PLACE4TEARS - Whales don´t cry for suicide u.p. (2013)
Cold-Heavenly-Goth
Vornehm geht die Welt zugrunde und die Truppe um Mastermind Tyves Oben gedenkt sich ebenso vornehm mit einem Gesamtkunstwerk zu verabschieden. Neue Ufer rufen, aber so einfach werden die Zelte nicht abgebrochen. Nach zehn Jahren Bandgeschichte will man die Fans nicht einfach so vor den Kopf stossen. Ein feiner Zug, und es gilt das Motto "brillant times need a brillant end" - notiert auf der Grabesinschrift des finalen Monuments.
Durchaus keine charmante Untertreibung, denn was die beteiligten Damen und Herren zu bieten haben, kann sich tatsächlich sehen und hören lassen. Zum zehnjährigen Jubiläum und zur gleichzeitigen Auflösung der Band entschied man sich dazu, die Pläne für ein neues Album sowie eine neue Compilation einfach zu verbinden. Track 1, 4, 9, 14 und 18 sind neu, bzw. alte und/oder unveröffentlichte Stücke. Ein Klangspektrum, das sich erst noch entfalten muss und nach ein bis zwei Hördurchgängen keineswegs in seiner Gesamtheit erfasst werden kann.
Neue Klangwelten werden insofern erschlossen, indem sich eine ganze Reihe befreundeter Bands entschlossen haben, den Abschied mit eigenen Interpretationen alter Songs klanglich zu unterstreichen. Folgende Schwarzmaler sind involviert: The Spiritual Bat, Sweet Sister Pain, Demoncast, Tragic Black, Vendemmian, Shadow Image, Sean Bowley, The Mescaline Babies, Reactive Black, Verney 1826, Daniel Colletti's Electric Bat Cave, Oberer Totpunkt und Manzana Oscura.
Wenn ich in meinem Review des edlen Vorgängers "the silent flame (y fflam fud)" von "der endlosen Weite der Dark-Wave-Schublade" und den entsprechenden Parametern geschrieben habe, muss dieses Spektrum nun erheblich erweitert werden. Eine entsprechend lange Entdeckungreise quer durch wohlklingende Dunkelheit und endlose Ambivalenzen darf also erwartet werden.
Im Einzelnen darauf einzugehen, dürfte bei der Menge von 18 Tracks jeden Rahmen sprengen - die Anzahl sei aber hiermit erwähnt, denn mit insgesamt fast 70 Minuten Spielzeit gibt es hier wieder ein fulminantes Paket für den entrichteten Obolus. Dazu noch in einer wohlfeilen Verpackung, passend zum Vorgänger, den ebenfalls eine King-Size Jewel Box zierte.
Dennoch muss ein genauerer Blick und ein Vergleich der verschiedenen Songs zumindest angedeutet werden. So viel Zeit muss sein. Während beispielsweise auf "the silent flame" Track 15 "septembers breath" in wohltemperierter Melancholie auf das Gelände der Aussichtslosigkeit trieft, legen Verney 1826 im entsprechenden Cover noch eine Schippe Verzweiflung nach, wobei PLACE4TEARS einst das insgesamt ausgewogenere Klangergebnis erzielten. Zwei weitere Coverversionen stellen das Original in diametral entgegengesetzter Auslegung in den freien Raum und unterstreichen damit die Zeitlosigkeit der Komposition.
Ähnlich, nur ganz anders, verhält es sich mit "Illusion". Während der Mix von Mark Douglas ein flottes Nümmerchen aufs Parkett zaubert, ein zweiter Mix von Tragic Black mit Elektronikspielchen und Basslastigkeit liebäugelt und ein dritter gänzlich überrascht, grämt sich das Original von 2006 im Zwielicht einer seltsamen Bescheidenheit - und verhält sich im Vergleich dazu fast wie eine Zeitlupenstudie. Alle vier Versionen kommen auf ihre Art sehr genial!
"princess valium" glänzte vor 7 Jahren mit der gegebenen Zurückhaltung. Doch damit nicht genug. Tyves Oben beliebte es, die Töne handzuverlesen und einzeln auf die Goldwaage zu legen. Das Ergebnis war ein Schwelgen in perfekter Balance! Demoncast verwandeln den Song in magische Zauberei, entrückt und fast nicht mehr greifbar. Eine phantastische Hommage!
Und so geht das munter weiter. Es lohnt sich also für alle Jünger der schwarzen Kunst, sowohl den Abgesang als auch "the silent flame" zu ordern, falls noch nicht geschehen, denn beide Scheiben sind auf ihre Art musikalische Unikate und Sammlerstücke. Vielleicht klingt "Whales don`t cry for suicide", zumindest stellenweise, einen Tick moderner. Wenn ich einst davon schrieb, dass 2006 so manches Rätsel aufgegeben wurde, so wird mit der aktuellen Scheibe das eine oder andere gelöst. Vielleicht ... denn aus einem anderen Blickwinkel bleiben und ergeben sich nun anderere, neue Fragen. Das letzte Stück "Where The Chosen Get Chosen" mag ein Beleg dafür sein ...
Neben allen ausgetretenen Gothic- und Darkwave-Gedöns-Pfaden ist und bleibt die Truppe um Tyves Oben eine Ausnahmeerscheinung und hat sich den Status einer Legende schon jetzt erobert. Doch wo etwas aufhört, fängt etwas anderes an. Das Andere hat sogar schon einen Namen. "Scarless Arms" nennt sich das neue Projekt von Tyves Oben.
Man wird hören ... und hoffentlich wieder staunen.
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