LEPROUS - Tall Poppy Syndrome (2009)
Prog-Metal
Schon beim ersten Tönchen wurde mir klar, dass sich hier eine Höchstwertung abzeichnet. Wenn bereits zu Beginn die ganze Bandbreite gefahren wird, kann ich gar nicht anders. Dass die Scheibe womöglich ein unterschiedliches Echo auslösen würde, war mir ebenfalls klar. Deshalb habe ich sie auch für unser Blind-Review Nr. 3 ausgewählt, denn ich war mehr als gespannt (und bin es bis heute immer noch), wie zwei von unseren Forumsmitgliedern das Werk beurteilen würden.
Wie gesagt, es ist schon bemerkenswert, was die Norweger gleich in den ersten Song packen. Das ist ganz großes Theater. Von zärtlichen Balladen bis zügelloser Wut laden LEPROUS gleich alles auf den Tieflader und heizen los, was das Zeug hält. Aus dieser brisanten Mischung leiten sie bereits im Opener ein grandioses Finale ab. Spätestens ab der Textzeile "Tonight I'm passing away ..." bin ich restlos begeistert!
Genau in diesem Stil geht es weiter - nur andersrum. Balladesk geht es los und steigert sich dann wiederum in melodisch-erstaunliche Schachtelsatzpassagen. Verwunderlich, dass mir die eingestreuten Power- bzw. Speed-Metal-Fragmente nicht gegen die Kante fahren, da ich derlei Billig-Schmackes gar nicht verdauen kann. In wohldosierten Einzelgaben kommt die Mucke, quasi als Stilmittel, gar nicht mal schlecht. Hauptsache der Dampfer brescht nicht ewig in die gleiche Richtung.
Und so geht das munter weiter, denn die Jungs denken nicht im Traum daran, sich stilistisch auf eine einzige Matte tackern zu lassen. Hier regiert Innovation und Abwechslungsreichtum. Ständige Veränderungen im Tempo ersticken jeden Anflug von Langeweile. LEPROUS beherrschen das Kunststück, mit ihrer Musik Geschichten zu erzählen. Nichts für Dauerheadbanger oder Bewegungsfetischisten, denen mangels Hirnmasse Musik ewig in Bauch und Beine gehen muss!
Phänomenal ist zudem, dass die stilistischen Unterschiede keineswegs sinnlos und wie Perlen vor die Säue geworfen werden, sondern dass ein außerordentlich homogenes Gebilde entsteht. Die Spannungsbögen sind derart raffiniert verwoben, dass sich jeder Hördurchgang immer wieder lohnt, weil sich immer mehr der ineinander verzahnten Grandiositäten offenbaren - sind es nun zärtlich gehauchte Balladen, herzerwärmende Gitarrensoli oder brachial-stilvolle Wutausbrüche.
Der nächste große Pluspunkt ist die geschickt eingebaute Eingängigkeit. Hinter aller Komplexität versteckt sich der Drang, trotzdem allgemeinverständlich bleiben zu wollen. Ein Spagat, der nur wenigen Bands gelingt. Entweder biedert sich das Gedudel hemmungslos an oder verstrickt sich in seelenlosen Hochleistungspassagen. Hier gibt es von jedem etwas und trotzdem wirkt alles wie aus einem Guss. Man höre und staune nur einmal "We will kill again" ... der sich wiederum in ein grandioses Finale steigert. Doch das ist (schon wieder) nicht das Ende, sondern erst Track 5!
Fast könnte man in der ersten überschwenglichen Begeisterung meinen, OPETH hätten ihren Meister gefunden. Doch wenn man relativiert, entsteht eher eine erhabene, aber auch gleichwertige Koalition in dieser Riege. Jedenfalls im Moment, denn zu bedenken gäbe es noch, dass es sich bei "Tall Poppy Syndrome" - nach den Demos von 2004 und 2006 - um ein Debut-Album handelt ...
Fazit: Vielschichte Prog-Oper. Filigran-gehaltvolles Getöse.
Thomas Lawall - Februar 2010
Bewertung: 12/12
Line-Up:
Einar Solberg: Vocals, keyboards Tor Oddmund Suhrke: Gitarre, vocals Øystein Skonseng Landsverk: Gitarre, vocals Tobias Ørnes Andersen: Drums Halvor Strand: Bass
www.leprous.net www.myspace.com/leprousband
Tracklist:
1. Passing 2. Phantom Pain 3. Dare You 4. Fate 5. He Will Kill Again 6. Not Even A Name 7. Tall Poppy Syndrome 8. White
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