getrieben. Stories aus der weiten wilden Welt
von Andreas Altmann
208 Seiten © SOLIBRO Verlag, 48143 Münster 1. Auflage 2012 (Broschur) www.solibro.de ISBN 978-3-932927-49-2
Geschichten, die das Leben schreibt? Nein, schlimmer und schöner zugleich: Geschichten, die der Altmann schreibt:
Es ist furchtbar, einsam zu sein. Genauso wie das Gegenteil, denn immer behütet zu werden, "nie einsam sein dürfen, das ist nicht weniger grauenhaft." Schön, dass das Leben aber eine ganze Menge Überraschungen parat hält, jedenfalls für diejenigen, die Leben nicht mit Abwarten oder Ausharren verwechseln. Noch schöner sind die sich dann ergebenden Zwischenfälle, welche stets und zwangsläufig denjenigen vergönnt sind, die sich inmitten der tosenden Fluten des Lebendigen befinden und ein ums andere Mal unter die Wasseroberfläche gezogen werden, um gleich wieder hustend und spuckend nach rettendem Sauerstoff die Oberfläche in letzter Sekunde zu durchbrechen.
Zu den harmloseren Zwischenfällen können Vermieterinnen gehören, die ernsthaft Damenbesuche verbieten. Andreas Altmann reagierte. Sofort und unmittelbar. Wie immer. Einem solchen Anliegen konnte er nur mit der sofortigen Kündigung des Etablissements begegnen. Damals waren die Tage erfüllt von "Einsamkeit" und konnten somit auf das Gegenteil nicht verzichten.
"Viel einsamere Tätigkeiten als stehlen und lesen gibt es nicht", stellt Altmann fest und fügt die Dinge mit seiner ganz eigenen Sichtweise zusammen. Dank seines "Geburtsfehlers" ("genetisch bedingte Bargeldlosigkeit") sah er sich in jenen Tagen gezwungen, im großen Stil und mit eigens zu diesem Zweck hergestellter Kleidung seine heißgeliebten Bücher ("Wächter gegen Schwäche-Anfälle und Feigheit, Heilkraut gegen Schrammen täglicher Bosheiten und Flammenwerfer gegen die Verwüstungen einer vollkaskoversicherten Windel-Gesellschaft") zu stehlen. Das sparte einerseits eine Menge Geld, welches er aber in diesen Tagen eh nicht besaß, und bildete -ungleich wichtiger- eine für ihn romantische Komponente.
Bis zu einem der zahlreichen Zwischenfälle in seinem Leben. Wenn schon mitten im und mit dem Leben (und nicht etwa gegen den Strom, wie Viele irrtümlich annehmen und formulieren), dann kann es auch schon einmal vorkommen, in wenigen Sekunden um 10 + 1 Jahre zu altern ...
Der "bibliophile Ex-Langfinger" hat natürlich mehr zu bieten, wobei mir hier die Auswahl etwas schwerfällt. Soll ich dem geneigten Leser etwas von den weit über 50 Umzügen erzählen, den zahlreichen Reisen quer und durch die Welt, sexuellem Ungemach mit einem reichlich eingefetteten Fernando oder gar einem notgeilen Hündchen, der "Hinrichtung einer schönen Geliebten" - sprich: Altmanns Kreuzzug gegen den Raubbau der Sprache, im Zusammenhang mit profilneurotischen Redakteuren, kreativem Versicherungsbetrug, dem Drama rund um Celeste und einem, der nicht mehr aufstehen wollte, den Langfingereien hinter den Brettern, die die Welt bedeuten, oder einem fundamentalen Trip samt unerwartet weicher Landung?
Nein, denn selber lesen macht Spaß - wobei einem dieser schon manchmal im Halse stecken bleibt und auch bleiben soll. Denn was wäre ein Leben wie das von Andreas Altmann, wenn man es nicht mit anderen teilen, ja in die Welt hinausschreien könnte? Ohne Publikum geht es nicht ... wobei in diesem Zusammenhang die Widmung des Buches reichlich vorlaut formuliert ist. Denn neben denjenigen, "die ihr Recht auf ein eigenständiges, eigenwilliges Leben nicht verraten haben", existieren noch die anderen, die vielleicht nicht die Möglichkeit dazu hatten, oder denen schlicht der Mut fehlte, sich selbst zu verwirklichen. Diese dürfen und sollen aber ebenfalls ihr Geld ausgeben dürfen, oder? Vor allem, wenn das bereits 2005 erschienene Buch ausgerechnet nach dem großen Erfolg von "Das Scheißleben meines Vaters, das ... " noch einmal neu aufgelegt wird.
Die Geister werden sich natürlich (auch) an diesem Buch scheiden, so wie das schon immer war und auch immer bleiben wird. Freigeister sind unbequem, unerwünscht und gefährlich. Doch neben all dem Umtrieb, der zur Schau gebotenen Gier auf sämtliche verfügbaren Abwege gibt es für die in Sess-Haft Schmorenden mindestens einen Grund, seine Geschichten mit Lust und Wonne zu lesen und zu verinnerlichen: Seine Sprache! Direkt, ebenso unverbaut wie schonungslos ehrlich und von tiefgründigen Metaphern weitgehend unbelastet, schildert uns Andreas Altmann wortverliebt einen Bruchteil seiner ganz persönlichen Evolution und lässt uns im geringstmöglichen Abstand daran teilnehmen: "Mich hungert nach hintereinander aufgestellten Worten, die mich betäuben, die mir ein Geheimnis vom Leben erzählen, die mich, den Leser, verstören oder verzaubert zurücklassen."
Dieses Buch ist voll davon. Das, was er selbst von einem Buch erwartet, gibt er 1:1 an seine eigenen Leser zurück. "Getrieben" von der unbändigen Lust auf Leben, schreibt Andreas Altmann ohne jede Rücksicht auf Verluste. Sein Lebenshunger tropft förmlich aus diesem Buch heraus, erschreckt und verunsichert seine zitternden Leser, aber er kann sie auch wecken, formen, vielleicht sogar ein wenig radikalisieren, gelegentlich in den Hintern treten, gleichzeitig neue, andere und aufregende Wege zeigen und eines vor allem: die Augen öffnen.
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