Blind Reviev Nr. 12/Loes.

Auflösung des Blind-Reviews Nr. 12
 

IQ - Frequency (2009)

Neoprog



... der feinen britischen Art. Und das ist nicht der einzige Grund, warum ich die Scheibe für unser Blind-Review Nr. 12 ausgewählt habe. Nachdem wir von Anja-Maria anlässlich des Doppel-Blind-Reviews Nr. 2 einen deftigen Verriss kassiert haben, wollte ich der nichtmetallischen Fraktion diesmal etwas völlig anderes anbieten. Das Inggasche sollte etwas auf die Ohren bekommen, was mit Metal nicht das Geringste zu tun hat. Lustigerweise ging das ebenfalls daneben und wir kassierten den nächsten Verriss. Das geht natürlich vollkommen in Ordnung, zumal der Artikel mit einem grandiosen Unterhaltungswert punkten kann. Hier nun meine Sicht der Dinge:


Mit 17 brach für mich die Welt erstmals (später dann öfter) zusammen, als Peter Gabriel GENESIS verlassen hat. Kurz darauf zerbarst die mühsam zusammengeflickte Welt schon wieder, denn Rick Wakeman verließ YES! Mit zunehmendem Alter sollte ich mich an weitere Katastrophen regelrecht gewöhnen, denn sämtliche Wirren des Lebens hatten eines gemeinsam bzw. immer nur ein einziges Ziel: Mich!
The first cut ist aber immer noch the deepest, weshalb ich dem Gabriel noch immer nicht verziehen habe. Zuletzt 2002 auf dem Open Air "Könixxtreffen - 20 Jahre Virgin" in München gesehen, sah er gar nicht mehr wie er selber aus, und schon deshalb flüchteten wir von ganz vorne in die hinteren Ränge. Nichts war mehr, wie es war und musikalisch schon gar nicht. "Red rain" öffnete bei mir allerdings doch alle Schleusentore - doch letztlich versank ich darüber in noch tiefere Trauer und die Überzeugung, dass es so etwas wie damals nie mehr geben wird. "The Lamp Lies Down On Broadway" - das müsste 1974 gewesen sein, war deshalb das unglaublichste und zugleich traurigste Konzert meines Lebens. 1975 gab ich mir dann ein Konzert mit dem damals noch langhaarigen und vollbärtigen (lol) Phil Collins als Sänger und das sollte es dann gewesen sein, denn damit waren die Tage von GENESIS endgültig gezählt.

Heute bin ich froh zu wissen, mich zumindest teilweise geirrt zu haben, denn als die erste Prog-Welle in den holden 70ern verschwand, sollte bereits in den 80er Jahren der zweite progressive Tsunami über musikalisch verdorrtes Land ziehen. Davon bekam ich allerdings rein gar nichts mit, denn aufgrund ebenso diversen wie persönlichen Berg- und Talfahrten verstaubte mein Plattendreher und hernach befand ich mich lange Jahre in jazz(rock)igem Exil. Folglich bemerkte ich nichts von der Gründung der britischen Neo-Progger IQ und den kongenialen Kollegen von PALLAS, ARENA oder PENDRAGON & Co.! Heute gilt es deshalb, die verlorene Zeit zumindest teilweise auf- und nachzuholen. Und im Falle von IQ scheint mir das besonders lohnenswert zu sein.

Die 17. Veröffentlichung bzw. das neunte Studioalbum ist also zugleich mein erstes, schlicht "Frequency" genannt. Noch kann ich nicht ermessen, welche Entwicklung hinter dieser außergewöhnlichen Platte liegen mag. Ob die mir noch zur Verfügung stehende Lebenszeit ausreichen wird, wage ich einmal zu bezweifeln, dennoch bin ich froh, durch Zufall diese aktuelle Veröffentlichung entdeckt zu haben. Das bestärkt mich, mir weiterhin in bestimmten Abständen eine Kiste, randvoll mit Prog-CDs, zu ordern. Einfach so ins Blaue hinein. Auf diese Weise habe ich schon so manchen Schatz ausgegraben, von dem ich nicht einmal wusste, dass es ihn gibt!

Genau so ein Schatz ist dieses Album. Für mich erfüllt es gar den Status eines musikalischen Wunders, denn IQ kann ich nicht nur hören, sondern auch fühlen ... und zwar bis in jede einzelne Zelle meines Körpers, egal wo sie sich verstecken mag. An jeder Ecke lauern die alten GENESIS, wobei die einstigen Prog-Giganten so frisch und munter zitiert werden, dass einem schier das Herz aufspringt. Zitieren heißt in diesem Falle aber keineswegs kopieren, denn IQ fahren eine völlig unabhängige und eigene Schiene! Dennoch sind die Genesis-Einflüsse unverkennbar, obwohl den emotionalen Riesen keine einzige Sekunde gestohlen wurde! Es klingt halt einfach vieles nach den Alben vor dem endgültigen Geniestreich "The Lamb Lies Down On Broadway". Fast könnte man weiter interpretieren, IQ hätten das komponiert, was GENESIS nach dem letzten Album mit Peter Gabriel komponiert hätten. Der Rest ist eine sensible Zusammenfassung und Nachempfindung der progressiven Großtaten, die uns die 70er Jahre unauslöschlich ins Hirn gebrannt haben.

"Frequency" öffnet eine kilometergroße Leinwand und verlangt vom Hörer vollste Aufmerksamkeit, wobei sich selbst dann die ungeheure Tiefe der Songs keinesfalls im ersten Durchgang erschließen. Fast vermutet man hinter den ruhigen Kompositionen einfachste Strukturen. Doch der Schein trügt und allein die Melancholie des Sangesfürsten Peter Nicholls entführt uns in Welten, wie ich sie schon lange nicht mehr gesehen habe. Dieses Werk und diese Band sind ein wahrer Jungbrunnen. Ich erfahre die Welt wieder, wie ich sie mit 17 gesehen und erlebt habe. Mit nichts als einer Handvoll Träume marschierten wir in eine Zukunft, in der alles möglich zu sein schien. Unbeschwert, sorglos und völlig unbelastet flogen wir durch phantastische Welten und wollten nie mehr zurückkehren. Mit dieser Musik im Handgepäck kommt es mir vor, als wäre ich tatsächlich niemals gelandet und immer noch unterwegs in ferne Weiten. Dort, wo man noch vor lauter Glück Rotz und Wasser heulen konnte.

"Hold on, when I'm dead and gone from you
Remember me as light breaking through
Stay strong, any time you feel you're lost
I will carry you back across ... "

Nach zahlreichen Höhepunkten gibt mir diese Stelle dann den Rest. Wenn sich komplexe Strukturen in einer solchen Orgelpracht entfalten, ist bei mir sowieso alles zu spät. Dabei ist "Closer" nicht einmal der "beste" Song der CD, jedoch trifft (mich) dieser mitten ins Herz. Die steinerweichende Atmosphähre und dieser göttliche Spannungsbogen sind unerreicht. Herr Nicholls hält sich auch hier vornehmst zurück, doch mit der Leichtigkeit des Scheins offenbart er eine unendliche Weite, welche die Kollegen in bescheidener Schlichtheit und in Vollendung unterstreichen. Weitläufige und großzügige Keyboardphantasien treffen auf feinfühlige Gitarren, die mir aus der Seele spielen. Dazu die herzerwärmende Intonation von Nicholls, der nicht umsonst als einer der besten Prog-Sänger gehandelt wird ... wenn er nicht gar der beste ist! Es ist einfach phantastisch. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie es wohl klingen möge, wenn diese Gottbegnadeten einmal voll aufdrehen würden oder gar zwei bis drei Schippen Schwermetall auf die Barke kippen würden!

"Frequency" ist eine meiner Platten des Jahres 2009 und eine der besten Prog-Scheiben dieser Erde sowieso. Dennoch verkneife ich mir für das Gesamtwerk die 12+ oder gar die absolute Höchstwertung 12++, weil mir nicht gerade wenige Reviews der schreibenden Zunft verraten, dass es einige Scheiben dieser Band gibt, die noch besser sein sollen. Zwar bin ich nicht in der Lage, mir dies auch nur annähernd vorstellen zu können, in diesem Falle aber geneigt, den (nicht immer) hochverehrten Kollegen Glauben zu schenken!

Ich verneige mich in tiefster Hochachtung.

Fazit: Zärtliche Macht. Stille Unermesslichkeit.  


Thomas Lawall - September 2009

Bewertung: 12/12
"Closer": 12++



Line-up:

Andy Edwards: Drums and percussion
Michael Holmes: Guitars and keyboards
John Jowitt: Bass guitar
Peter Nicholls: Lead Vocal an backing vocals
Mark Westworth: Keyboards


www.iq-hq.co.uk/


Tracklist:

1. Frequency
2. Life Support
3. Stronger Than Friction
4. One Fatal Misake
5. Ryker Skies
6. The Province
7. Closer

Bonus DVD: Live at Zoetermeer (NL) 2007

 

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum