Interview mit NECROTIC FLESH - Mai 2006
Mit "Postmortem Pleasures" warfen NECROTIC FLESH 4 1/2 Jahre nach Bandgründung ihren ersten Dampfhammer auf die Matte. Grund genug für eine empirische Studie rund um Entstehungsgeschichte und Inhalt der fulminösen Bolzenschleuder. Mein Opfer heißt Jürgen Werse, welcher nicht nur bei NECROTIC FLESH, sondern auch bei MEMORIAL DAY den Basswerfer bedient.
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Thomas: NECROTIC FLESH wurde 2001 gegründet. Nachdem sich MEMORIAL DAY anno1999 (vorerst) auflösten, wolltest du dich musikalisch verändern. Aber nicht im Sinne von "Weiterentwicklung", sondern eher in Richtung Rückbesinnung. Richtig?
Jürgen: Ja, fast! Außer, dass ich mich dazu ja nicht rückzubesinnen brauchte, da ich ja nie aufgehört hatte, Death Metal zu hören. MEMORIAL DAY hatte sich im Laufe der Jahre immer mehr vom Death Metal wegentwickelt, und das ließ sich nicht mehr ändern, das habe ich erst gar nicht versucht. Aber ich hatte immer davon geträumt, wieder in einer kompromisslosen Death Metal-Combo zu spielen, und Anfang 2001 war es endlich soweit. Ich traf nach vielen Jahren Tobi wieder, den ich früher schon als Drummer bei INFECTED VIRULENCE bewundert habe, und er hatte sofort Interesse. Dann holten wir noch Stephan Wilhelm als Gitarrist mit ins Boot, den ich auch schon viele Jahre kannte und immer wieder mal mit ihm gejammt hatte. Ich wusste, wir drei teilen die gleiche Einstellung zur Musik und haben in etwa gleiche Vorstellungen davon, wie Death Metal klingen muss! NECROTIC FLESH war geboren!
Thomas: Alte Vorlieben sind halt nicht tot zu kriegen. Der gute alte Death-Metal sowieso nicht! Weshalb hat es eigentlich so lange mit dem ersten Output gedauert?
Jürgen: Lange Geschichte, das Schreiben der ersten Songs ging eigentlich wie von selbst, da wir uns eben musikalisch so gut verstanden! Als wir so richtig gut drin waren, kam der Rückschlag: Willi stieg aus, weil es ihm mit zwei Bands, Freundin, Arbeit usw. einfach zu viel wurde. Als Ersatz-Gitarristen konnten wir dann Jens Bernhard gewinnen, der ca. ein Jahr bei uns spielte, aber teilweise doch ganz andere Ansichten als Tobi und ich hatte. Wir haben uns dann wieder von ihm getrennt, aber in guter Freundschaft. Zum Glück hatte Willi mittlerweile wieder mehr Zeit und Lust bei uns mitzuspielen, und seitdem geht’s erst richtig aufwärts. Da haben wir dann auch gleich die POSTMORTEM PLEASURES aufgenommen.
Thomas: NECROTIC FLESH verzichtet ganz bewusst auf jeden Schnickschnack. Keine melodischen Gitarrensoli, kein Tastenbrett und keine Torte am Mikro. Old School Death-Fundamentalismus sozusagen...
Jürgen: Exakt! Das hatten Tobi und ich bereits alles bei unseren anderen Bands, das wird es bei NECROTIC FLESH nicht geben, darüber sind wir uns alle einig! Wir wollen den Death Metal machen, mit dem wir aufgewachsen sind und der uns heute noch am meisten begeistert. Dass man das mittlerweile als Old School bezeichnet, liegt halt am Zahn der Zeit...
Thomas: Wenn ich richtig informiert bin, wolltet ihr eigentlich nur ein Demo einspielen. Das wurde dann doch etwas länger, obwohl es gar nicht so einfach ist, acht Songs auf 25 Minuten zu komprimieren.
Jürgen: Richtig, die POSTMORTEM PLEASURES war ursprünglich nicht als erstes offizielles Album geplant. Wir wollten nur endlich mal unsere bisher fertig gestellten Songs vernünftig aufnehmen, bevor die Band wieder aus irgendeinem Grund auseinander bricht. Das waren halt bis zu diesem Zeitpunkt genau diese sieben Songs, und die sind teilweise halt recht kurz, denn wir sind der Meinung, wenn ein Song zu Ende ist, dann ist er es eben, egal wie lang er bis dahin dauert. Wir wollen keine Songs künstlich mit Solis u.ä. in die Länge ziehen, nur um mehr Spielzeit auf die Scheibe zu bekommen. Deshalb klingt das Ganze halt auch relativ kompakt.
Thomas: Das Label kommt mir bekannt vor. Haben die nicht die zweite Scheiblette von MEMORIAL DAY vertrieben...?
Jürgen: Ja, das kam uns sicherlich entgegen und hat uns gleich für den ersten Output einen Deal beschert, ich glaub, das gibt’s auch nicht oft. Ich kannte den Markus von MDD natürlich noch von MEMORIAL DAY "Retired from the world"- Zeiten und er war zum Glück nicht mir dafür böse, was andere damals verbockt haben.
Thomas: Die Dame auf dem Cover weilt nicht mehr unter den Lebenden - dafür ist sie aber noch recht gut bei der Sache...! Deine Idee?
Jürgen: Nein, obwohl ich so was ähnliches im Sinn hatte. Ich hatte bereits einen Entwurf gezeichnet, der Typ, der das ganze in ein Cover-taugliches Gemälde umsetzen wollte, ließ uns aber leider hängen. Dann hat Tobi mehr oder weniger zufällig dieses geile Bild im Internet aufgestöbert, das wir dann gekauft haben. Ich finde, es passt perfekt zum Album-Titel und dem gesamten Konzept POSTMORTEM PLEASURES. Ob tot oder lebendig, die Dame ist im Großen und “Ganzen“ doch sehr ansehnlich!
Thomas: Nachdem wir nun die musikalische Saite, sowie die visuelle Ebene abgehakt haben, kommen wir nun zur textlichen Ausrichtung. Echt krasse Lyrik. Wer ist dafür verantwortlich oder "dichtet" ihr (die alten Wunden) gemeinsam?
Jürgen: Nachdem wir uns auf den Bandnamen NECROTIC FLESH geeinigt hatten, war klar, dass es eigentlich nur in die Gore-Ecke gehen kann. Tobi hat dann den ersten „gory“ Text zu SPERM AND BLOOD geschrieben, und da durfte ich mit PRENATAL DECOMPOSED natürlich nicht nachstehen, vor allem weil ich diese "krasse" Phantasie, inspiriert durch die guten, alten Pungent Stench, schon sehr lange mit mir rumtrage. Seitdem ist so eine Art "Wettkampf" zwischen Tobi und mir entstanden, wer die kränkeren Lyrics schreiben kann ... haha
Thomas: Die netten Gore-Themen sind wahrlich nix Neues und von Bands wie HANNIBAL... äh... CANNIBAL CORPSE, CARCASS und GmbH&Co. bereits seit schlappen 20 Jahren zur Genüge auf die eine oder andere Schlachtplatte gebrannt worden. Diesem leckeren Themenbereich wollt ihr dennoch die eine oder andere neue Nuance abgewinnen. Welche zum Beispiel?
Jürgen: Grundsätzlich habe ich gar nichts dagegen, unoriginell zu sein. Wir können und wir wollen den Death Metal ja schließlich nicht neu erfinden, sondern wollen alle uns so ans Herz gewachsenen Klischees einfach ausleben, weil wir sie lustig finden. Dennoch, denke ich, haben wir den Bereich der Gore- und Splatter-Lyrik vielleicht doch noch um ein paar neue abartige Themen "bereichern" können, die ich so vorher noch bei keiner Band gelesen habe. Aber, wie gesagt, das ist primär nicht mein Anliegen. Ich versuche in meinen Texten auf jeden Fall keine Wertungen mit einzubringen, jeder soll sein eigenes Urteil über die beschriebenen sexuellen Vorlieben fällen können.
Thomas: In einem Brief an mich hast du "Paraphilien" erwähnt, und dass diese sich durch alle Texte ziehen würden. Über die dahinterstehende Motivation und Psychodynamik kannst du uns als Psychologe sicherlich sehr viel Interessantes erzählen. Wie stehen die Dinge im Kontext?
Jürgen: Oje, da könnte ich jetzt viel darüber erzählen, das würde aber den Rahmen sprengen. Ich kann über die Ursachen solcher, so genannter Paraphilien natürlich auch nur Hypothesen aufstellen, aber als naturwissenschaftlich orientierter Psychologe, denke ich, dass als Erklärungsmodell das Prinzip der klassischen und der operanten Konditionierung hier am besten greift. Ich finde es auf alle Fälle faszinierend, zu welchen Neigungen Menschen fähig sind. Die Frage, welche unserer Verhaltensweisen normal und welche abnorm sind, möchte ich hier mal nur so in den Raum stellen!
Thomas: Nun mögen ja eure Zeilchen nicht tierisch ernst gemeint sein und unser "heuchlerisches Werte-System" auf die blutverschmierte Kohlenschippe nehmen, dennoch muss ich sagen, dass ich so grauslige Bilder, die beispielsweise bei "Sperm and Blood" in meinem Hirn entstehen, gerne wieder gelöscht hätte! (In diesem Zusammenhang sind mir Mädels MIT Köpfen übrigens ungleich lieber.) Oder konterst du jetzt mit der Nummer, welche uns nicht wenige kopflastige Psychofreaks immer wieder gerne unterjubeln wollen, dass nämlich diese Bilderchen in Wirklichkeit schon VORHER in unserer Birne waren?! So nach dem Motto: Der Deibel steckt nicht nur im Detail sondern auch in uns allen, und wehe, der in unserem latenten Gruselkabinett ruhende Unhold wird zum Leben erweckt!? Diabolus im Stand-by-Betrieb...?
Jürgen: Haha, auch keine schlechte Rechtfertigung, aber nicht ganz meine Meinung. Ich benutze solche Phantasien eher zur systematischen Selbst-Desensibilisierung. Denn ich denke, wozu der Mensch unter bestimmten Umständen in der Realität zu tun in der Lage ist, ist weit grausamer als alles, was ich mir in meinem "kranken" Hirn ausmalen könnte. Ich versuche mich also in gewisser Weise schon mal präventiv auf den "worst case" vorzubereiten. Wenn wir Dich mit unseren Texten traumatisiert haben, tut mir das natürlich leid, aber wir zwingen ja niemanden dazu, sie zu lesen. Und verstehen kann man sie vom reinen Anhören ja sowieso nicht.
Thomas: 2006 wollt ihr (noch mehr) über das Volk kommen. Die Dates häufen sich, wie man liest. Wo geht's also ab? In welche Schlachthöfe darf sich der geneigte Fan zum Aderlass begeben?
Jürgen: Wir hatten dieses Jahr schon eine ganze Reihe Gigs im gesamten Süddeutschen Raum, von München über Giebelstadt bei Würzburg bis nach Vaihingen an der Enz. Jetzt ist erst mal ne kleine Sommerpause angesagt, in der wir uns auf das Schreiben neuer Songs konzentrieren wollen. Spätestens im Herbst geht’s dann aber in Straubing weiter und es kommen hoffentlich noch ein paar Auftritte dazu.
Thomas: Wie sieht es mit neuen Songs aus? Ihr wollt ja sicher nicht nur 25 Minuten spielen...?
Jürgen: Es sind natürlich schon ein paar neue Songs fertig, und mit einer Coverversion von Unleashed und einem Klassiker von Tobi’s alter Band kommen wir mittlerweile auf eine Spielzeit von fast einer Stunde. Das schlaucht dann aber schon ganz schön, wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten.
Thomas: Eine saublöde Frage darf natürlich nicht fehlen, nämlich die nach der nächsten Platte. Ich weiß, die Schreiberlinge sind voll die Nervensägen. Kaum ist 'ne Platte draußen, fragen sie schon nach der nächsten.
Jürgen: Wir hätten sie am liebsten auch schon fertig und ich wär schon wieder heiß aufs ein"singen", aber gut Ding will ja bekanntlich Weile haben. Wir schmeißen halt lieber immer mal wieder nen Song weg, wenn wir nicht hundertprozentig damit zufrieden sind, bevor wir alles auf CD pressen. Wird schon noch ne Weile dauern, aber ich hoffe nächstes Jahr ist's wieder soweit.
Thomas: Highlight auf "Postmortem Pleasures" bildet für meine Wenigkeit Track 5! "Postmortem Self-Digestion" ist ein schweinegeiler Abschlepphaken. Ich liebe solche tiefergelegten Schwerlasttransporte! In welche Richtung wird übrigens das nächste Projekt starten? Insgesamt die gleiche Kerbe?
Jürgen: Im Grunde genommen ja! Es wird wieder schnelle, schleppende und viele groovige Parts geben, aber insgesamt werden wir das Tempo evtl. ein wenig anziehen, mal sehen. Vielleicht öffnen wir uns auch ein wenig moderneren Death-Metal-Sounds. Es wird aber insgesamt Old School bleiben.
Thomas: Deine/eure Meinungen über YES, ELVIS und RICHARD WAGNER würden mich noch interessieren.
Jürgen: Wie ernst gemeint ist diese Frage? Na gut, ich beantworte sie mal ernsthaft. Ich respektiere im Grunde genommen jeden Künstler, und jeder soll sich anhören was ihm gefällt. Die drei genannten Künstler bzw. Bands sind sicherlich sehr bedeutend, aber sie interessieren mich nicht. Deshalb habe ich auch keine großartige Meinung dazu!
Thomas: Vielen Dank für deine Zeit und für die Zukunft viel Erfolg!
Jürgen: Danke! Und sorry für das viele "Psycho"-Gequatsche!
© TOM UND MARYS WEBZINE - Mai 2006
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