts mehr wie es war. Nie hatte sie etwas über ihre Ursprünge erfahren dürfen, weder von ihrer Großmutter noch von ihrer Mutter, zu der Eve kein besonders gutes Verhältnis pflegt. Lizzy war der festen Überzeugung, "dass das Bewusstsein der Menschen auf ihre Gebäude übergeht". Zudem hielt sie ihre Enkelin für eine "Geistesverwandte, eine Ojichaagwan", wie sie in ihrem Testament schrieb. Die Bedeutung dieser Worte wird Eve nun nach und nach erfahren müssen, denn mit dem Fund weiterer Dokumente, Aufzeichnungen und Gegenstände fängt das große Abenteuer erst an ...

Ein Schlüssel, ein geheimnisvoller Fundort, eine schrullige Person oder ein Buch in einem Buch sind Grundbausteine für einen Roman, die seit eh und je und immer noch funktionieren, ob sie nun unendliche Geschichten beinhalten oder ein Abenteuer in Kanada, Ende des 19. Jahrhunderts. "Devil's River" ist ein Abenteuerroman, keineswegs nur ein Thriller, denn zu jenem, in diesem Fall nicht klar definierbaren, Genre gesellen sich noch westernlastige Elemente, eine handfeste Portion Fantasy und Schwergewichtiges aus dem Bereich Familiendrama.

Thomas Thiemeyer gestaltet seinen aktuellen Roman im vielschichtigen Wechsel zwischen Gegenwart und den Ereignissen um 1878. Die Studentin Eve taucht auf dem Dachboden des geerbten Hauses immer mehr in die Lebensgeheimnisse ihrer Großmutter Lizzy ein, sodass sich allein aus dem Wechsel dieser beiden Perspektiven ein immer größerer Spannungsbogen entwickelt. Diesen kann der Autor noch verstärken, indem er die Handlung in der Vergangenheit ebenfalls auf mehreren Ebenen gestaltet. Hieraus ergibt sich eine Brisanz, die man durchaus als atemlos bezeichnen kann.

Auch die sehr unterschiedlichen Charaktere tragen dazu bei, den Effekt des Genremixes zu verstärken, da der Autor sie ähnlich unterschiedlich zu zeichnen versteht. Diametral gegenüber stehen sich beispielsweise die Figuren der Studentin Eve, ihrer Freundin Rita Cole, dem brutalen Mörder Nathan Blake, Deputy Scott Preston, Sheriff Tanner, dem Fährtensucher Robin Godfellow oder den beiden Wilderern Pete Hawking und seinem trotteligen Begleiter Sam Winston. Neben den uneingeschränkten Hauptakteuren Eve und Nathan, deren Wege sich auf dramatische Wiese kreuzen, ist die Riege der Nebendarsteller durchaus mit weiteren oscarreifen Rollen besetzt.

Das große Finale zu beschreiben verbietet sich aus nachvollziehbaren Gründen. Verraten darf ich aber insofern eines, als es mich ungleich besser überzeugen konnte als im Vorgänger "Valhalla". Dem Muster der Haupthandlung folgend, verlässt der Autor die Geschichte mehrgleisig. Nach der großen Oper des mystischen Endes klingen die Dinge fast behutsam und in philosophischen Dimensionen aus, was aber nicht heißt, dass es keine Überraschungen mehr gibt. Ein solcher Schluss kann faszinieren, weil er ja eigentlich gar keiner ist ...

 

Thomas Lawall - Juli 2015

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum