Blind Review Nr. 11

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind (mir) nicht bekannt



Na, was ist mir denn da ins Haus geflattert, respektive ins Öhrchen gebrandet?
Was auch immer diese Musik sein will, eins ist mal klar: bekannte Instrumente sind mir noch niemals als quasi eigenständige Lebewesen vorgestellt worden, die sich gegenseitig und auch mir eine Menge zu sagen haben...

Wir haben es hier mit äußerst experimentierfreudigen Musikern zu tun, die ihre Instrumente ohne Unvoreingenommenheit einfach erzählen lassen, so dass diese manches Mal zu gänzlich neuen Medien werden, die uns Dinge übermitteln, von denen wir zuvor nichts wussten.
Klangmetamorphosen und spielerische Lebensfreude, meditative Einkehr sowie mahnende Ehrfurcht wechseln sich ab. Der Hörer verreist in eine Welt jenseits der unsrigen, ähnlich zwar, dennoch anders: unverfälscht, nicht gekünstelt (doch kunstreich!), jugendlich-frisch und zugleich kontemplativ-wissend.
Und über allem liegt eine Art sakralen Sinnens, für mich hat diese Musik auch etwas mit Glaube zu tun, doch gibt sie nicht vor, woran und weshalb man glauben soll.

(1) Sphärische Klänge lassen uns in die traumartige Welt reisen, die uns nun erwartet. Ist das da von fern eine menschliche Stimme, die Gebete intoniert? Vielleicht - doch lassen wir den Betenden an seinem Ort und reisen weiter.

(2) Wir hören ein Panflötensolo. Ich fühle mich an das Element Luft erinnert, kann mir den Wind als Atem der Welt vorstellen, gleichzeitig lässt die irdische, natürliche Beschaffenheit des Instrumentes und die sich einschleichende Rhythmik an alte Weisen fremder Völker denken.

(3) Nun übernimmt ein Akkordeon die Hauptrolle - was überrascht, denn wir hören nun durchweg mehr meditative, langsam verhallende Klänge als die eigentlich erwartete "Musik". Wieder webt sich eine Stimme mit ein, die eigentlich nicht im allgemeinen Sinne "singt" -auch sie lässt sich selbst Raum und KLINGT einfach.

(4) Mehr Dynamik kommt ins Spiel, wir hören ein Saxophon, dazu auch Obertonklänge einer tibetischen Klangschale. Die Melodieverläufe sind nun eher westlich geprägt, durch einen sich entwickelnden Rhythmus gerät der Geist in eine Art Vorwärtsbewegung.

(5) Ein Klangteppich breitet sich aus, die Instrumente sind zunächst nicht sofort identifizierbar, tragend scheint mir ein Syntesizer zu sein, doch unterschwellig mischt sich ein leises, energetisch aufgeladenes Klimpern eines asiatischen oder indischen Saiteninstrumentes ein - eine Sitar vielleicht? Wieder erklingt eine Stimme, urig-aboriginesk.
Der ruhig und träge dahinfließende Strom meines Geistes bildet sich in dieser Musik ab, die Oberfläche wird leicht gekräuselt durch Energien unterhalb des glatten Wasserspiegels - dies ist meine Assoziation dazu und das hier ist 1a-Meditationsmusik.

(6) Die Panflöte ist zurück, glasklar verhallt sie in den Bergen, später findet sie in einen kraftvollen Rhythmus und klingt erdig-verzerrt, so als sänge jemand ein kräftiges Gebet hinein, statt vorsichtig zu blasen. Das Stück endet in einer sakralen, aber nicht westlich-vertrauten Stimmung.

(7) Eine rhythmische Akkordeon-Improvisation, mein Impuls beim Hören lautet: "Immer weiter".

(8) Einige durchdringende, nebelhornartige Signaltöne aus fremden Welten lassen uns aufmerken -  zunächst abgelöst durch butterzarte Saxophonklänge, die später aber auch schnoddrig-rauh metamorphieren, als spiele das Instrument mit seinem eigenen Wiederhall, der reichlich von imaginären Felswänden oder in einer Unterwasserwelt zurückschallt. Das riesige Klang-Tier verlässt uns Staunende mit einem weiteren, erschütternden Signalton. Mein Gott, was war das denn? Ehrfurcht bleibt zurück.

(9) Jetzt beginnt es zu rattern, zu flattern, sirren, gurren, schnattern - das sind doch keine irdischen Geräusche! Oder doch? Sind das etwa Delphine oder Wale oder so etwas? Die Beteiligten beginnen, in einem fremden Medium - es muss nicht Wasser sein - zu tanzen. Doch am Ende bleibt ein leicht bedrohlicher Rhythmus übrig. Das war offenbar so eine Art "save the whale" der experimentellen Musik.

(10) Hörner klingen energiegeladen und wild in tiefe Bergschluchten hinein, entwickeln ihr Eigenleben, werden zu übermütigen, angeberischen Hummeln, die knatterig umherbrummen und sich gegenseitig eins vorprahlen: "Ich hab Rhythmus im Blut!" - "Haha! Nein, ICH hab ihn!" Wer schafft den tiefsten Ton? Wer kann am schrillsten quietschen, so als würden Fenster abgeledert? Am Ende werden die beiden zum rollenden Zug, geben ein letztes Signal ab und entfernen sich langsam.

(11) Oh, ein neuer Gast in der illustren Runde! Wir hören eine Geige, auch die mit Hall betont, das Horn ist wieder mit dabei, aber auch die Klangschale und diesmal sparsame Percussion. Diese Instrumente korrespondieren äußerst spannungsreich, es passiert so einiges, Unheimliches trägt sich zu, ach, das sind überhaupt keine Musikinstrumente! Waldgeister, Gnome, Feen, Schrate und ein Bergriese nehmen Kontakt zueinander auf und probieren aus, ob sie sich verständigen können - es scheint zu gelingen.

(12) Schritte in einer Halle werden in verschiedenen Geschwindigkeiten geloopt, Glas fällt oder Metall scheppert in einer Endlosschleife, deren Geschwindigkeit die Tonlage bedingt. Walgesänge (oder Quietscheentchen, in dieser Welt hat jeder seine Berechtigung) klingen eindringlich, wir fallen in ein Geräuschkaleidoskop, verzerrte Spieluhren machen uns die Mechanik der Menschen bewusst, das Horn kommt mal wieder vorbei, diese Welt entwickelt ihre eigene Rhythmik, hält sich nicht an unseren Takt, unser U-Boot verliert Luft, dauernd gluckert irgendwas, so dass wir am Ende gezwungen werden, wieder aufzutauchen, wollen wir nicht auf ewig in diesen Sphären verschwinden. Schade, schon vorbei.
Ein schwacher Trost: ich kann ja auf "repeat" drücken...


Fazit: Absolut geniale Musik, handwerklich anspruchsvoll, kreativ, wir werden der Welt eine Weile lang entzogen, dies hier ist wichtiger, sorry. Eingängig ist sie freilich nicht, aber wer braucht das schon auf Dauer?

11 von 12 möglichen Punkten, einen ziehe ich ab, weil mir die Zusammenstellung der Instrumente nicht einleuchtet, ich kapiere überhaupt nicht, wie und warum die zusammengestellt wurden. Aber des Rätsels Lösung naht...

 

Anja-Maria, September 2009

 


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