Vor der Flut Hommage an einen Wasserspeicher
Ein Musik/Tanz/Raumprojekt von Hinnerick Bröskamp 1984/1985 Produktion De Campo Film GmbH, Köln
Nun liegt uns "Vor der Flut" auch als als Filmaufzeichnung vor - herzlichen Dank an Gerd M. für die Leihgabe. Gerd stellte im Rahmen des "Blind-Reviews" Nr. 11 das Projekt von Hinnerick Bröskamp ja schon ausführlich vor. Hier noch einmal die Links zu zwei Artikeln unserer Forumsmitglieder: dem Blind Review von Anja-Maria sowie der Auflösung von Gerd.
Vorweg kann ich zusammenfassen, dass uns die filmische Umsetzung der "Hommage an einen Wasserspeicher" nicht in jeder Beziehung überzeugen konnte. Zwar ist das Projekt schon etwas betagt, dennoch beschäftigt sich die Querblatt-Redaktion auch gerne mit älteren Werken, die sich durch außergewöhnliche Inhalte grundlegend von anderen unterscheiden. Zum starken Getön und zur Pracht des vorhandenen Soundgebirges gesellen sich also nun auch Bilder und hier stören mich einige ganz gewaltig.
Diese natürlich rein subjektiven Betrachtungsweisen sollen die Gesamtleistung des Projekts nicht reduzieren, dennoch komme ich nicht umhin zu bemerken, dass wir zu dem Herumgehopse der verschiedenen tanzenden Zünfte keinerlei Zugang fanden. Ob es nun ein Solo-Tanz war oder diverse Gruppeneinlagen, wie zum Beispiel die Verfolgungsjagd nach dem ebenso halbnackten wie schmucken Helden. Derlei stilisierte Kopflastigkeiten des Tanztheaters, die sich meist durch einen Dschungel von mehr oder weniger schrägen Interpretationsansätzen begründen, erzeugen bei uns Kunstbanausen nur müdes Kopfschütteln. Keinen Reim können wir uns auch auf diesen Zappelclown machen, der in hyperaktiver Extase um allerlei unterschiedlich verkleidete Menschen herumsprang und -irrte. Während die einen wohl Beifall klatschen ob der grandiosen Aussagekraft der Darbietung, fragen wir schlicht: Was soll das?
Ebenfalls nicht im (für uns) nachvollziehbaren Rahmen bewegte sich die langmähnige und zitternd-kreischende Furie und ihre abstrakte Performance, die sicherlich wieder ganz große Kunst darstellt. In eine wahre Geräusch-Onanie steigerte sich dann dieses seltsame Wasserorchester, welches mit allerlei seltsamem Gerät wie z.B. Infusionsbeuteln nach neuen Ausdrucksformen (hüstel) suchte und fand. Es ist immer wieder erfreulich mitanzusehen, wie Menschen sich bemühen, sich in irgendeiner Weise neu und anders auszudrücken. Dabei scheint es nicht wenigen völlig gleichgültig zu sein, auf absurde oder gar lächerliche Wege abzudriften.
Ich finde so etwas allenfalls "interessant" und ein besonderes Erlebnis, was das Erzeugen von Klängen, in Verbindung mit dem sagenhaften Echo des Wasserspeichers, betrifft. Noch interessanter wäre gewesen, wenn "richtig" Musik gemacht worden wäre, statt hier ein Experiment an das andere zu reihen. Man gewann den Eindruck, hier wurden wahllos Töne an einer imaginären Wäscheleine aufgehängt - wie Perlen an eine Kette. In völligem Einklang mit Echo, Raum und Zeit waren lediglich die Damen und Herren am Alphorn, an der Panflöte sowie das mittelalterliche Duo. Der tieftraurige Klagegesang versetzte uns per nachhallenden Schwingungen in eine Art Zeitmaschine und schickte uns auf eine schauerliche Reise zurück in düstere Zeiten ...
Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie ein urtümlicher Jodelmeister wohl geklungen hätte - wahrscheinlich hätte er jedes Vorstellungsvermögen gesprengt, denn ein solches Echo gibt es in den Bergen nicht! Eine gewaltige Wagner-Arie wäre ebenfalls ein netter Kontrast gewesen oder das Stück einer Schwermetallgruppe vielleicht ... Von einer anspruchsvollen Dokumentation hätte ich mir auch ein paar Fakten zum eigentlichen Bauwerk gewünscht, und die einzelnen Künstler hätte man wenigstens per Untertitel einmal vorstellen können. Der Film wirkt wie eine schlichte Aufzählung von Sound-Experimenten. Der Regisseur hatte dies wahrscheinlich als Konzept erdacht, um dem ungewöhnlichen Raum und seiner einzigartigen Akustik den absoluten Vorrang zu geben. Der Mensch sollte womöglich angesichts dieses grandiosen Echos in den Hintergrund treten und nur illustre Nebenrollen spielen dürfen. Für mich steht aber immer der Mensch im Vordergrund, der sich zudem für den Bau dieser Räumlichkeit verantwortlich zeigt. Das Bauwerk schuf lediglich den Rahmen des Klangwunders, welches wiederum der Mensch zum Leben erweckt hat.
Insgesamt erlebt man aber das Gefühl, Zeuge eines großartigen Projektes gewesen zu sein und etwas ganz Besonderes erlebt zu haben. Etwas, was nicht wiederholbar ist, aber in den Köpfen weiterlebt. Vielleicht ist es erst nach weiteren 100 Jahren wieder soweit und vielleicht erinnert man sich noch an diesen Film hier. Bis dahin wären es dann noch rund 75 Jahre. Vielleicht werden wieder die unterschiedlichsten Künstler diese Hallen betreten und den leergepumpten Wasserspeicher in einen Klangriesen verwandeln. Und hoffentlich finden sich Menschen, die einem solch großartigen Film-Projekt mehr als 30 Minuten Sendezeit einräumen.
Bis dahin wird der geduldige Wasserspeicher die ihm zugedachte Aufgabe in stiller Zufriedenheit ertragen. Ich denke, es geht ihm gut und vielleicht ist er sogar ganz froh, dass dieses Theater vorbei ist. Für eine Weile ...
Thomas Lawall - Januar 2010
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