CD-Review

?ALOS  "Ricordi indelebili" (2006)

One girl cooking music


Hmja, was ist das nun wieder? Bevor hier jetzt gar keiner mehr durchblickt, sag ich's gleich. Hinter ?ALOS verbirgt sich die ebenso liebensgewürzige wie völlig durchgeknallte Sängerin von OVO und ALLUN. Soweit so klar. Im Prinzip ist das aber auch schon alles, was klar definiert werden kann. Ansonsten entzieht sich das Soloalbum von Stefania Pedretti jeder Erklärung. Jeder "vernünftigen" jedenfalls. Denn diese Platte ist einfach zu schräg für diese Welt.

Grundidee scheint mir zu sein, dass hier Bruchstücke von Momentaufnahmen des Lebens zelebriert werden. Schauplatz ist die Bühne (unserer Existenz) - reduziert auf einen sehr privaten Bereich: die Nahrungszubereitung. Rund um dieses Thema bastelt ?ALOS absonderliche Musikeinlagen, die stets sehr abstrakt ausgeführt werden.

?ALOS ist nicht gewöhnlich und denkt nicht gewöhnlich. Dennoch gibt man sich nur scheinbar den stark reduzierten Schemen hin, denn im Anliegen der Truppe ist durchaus ein ganzheitliches Konzept erkennbar - wenn auch nicht auf CD.
Ein Tonträger kann niemals alle fünf Sinne ansprechen, aber genau dieses passiert bei der Live-Präsentation des Projektes.

Ein einsames Mädchen kocht und stellt die Welt der Harmonien auf den Kopf. Warum sie das tut, bleibt im Verborgenen und darf vom Publikum selbst herausgefunden werden. Ähnlich wie bei OVO, darf es aber an der Performance teilnehmen, wenn auch in verändertem Maß, denn wie schon gesagt, werden bei diesem Projekt alle Sinne aktiviert. ?ALOS "greift" sich jemanden aus dem Publikum und für diese Person wird gekocht. Neben dem Augen- und Ohrenschmaus wird nun auch noch der Geschmacksinn bedient. Der Rest darf sich in diesem Zusammenhang immerhin mit dem Geruchsinn begnügen.

Musikalisch gibt man sich mit bizarren Klangfragmenten von Gitarre, Cello, Geige und Klavier alle nur erdenkliche Mühe, bloß keine nachvollziehbaren Tonfolgen zu erzeugen. Selbstverständlich ist die auch nur ansatzweise Andeutung einer Melodie verpönt - ja sie ist schlicht nicht notwendig (Ausnahme "Sola"). Die Instrumente klingen, wie sie sind. Man erkennt sie. Als solche. Und das reicht ja wohl.

Im Gegensatz zur Melodienfeindlichkeit steht der Wunsch nach Rhythmus. Die beiden Themen scheinen im ständigen Widerspruch verstrickt zu sein und erschaffen im permanenten Streit eine völlig neue Begrifflichkeit. Diese Musik wird es nie geben und doch ist sie real. "Luglio 1996" ertrinkt in der Rhythmuswand während ?ALOS kreischt und hier und da in hämisches Lachen abbricht. "27 Gennaio 1997" spielt das gleiche Spiel, wobei ?ALOS hier weitaus differenzierter zu Werke piepst. Krass, aber nicht ohne (naiven) Charme. Dieser dominiert auch in "Aprile 1999", wobei sich hier Stimme und Cello auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.
Track 6 hat fast Disco-Qualitäten ... wenn der Stampf nicht durch minimalistisches Saitengezupfe gestört und von ?ALOS zersungen würde. Es folgt ein Cello-Zwischenspiel, bevor "21 Gennaio 2003" mit düsterem Elektrobrei verstört ...

Und so geht das munter weiter, bis an die Grenzen der Erträglichkeit und darüber hinaus. Seltsam dabei ist nur, dass es beim zweiten Hördurchgang schon ganz anders aussieht. Und beim dritten erst recht. Denn wie sollte man zu der verschrobenen Cello-Phantasie in Track zehn beim ersten Mal auch nur annähernd Zugang finden. "29 Aprile 2004" stürzt in die tiefsten Abgründe der Einsamkeit und der Zerrissenheit ...

... und die zwei vorletzten Tracks sind wirklich mehr als eine Reise in die surreale Welt unlogischer Klänge ... bevor "Sola" - ein krankes Kammerspiel - den bunten Reigen beschließt. In einem Duett der anderen Art, liefern sich Geige und Stimme einen "Klangwettstreit" der anstrengenden Art, begleitet von zarten Pianoklängen. Sie singen, spielen und parodieren sich gegenseitig in Grund und Boden, bevor sie sich nach sieben Minuten im absoluten Nichts verlieren. Großartig!

Fazit: Vegetarische Schnitzeljagd. Absurdes Musiktheater.

 

Bewertung: 5 von 5 Sternen

Thomas Lawall - Dezember 2007

 

 

Tracklist:

01. Agosto 1976
02. Profumo 1994
03. Luglio 1996
04. 27 gennaio 1997
05. Aprile 1999
06. 2001
07. 8 Aprile 2002
08. 21 Gennaio 2003
09. 29 Marzo 2003
10. 29 Aprile 2004
11. Autunno 2004
12. Dicembre 2005
13. Sola

Line-up:

?Alos: Voce, chitarra, violoncello, violino, giochi
DJ Tonnerre: Ritmi e bassi
Mae Starr: Piano


www.signorinaalos.com
 

 

 

 

 

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