Der Tod kann warten
von Roland Krause
368 Seiten © 2013 Piper Verlag GmbH, München www.piper.de krimikrause.wordpress.com ISBN 978-3-492-30354-5
Badspiegel müsste man sein. Spieglein, Spieglein an der Wand, nur ich darf sie sehen, die schönste Oberkommissarin im Land. Sandra Wiesner dürstet es nach Entspannung. Allein ist sie in der Wanne, und sie schäumt vor Entspannung. Doch nicht sehr lange. Beseelt der Frau Streisand lauschend und nach dem Glas Rotwein greifend, wütet die Knef mit ihrem Wunsch nach einem Rosenregen dazwischen - ihr Handy meldet sich und zerstört den heimeligen Versuch, sich der Realität für einen Moment zu verweigern, augenblicklich.
Der Sandner ist dran. Das gute Stück jetzt noch gegen die Wand zu werfen, ist aussichtslos. Sie soll umgehend alles liegen und stehen lassen. Laut ruft die Pflicht und sie interessiert sich nicht für die privaten Belange der ausführenden Organe. Schon kocht Sandras Wut gegen den Hauptkommissar und die ganzen"Mannsbilder" sowieso, während all die Pracht und der Spaß wieder nur dem Spiegel vergönnt sind.
Derweil befindet sich Sandner bereits in Obermenzing, zu Gast beim ehemaligen Oberstaatsanwalt Brauner. Doch damit nicht genug, denn ein weiterer Besucher steht auf der Gästeliste: Staatsanwalt Wenzel. Sandner ist begeistert, seinem Lieblingsfeind wieder zu begegnen, denn schließlich fesselt sie "ein Strick aus intensiver Abneigung zusammen". Kollege Hartinger hat sich in weiser Voraussicht auf das "Scheißhaus" geflüchtet. "Den hat seine Verdauung aus der Affäre gezogen".
Brauner hat ein Problem. Seine Mutter wurde entführt. Für Sandner zunächst ein Rätsel: "Anders als bei der schönen Helena kann man schmachtende Liebe als Beweggrund für ein Kidnapping ausschließen." Die Dame ist 97 Jahre alt. Selbst der ehemalige Staatsanwalt glaubt zunächst an einen "depperten Scherz". Und wenn man sie näher kennt, würde man sich das zweimal überlegen!
Die Entführer verlangen die Freilassung von Benedikt Fuhrer. Der wegen Mordes Verurteilte sei unschuldig. Die Zeit drängt, denn die Entführer drohen mit der Ermordung der alten Dame. Zudem ist sie auf ihre Medikamente angewiesen. Den vermeintlich wahren Mörder zu finden gestaltet sich nicht gerade leicht, weshalb man Sandner mehr oder weniger dazu verdonnert, im Umfeld des Herrn Fuhrer verdeckt zu ermitteln. Dies beginnt zunächst recht vielversprechend, doch dann wird Hauptkommissar Josef Sandner Opfer eines Diebstahls. In einer Kneipe entwendet man ihm seine Jacke. Leider enthielt sie seine Dienstwaffe ...
Nach "Der Sandner und die Ringgeister" und "Fuchsteufelswild" hätte es Roland Krause eigentlich etwas gemächlicher angehen können. Nur zu gerne erinnert man sich an seine literarischen Furiositäten und seine breit gestreuten Respektlosigkeiten eingefahrenen Systemen im gesellschaftlichen Bereich gegenüber. "Der Tod kann warten" vermittelt als Buchtitel zudem eine gewisse Ruhe und Langsamkeit, auf die man sich nach den vorangegangenen, kriminalistischen Schwergewichten gerne einmal einlassen möchte.
Doch weit gefehlt, denn nicht nur auf der ersten Seite, sondern bereits im ersten Satz stellt Roland Krause eingefahrene Lesegewohnheiten auf den Kopf. "Nicht einmal das Wetter ist gekommen." Bereits hier dürfte die "Flüssig-geschrieben-Fraktion" ins Schleudern kommen. Was denn für ein Wetter, wohin und wieso und wie kann überhaupt ein Wetter nicht kommen?
Und so geht das munter weiter. Bereits wenige Zeilen weiter darf man sich, wenn man denn will, mit dem Unvermeidlichen auseinandersetzen. Zumindest der Hauch einer Projektion auf eigene Befindlichkeiten dürfte entstehen, indem man sich fragt, ob denn auch für einen selbst ein "finales Einschüren" infrage käme, zumal das in gewissen Ländern eine doch recht preiswerte Angelegenheit zu sein scheint. Und schon wieder kommt man ins grübeln ...
Es ist einfach unglaublich, welch gigantischen Güterbahnhof an literarischen Nebenschauplätzen der Autor auftut. Ironische Metaphern türmen kleine Unverschämtheiten, aber auch tiefgründige Lebensweisheiten und -erfahrungen, zu kantigen Sprachgebirgen auf, deren ebenso gut ausgeschilderten wie halsbrecherischen Wege und Gratwanderungen man oft, gerne und immer wieder begeht.
Selbst auf die Ohren bekommt man etwas vom Schreibfürst, indem er wieder zentrale Szenen musikalisch zu unterstreichen weiß. Neben einem Verweis auf die Oberflächlichkeiten einer Cindy Lauper darf natürlich der musikalische Tiefgang nicht fehlen, beispielweise vertreten durch Buddy Guy, Richard Galliano, Leonhard Cohen, Mick Harvey oder Gil Scott.
Eine ganze Liste mit Passagen, die ich noch einmal lesen und davon erzählen wollte, habe ich mir aufgeschrieben, doch ich bin schon jetzt dabei, den gegebenen Rahmen zu sprengen. Wer will sich schon ewig lange Rezensionen antun. Wer trotzdem weiterlesen will, dem seien beispielsweise wieder Schlaglichter empfohlen, die, hämisch grinsend, auf die bayrische Landeshauptstadt geworfen werden. Wären die Münchner Stadtteile nämlich Schuhe, "könnte man Sneakers, Gesundheitslatschen, Pradasandalen, Lackstiefel, High Heels und vieles mehr entdecken".
Der Leser darf Gefühlswelten betreten, die Vulkanlandschaften gleichen, Menschen treffen, denen das Leben schon bei der Geburt die Tür vor der Nase zugeschlagen hat, einen Kollegen bewundern, der wie eine "wandelnde Nahtoderfahrung" daherkommt, "Inbusschlüssel-bewährten Sperrholzfirlefanz" bewundern, oder einem Abgesang auf "existenziellen Schmu" ("Psychofirlefanz") ehrfürchtig lauschen.
Kriminalromane, wie Roland Krause sie schreibt, sind eine Art zeitgenössische Kunst, die sich jedoch nicht in sinnfreier Abstraktion verliert, sondern brachiale und bodenständige Realitäten fotorealistisch zeichnet und so ganz nebenbei Restbestände des zutiefst Menschlichen freizulegen versucht!
Übrigens, es gibt auch eine Story. Originell, witzig, spannend und unkonventionell. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Das ganze "Drumherum" bildet aber den eigentlichen Mittelpunkt dieses Romans. Ganz großes Theater!
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