Blind Review Nr. 17

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind (mir) nicht bekannt



Jawoll, das war mir ja sowas von klar, dass mir unser aller "Falschparker" ein gewaltiges Ei ins Nest legen wird. Ich habe nicht den Hauch einer entfernten Ahnung, um was und um wen es sich bei diesem Werk handeln könnte. Eines jedoch scheint mir sicher zu sein: hier handelt es sich um Kunst. Und zwar um eine solche, die womöglich die Leutchen anspricht, die auch bei fettbeschmierten Stühlen von Kunst reden.

Schwierigkeiten habe ich mit diesem Gelsenkirchener Gummizellen-Neo-Flötenbarock sowie dem transsylvanischen Knabenchor überhaupt nicht. Ich frage mich lediglich, was das soll. Denn ein Lied über eine Dampflok, die irgendwie nicht in Fahrt bzw. aus dem Bahnhof kommt, weil plötzlich ein großer Hühnerstall auf den Gleisen steht, könnte man auch anders und insbesondere druckvoller interpretieren. Ein solch diffuses Klanggedöns im Vollbesitz geistiger Kräfte zu fabrizieren, fasziniert mich jedoch generell und überhaupt, auch wenn sich mir der Sinn einer solchen Reduktion nicht erschließen mag. Muss nun Musik auch noch abstrahiert werden? Na gut, von mir aus. Ernst nehmen muss ich das aber nicht. Dennoch werde ich mich dem gesteckten Ziel des Blind-Reviews stellen, um meine Eindrücke spontan und unkontrolliert hernieder zu schreiben. Und zwar in vollständigen Sätzen.

Im dritten Track versucht jemand ziemlich lange und ebenso vergeblich, eine Tüte mit Popkorn zu öffnen. Kunststück, denn während dem Duschen braucht man halt zwei Hände und kann sich demnach nicht mit anderen Dingen beschäftigen! Die Gans, die wild in der Duschkabine herumtappst, sorgt für zusätzliche Verwirrung. Das Vieh kann sogar steppen. Ja, und im Nebenzimmer poliert jemand seinen Lattenrost, während eine Schar von ca. 350 Stück Stopfenten vom Wohnzimmer ins Schlafgemach und wieder zurück marschiert. Die Sprungfedern in der Matratze scheinen auch ausgewechselt zu werden und mit dem Schubladenspiel des Nachttischschränkleins scheint ebenfalls etwas nicht zu stimmen. Weshalb man dann aber ca. zwei bis drei Enten den Hals mehrmals umdrehen muss, entzieht sich meiner Kenntnis. In der Nachbarschaft kloppt sich ein behämmerter Schreiner die Seele aus dem Leib. Wahrscheinlich bastelt und schraubt er ein neues Chorgestühl und sägt sich mit einer Nervensäge den Ast. Nach zwölf Minuten taucht in der Badewanne ein besoffener Spezialagent in schwarzem Gummifell auf, der sich brutal verschwommen haben muss. Seine Artikulationsversuche gestalten sich insofern schwierig, als sein Schnorchel irgendwie am Mund festgewachsen zu sein scheint. Deshalb muss er sich auch die Kartoffelchips, die er zu verspeisen gedenkt, von oben durch das Atemrohr einführen. Stressig.

Nach 15 Minuten ist der Schabernack vergangen, findet jedoch im vierten Track eine würdige Fortsetzung. Ein Schiffchen tuckert durch den Nebel. Leider ist das entsprechende Horn kaputt - folglich muss das Getöse per Plattenspieler ertönen. Die Platte scheint aber zu hängen. Derweil sucht ein Witwer Stroh auf dem Oberdeck und versucht eine Hummel zu fangen. Ein einsamer Indio ahmt mit seinen kaputten Röhrchen das Geschrei des brasilianischen Mönchsvogels nach und sofort melden sich alle Möwen krank. Sämtliche an Bord befindlichen Tiere drehen plötzlich durch und äffen jeweils andere Artgenossen nach. Brontös lustig klingt es z.B., wenn ein Elefant einen Gockelhahn nachmacht oder eine Ziege versucht wie ein Zwergpinscher zu bellen. Über allem Getön bläst das vermeintliche Nebelhorn, während die Mätresse des Kapitäns am Geschwindigkeitsregler des Plattentellers rumnestelt.

Track Nr. 5 wird von einer ebenso verhaltensgestörten wie bayrischen Trachtengruppe gestaltet, die sich in diametraler Rhythmik versucht. Die surreal verzogene und asymmetrische Anordnung der tragenden Geräuschkulisse hat etwas von einer Elefantenhorde, die mit watteverpackten Füßen übers Parkett marschiert ...

Die weiteren Ergüsse sind der nette Versuch, mit allerlei Sperrmüll sowie reiner Stimmakrobatik Atmosphäre zu schaffen. Man fülle das leere Dasein, die endlose Weite des Raums und die Stille der Schöpfung mit surrealen Klängen, die wie Perlen an einer Kette im luftleeren Raum baumeln. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie nah beim Menschen doch Versuch und Irrtum liegen. Und wenn einem gar nichts mehr einfällt, einfach kurz die Bohrmaschine ein- und wieder ausschalten.

Vielleicht handelt es sich aber auch um ein neues Musical, welches durchaus andere Wege zu beschreiten wagt. Meine Titelvorschläge: Tommy auf dem Deppengymnasium, We will nerv you, Showthroat, Cabanossi, Der kleine Mörderladen, Jemands Mist Superstar und Geh fort Dolly. Oder ist es eine moderne Oper? Mozarts Zaubertröte in einer Bearbeitung von Wilfried Stockhäusle vielleicht? Oder die fliegende Tulpenzwiebel von Richard Löwenherz eventuell?

In Track Nr 11 macht das Ensemble einen entscheidenden Fehler, indem es versehentlich den Hauch einer nachvollziehbaren Melodie anstimmt. Das hört sich ganz eindeutig nach Radetzky-Marsch an - insgesamt aber wie ein versaubeuteltes Kinderlied. Die freie Interpretation kommt spontan aber kopflastig. Typisch für Sinnsuchende. Kinder hätten das im unkontrollierten Spiel lustiger gestalten können, denn die wissen nicht, was sie tun, sind deshalb wirklich frei, spontan und ungezwungen.

Im letzten Stück gelingt ein Streiflicht in Richtung eines Künstlers, der tatsächlich etwas von Kunst versteht: Jan Garbarek. Dieser Begnadete würde aber selbst im Vollrausch noch Göttlicheres zaubern können und sich nicht in einem Wirrwarr aus beliebigen Tönen, begleitet von einer uninspirierten Bohrmaschine (oder Mixer), verlieren. Wobei noch zu klären wäre, ob es sich beim Lead-Gebläse um ein Saxophon oder um einen Gartenschlauch (gebraucht) handelt ...

Die ersten beiden Stücke habe ich übrigens nicht vergessen. Eine spontane Lähmung ergriff mein 1-Finger-Adlersystem - zudem bekam ich erst zu Beginn des dritten Tracks das Maul wieder zu! Zunächst dachte ich noch, dem Soundtrack eines Monty Python-Filmes, den ich noch nicht kenne, beizuwohnen. Inzwischen funkt mir aber mein Über-Ich permanent auf die Denkzentrale: Hey du Vollhorn, die meinen das ernst!

Fazit: Neo-Orff'sches Abnormitätenkabinett. Notorische Harmonieverweigerer.

 

Bewertung: 0/12

Thomas Lawall - Januar 2010

 


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