Blind Review Nr. 6

Interpret, Albumtitel und Erscheinungsjahr sind nicht bekannt



(1) Schon jetzt, kurz nachdem ich die Platte aufgelegt habe, werde ich emporgehoben und darf auf kraftvollen Schwingen meine armselige und trübe Umgebung verlassen, es geht immer höher und weiter, stets begleitet mich eine sphärisch improvisierende E-Gitarre, mal sliding, mal erdiger (hat Kalle Santana eigentlich auch Entspannungs-CDs aufgenommen?), wir zwei segeln dem Horizont entgegen, folgen in großer Höhe Flussläufen, überqueren Gebirgszüge und überblicken riesige Wälder, und schließlich, am Horizont, grüßt uns das Meer. Hier, an der Küste, wo alles beginnt und alles endet, werde ich abgesetzt, und ich warte ein wenig gespannt, wen oder was ich hier treffen soll.

(2) Ich werde überrascht durch ein perlendes Piano, das die Einleitung gibt für das, was folgt, und ich werde schnell gewahr, was das ist: ein Konzeptalbum! O.K., ich bekomme also eine Story geboten - mal hören, welche. Untermalt wird das (E-)Piano mittlerweile von Synthesizern und einem für meinen Geschmack etwas zu geradlinigen, beinahe sterilen E-Schlagzeug (möglicherweise sogar ein Drumcomputer?).
Der Titel nimmt zunehmend Fahrt auf und arbeitet sich förmlich weiter durchs Thema, immer wieder hört man geschickt arrangierte Bridges, bis dann sogar Gesang hinzukommt, jemand trifft seinen Engel, seine Beschützerin oder jedenfalls eine altbekannte Macht - vielleicht bin ich selbst diejenige, die dieses Wunder erlebt... und eine Entwicklung durchmacht, denn es geht um folgendes: "Let me be myself again."
Zum Ende dieses Tracks gibt es nochmals einen größeren Break, der durch weitere (elektronische) Instrumente gekennzeichnet ist, Klarinetten- oder Flötenklänge muntern die Szene etwas auf, erfreuen aber auch durch die stetig wiederkehrenden Sujets.

(3) Dunkel-sphärisch dräut die Nr.3 herauf (wir kennen das so ähnlich schon von Nr.1, Obacht, Konzept!), nur variieren wir diesmal abwechselnd zwischen härterer, rhythmischer Gitarrenarbeit und in spielerischer Manier über die bekannten Themen. Ich bilde mir ein, zwei irgendwie gegensätzliche, jedoch sich ergänzende Prinzipien bewegen sich unaufhörlich aufeinander zu...
Es gibt auch wieder Gesang, wobei ich bei dieser Nummer kurz ins Grübeln komme, ob der Künstler überhaupt besonders gut singen kann? Etwas bemüht wispert und haucht er über die höheren Lagen hinweg (ob das einer dieser Musiker ist, deren Singstimme durch ihre Schmetter- und-Gröl-Vergangenheit gelitten hat?) Der Titel bleibt bei seiner spannungsvollen Zwiegespaltenheit zwischen kraftvoll-kriegerisch und leichtfüßig-verspielt, um letztendlich wieder im bekannten "Reise"-Thema zu enden.

(4) Ich reise weiter per "Gitarrentransporter", es gilt abermals etliche Riffs zu überqueren:-), und werde nun direkt auf einem Klangteppich der absoluten Schwerelosigkeit abgesetzt... herrlich ist das... zauberhaft... ich spüre in der Ferne meinen gitarristischen Begleiter kreisen, bis die Zeit gekommen ist und wir leider weiter müssen...

(5) Ich finde mich wieder mitten in der Geschäftigkeit der mir bekannten Welt, nicht allein, mein Begleiter verlässt mich zum Glück nie, und nun werde ich abermals durch den Liedtext belehrt, worum es geht: "sometimes it's hard to speak ... let the music play ... can't you see the clue: it's you and me... night goes out and day comes in ... all that you were through was meant to be ...". Das Erlösungsthema hängt permanent mit im Raum, und es mündet auch in diesem Stück wieder in harter Rhythmusarbeit, doch zum Glück segelt hoch über allem mein ewiger Begleiter und lässt mich hoffen, dass wir die Erlösung noch finden werden!

(6) Diesmal wurde ich direkt "outer space" abgesetzt - ich bin allein, jedoch umgeben von einer guten Magie, von der Ur-Idee aller Wesen, und damit auch irgendwie eins mit allen Wesen ... Ein irres Gefühl, wie man es sich so nicht einfach ausmalen kann...

(7) Das Piano setzt wieder ein, ich meine die Melodien schon zu kennen, die mich umgeben - es ist wie ein Rückblick in die Vergangenheit: ich sehe Kinder spielen, ich sehe Freunde lachen, ich sehe Jahreszeiten an mir vorüberziehen ... und werde schließlich wieder am Meer angespült, wo meine Reise auch begonnen hat.

(8) Das Ende markiert eines der schönsten Stücke der Platte, es beginnt mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, und hier wird das Piano von sehr schönem Gesang begleitet: o.k., er kann's doch!
Ich bin jetzt wieder in meiner Welt angekommen, fühle mich noch etwas benommen, wie ein frisch geschlüpftes Küken mit nassen Federn - "Just like a child I try to hide ... I'm here with just one plan, I want to find myself again, feel the mystery of fate ..." Und dann kommt das zentrale Thema, wirklich erhebend und voller Hoffnung kann ich einstimmen: "I see the light"... Mein gitarristischer Begleiter lässt mich auch jetzt am Ende, in meiner Welt, nicht allein, ich glaube sogar, er wird ab jetzt immer bei mir sein, mit einem unglaublichen Sound hüllt er mich nun völlig ein, und erst als dies kleine Epos verklingt, merke ich, dass ich offenbar bis zum Ende mitgesungen habe...

Dies Album zu hören ist wie ein Gang in die Oper oder wie eine Reise ins Innere: man wird auf der inneren Bühne etwas erleben, und vielleicht wird es bei jedem Hörer etwas anderes sein. Es ist Musik zum Abtauchen - und durch die etwas fette und studiotechnisch perfekt-sterile Produktion wird man gut daran tun, das Ganze eher auf einer High-End-Anlage zu hören (im Rumpel-Ghettobaster wird DAS sicher nix).

Von mir gibt's 10 Punkte dafür (die Abzüge resultieren lediglich aus den teils etwas bemühten und zuweilen etwas techniklastigen Variationen und dem klinisch-reinen Sound der Begleitinstrumente).
Super!

 

Bewertung: 10/12

Anja-Maria - November 2008

 

 


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