Literatur

Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Muttter und meine eigene Scheißjugend

von Andreas Altmann


256 Seiten
7. Auflage 2011
© Piper Verlag GmbH, München 2011
www.piper.de
www.andreas-altmann.com
ISBN 978-3-492-05398-3



Es war nicht nur der Psychoterror. Doch den größten Teil des Tages konnte Franz Xaver Altmann damit füllen. Randvoll. "Hätte man Vaters Verhalten in einen Film über Geisteskranke hineinkopiert, es wäre nicht aufgefallen." Selbst in den unmöglichsten Winkeln des Hauses entdeckte er Staub und belegte seine Frau, die auch seine Putzfrau war, mit den übelsten Vorwürfen. Seine verbalen Zerstörungsorgien konzentrierten sich aber keineswegs nur auf dieses Sachgebiet, denn wozu gab es die Klobürste, woran sich noch Reste von Fäkalien befanden, nicht ganz strahlend reine Hemden, zu großzügig befüllte Heizkessel oder schlecht gekochte Mahlzeiten! Seine Machtdemonstrationen fanden schier kein Ende. Dies war aber längst nicht alles ...

Als Vierzigjähriger kam der Vater aus dem Krieg zurück. Geredet wurde darüber nicht. Was vorgefallen war, blieb im Dunkeln. Immerhin sieht ihn sein Sohn Andreas als "Zombie", der in der nächsten Hälfte seines Lebens weiter Krieg führen wird. "Aber diesmal diente nicht der ferne Ural als Kampfzone, sondern die eigene Familie."

Dabei hätte es anders kommen können. Einst ein "notorischer Gutausseher" wurde sein Vater mit "Göttergaben" bedacht. Als junger Mann hätte ihm die Welt gehören können. Die Familie war gut betucht, die Schule bestand er mit Bravour. Auch die Mutter hätte als Tochter eines Hoteliers vom "ersten Haus am Platz" andere Wege gehen können. Als 18-jährige durfte sie gar den Heimatort verlassen, um in Hamburg ein Spracheninstitut zu besuchen. Das "Tor zur Welt" hätte es für sie sein können, doch es kam anders. Bei einem Heimatabend traf sie den 15 Jahre älteren Sohn des "königlichen Kommerzienrats" und Ehrenbürger Altöttings, und entschied sich für ihn. Er, der fortan sein Leben als "Devotionalien-Trödler" fristen wird. Sein Vater setzte sich durch. Auch er wurde "Rosenkranzhändler" und verbrachte seine fast achzig Jahre "in einem Kaff, das man als Geburtsort nicht öffentlich aussprechen, nur als Geburtsfehler verheimlichen will: Altötting".

Der Krieg verschaffte seiner Mutter einen Aufschub. Während ihr Mann nach Osten zog, verbrachte sie in jener "himmlischen Zeit" einige Wochen in München und spürte das pulsierende Leben. Die politischen Gegebenheiten nahm sie nicht ansatzweise wahr. Sie ahnte in jenen für sie unbeschwerten Tagen weder, was auf Deutschland und später auf sie zukommen würde ...!

Jeder potentielle Leser sollte sich darüber im Klaren sein, hier keine Fiktion, kein versülztes Drama, keinen konstruierten Kriminalroman und keine ebenso "gut zu lesende" wie massenkompatibel frisierte Einwegliteratur vorzufinden. Andreas Altman ist bereit, "alles Schlechte" über seinen Vater zu bezeugen. Seite für Seite berichtet er ohne Wenn und Aber über seine Schandtaten und er lässt nichts aus. Schließlich war er Vaters "bevorzugtester" Prügelknabe und hat, wie er schreibt, ein Recht auf seinen Hass.

"Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Muttter und meine eigene Scheißjugend" ist ein Zeugnis menschlicher Armut auf der einen und Verzweiflung sowie Ohnmacht auf der anderen Seite. Und noch viel mehr. Zeitgeschichte vielleicht. Aber eine authentische! Was haben wir alles über jene Tage gelesen. Sachthemen gibt es wahrlich genug. Doch wie sah es damals in den Familien aus? Wie lebten ganz "normale" Familien wirklich? Hier finden wir eine Antwort. Eine erschreckende, schockierende. Und doch ahnen und befürchten wir, dass es wohl kein Einzelfall war ...

In einem ausführlichen Nachwort beschreibt Andreas Altmann seinen weiteren Werdegang nach der Flucht von zu Hause. 19 Jahre alt war er damals, und noch einmal so lange sollte er brauchen, bis er seinen Weg gefunden hat. Reisen um die halbe Welt, eine therapeutische Odyssee und Aufenthalte in Indien brachten ihn seinem Ziel näher, doch finden musste er es selbst. Und er fand es!

Ein bemerkenswertes Buch von einem bemerkenswerten Menschen. Er ging durch die Hölle, aber er gab nicht auf. Ein Opfer, das kein Opfer mehr sein wollte und will, und das Gelebte und Erfahrene als Chance und als Antrieb nutzte, eine Welt zu finden, die man ihm verwehren wollte ...

 

Thomas Lawall - Dezember 2011

 

 

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