Doppel-Blind-Review Nr. 2

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind (mir) nicht bekannt



Dass ich das noch erleben darf! Eine Band, die gänzlich ohne Gesang musiziert, und dabei über eine komplette Albumlänge ganz und gar nicht langweilt. Im Gegenteil, die Stücke sind über weiteste Strecken interessant bis aufregend, oft fesselnd, aber auf jeden Fall immer unterhaltsam. Vor allem zeichnet sich vorliegendes Werk durch das enorme Spannungsverhältnis zwischen grooviger Eingängigkeit auf der einen und anspruchsvoller Frickelei auf der anderen Seite aus. Da wird mal über längere Distanz auf verzerrte Gitarren fast verzichtet und mit vielen oft "retro" klingenden Keyboards ein filigraner Ohrenschmeichler erster Kajüte dargeboten wie im Eröffnungstrack. Dann gibt's wüste Breaks und beinahe schon anstrengend schräge Takte bei Klampfenakrobatik in alter Watchtower-Tradition wie in Akt 5 zu hören. Im letzteren Fall, wenn die Combo ihre reichlich vorhandenen technischen Fertigkeiten einbringt, ist der Heavyveteran geneigt, die mittlerweile reichlich verstaubte Schublade mit der Aufschrift "Techno Metal" wieder mal zu öffnen, welche einst wegen Gefahr des Missverstandenwerdens nach Aufkommen jener unsäglichen Ravemucke ähnlichen Namens sicherheitshalber geschlossen wurde. So wäre ein Stück wie die wohl uneingängigste Nummer an Position 7 Ende der Achtzigerjahre in der Hochburg Vorderer Vogelsberg mit Sicherheit gnadenlos abgefeiert worden.

 Doch die größte Kunst dieser Kapelle besteht zweifelsfrei in der geschmeidigen Dynamik, die entspannten Groove und ebenjene virtuose Instrumentenakrobatik aufs Fließendste verwebt. Wobei es durchaus geschickt zu nennen ist, das Album behende zu beginnen, langsam zu steigern und zur Mitte hin zunehmend das volle Brett aufzufahren. Und gerade als die Chose droht, ins Nerven zerbröselnde abzudriften, kommt zum richtigen Zeitpunkt der Entspannung verheißende Break hin zur ruhigen Passage, die des öfteren gänzlich unmetallisch ausfällt. Wirklich klasse, wenn die hektische Fliege vom Fall in den Nektar ausgebremst wird, um nach längerem erholsamen Putzen wieder Fahrt aufzunehmen. Nachdem das Album so über die fast gesamte Distanz ausgewogen überzeugt, müssen die Musikanten das Ende wohl bewusst etwas langatmig gestaltet haben, wie um zu zeigen, dass solche Instrumentalschöpfungen normalerweise ja eher anstrengend geraten. Nichtsdestotrotz hat Thomas hier ein brillantes Teilchen ausgewählt. Muss ich dringend als wohlklingendes Original erstehen (dumpfes Tape ist halt doch nicht so der Bringer)!

 

Carsten Buchhold - April 2009

 

 

 

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind (mir) nicht bekannt



(1) Der Einstieg in das Werk wird auf sterile Art von einem Synthesizer dargeboten, es steigen prickelnde Bläschen aus einer surrealen Unterwasserwelt auf (dieser Effekt wird nicht wenig verstärkt durch das gewählte Medium - eine alte MC, abgespielt auf einem alten Gerät), eine E-Gitarre mischt sich ein, Untermalung gibt ein solider, zurückhaltender, einfach gespielter Bass. Wir hören der Gitarre zu, wie sie ihre langgezogenen, melodischen Parts abnudelt.
Was bedeutet eigentlich dieser permanente Summton, im echten Leben die Basis jedes ordentlichen Dudelsackspiels? - Ach so, das ist mein Kasettendeck. Okay, Summton also ausblenden - trotzdem verklingt da in Ruhe ein beliebiges, recht seelenloses Stück.

(2) Rhythmisch-rumpelig startet die Nr.2, wobei die Gitarren merkwürdig eingestellt sind. Den Unterschied zu einer volltönenden E-Gitarre muss man sich vorstellen wie zwischen Spinett und Konzertflügel. Dieser Vergleich ist auch ganz gut, um sich ein Bild davon zu machen, wie der gesamte Sound anmutet: unmodern.
Hitzig plustert sich das Stück immer wieder auf, verteilt ektisch-rhythmische Ohrfeigen an den Hörer, garniert mit dissonanten Sahnehäubchen.
Diese Musik hört man nicht auf der Ofenbank, das ist schon klar, doch selbst die Vision moshender Metalfans in ihren Brüllhöhlen kann nur mit Mühe heraufbeschworen werden, da diese Armen bei der Hektik des Stücks sicher wegen Genickstarre aufgeben müssten.

(3) Die 3 schrammelt sich in gemäßigter Rhythmik in Fahrt, aber mir will nichts einfallen, wozu sie passen könnte - doch halt! Als Untermalung zum Nachtprogramm "Deutschlands schönste Industriebahnstrecken" (diese Sendung, bei der man quasi mit dem Lokführer auf die Schienen stiert) wäre das sicher super. Die Musik hat etwas von einem ewig laufenden Motor - glücklicherweise verabschiedet der Zug sich ins Nirgendwo.

(4) Frisch und spannungsreich platzt Nr. 4 herein - der Versuch, ausgeklügelte rhythmische Muster (insbesondere Drums) zu erzeugen, wirkt jedoch unbeholfen und wirr. Dieser chaotische Sound wechselt sich ab mit dem bekannten Unterwasser-Geschwurbel von vorhin. Zuweilen klingt das Ganze aber auch wie ein
drittklassiger Spielautomat in irgendeiner verlassenen Spelunke am Rande der Vorstadt.
Die Breaks zwischen den beiden Extremen wirken künstlich und nerven eher, so dass ich ein vages Gefühl dafür bekomme, wie es sich für Eltern anfühlt, die etwas völlig Unverständliches und letztlich kaum aushaltbares Lärmiges durch die Kinderzimmertür ihres Teenies hören und den Reflex verspüren, das SOFORT auszuschalten.

(5) Track 5 arbeitet auch wieder mit der bereits bekannten, misslungenen Abwechsel-Technik - diesmal geben sich die unmodernen Schrammel-Gitarren vs. Halloween-Orgel die Ehre. Das Ganze kommt irgendwann durcheinander und droht ganz abzustürzen. Vielleicht war es gar nicht so einfach, das einzuspielen -
aber wofür die Mühe? Dafür, dass ich permanent den Finger am "Off"-Knopf zucken lasse?
Nachdem die Karre dann tatsächlich im Dreck festgefahren wurde, bäumt sie sich leiernd noch ein paar Mal auf. Erst denkt man: "Puh, Glück gehabt, das Ding hat's echt zerrissen, da wird nix mehr draus!" - doch dann geht es gruseligerweise irgendwie weiter, und zwar genauso, wie es anfing. Vielleicht soll das eine Art Konzept sein??
Aber dann hätte die einfache Arbeit mit der Kreissäge im Hof, zu der ein rhythmisches Dengeln an der Sense ertönt, auch ein "musikalisches" Konzept...

(6) Ein nichtssagendes, ebenfalls wieder fürchterlich steriles, ruhigeres Stück zieht herauf, auch hier fällt wieder jene Beliebigkeit der Komposition und AUsführung auf, die selbst einen so ruhigen Titel eher zur Begleitmusik einer Fernsehsendung wie z.B. "Kamerafahrt durch Turkmenistan - Land des schadhaften
Lächelns" degradiert. Wenigstens ist mein Ausschalt-Impuls wieder abgeflaut.
Leider tun die Musiker sich (und mir) nicht den Gefallen, das Stück so ausklingen zu lassen, nein: die Instrumente müssen weiter gequält, der Sound wieder auf das althergebrachte Schrammel-Niveau gebracht werden. Schließlich und endlich landen wir unoriginellerweise wieder beim "ratta-ratta-rattattataa" der
Rhythmusgrippe, padon: -gruppe wollte ich sagen.

(7) Die 7 braucht vor lauter findigen Rhythmuseinfällen der mittlerweile zu gut bekannten Art gleich mehrere Anläufe, um überhaupt ins Laufen zu kommen. Meine Assoziation zu diesem Stück ist eine Art vertonte Foltersitzung: man probiert es mit allen verfügbaren Instrumenten und alles, was das Opfer besonders leiden
lässt, wiederholt man möglichst oft in deckungsgleicher Weise. Hört das Stück irgendwann mal auf? Nicht, bevor man mich belehrt hat, was alles für Geräusche in der Welt erzeugbar sind.

(8) Melodisch startet der letzte Titel der Platte, und mit eingezogenem Kopf sitze ich hier und frage mich bang, was nun noch kommen kann.
Nur langsam kippt die Melodie ins Metalmäßige ab, bleibt aber erkennbar, nur eben ein bißchen fetter. Einfälle habe ich dazu keine, deswegen muss die Sache nun wieder auf einen gleichförmig daherschrammelnden Rhythmuszug aufspringen, und ich denke "Ja prima, goodbye, schlechte Platte, nimm den Zug ans Ende der Welt!" Scheinbar tut sie das auch, selbstverständlich nicht ohne findig, aber geistlos eingestreute Störgeräusche.
Dann: NEIN, natürlich ist KEIN Ende in Sicht, aus dem Störgeräusch metamorphiert etwas Neues, NICHT Besseres. So muss es sein, wenn Musik Krebs bekommt und die Geschwüre sich langsam durchfressen. Nichts funktioniert mehr, alle Organe versagen, und bevor ich mich davon richtig runterziehen lasse, habe ich einen Geistesblitz: "Na klar! Ich hab die Platte einfach falschrum abgespielt! Ich Dussel!" - aber nee, ist ja eine Kassette. Grmpf.

Ja, und dann hat die Sache doch noch ein Ende, der Bassist spannt eine Seite ab und empty.

Genüsslich nehme ich das Tape aus dem Gerät und verstaue die MC in ihrer Hülle. Dort wird sie auf ewig ruhen und kein Tageslicht mehr sehen, es sei denn, ich bräuchte sie mal, um Wühlmäuse aus ihren Löchern zu treiben.

1 von 12 möglichen Punkten für die technische Anforderung an die Musiker. Zum Hören würde ich es keinem geben, weise aber auch darauf hin, dass ich keine geübte Metal-Hörerin bin und es auch nicht werde.

Anja-Maria, April 2009

 


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