Literatur

Zwei im Sinn

von Bettina Steinbauer


272 Seiten
© SOLIBRO-Verlag, Münster 2008
www.solibro.de
ISBN 978-3-932927-40-9



Klara will sich bedeckt halten, trotzdem zweifelt sie an der richtigen Wahl ihrer Garderobe. Und an dem, was sie gerade tut, erst recht. Doch wie es scheint, ist es eher ein "formales Abwägen". Noch kann sie einfach wieder nach Hause gehen, doch es ist wie bei einem Einkauf von mehr oder weniger sinnlosen Gegenständen, die man sich entweder nicht leisten kann oder gar nicht braucht, deren Anschaffung aber längst entschieden ist.

Trotzdem ist sie verärgert. Schließlich hat Arthur sie zu dem genau definierten Termin bestellt, "wie man sich an einer Grillbude eine Currywurst bestellt, wohl wissend, dass man auch eine bekommt". Noch ärgerlicher ist, wenn man sich trotz allen Zweifeln dann doch irgendwie (ver-)leiten lässt.

Immerhin nimmt das Rendezvous, zumindest aus Arthurs Sicht, den einen oder anderen ungeplanten Verlauf. In der zunächst avisierten Lokalität gedenkt Klara nur eine Vorspeise zu bestellen. Anschließend wird die Restauration gewechselt, doch auch hier gibt es nur einen weiteren Gang. Arthur möchte am Ende geklärt wissen, ob seine Auserwählte ihr Abendessen immer in drei verschiedenen Restaurants zu sich zu nehmen gedenkt.

Dabei ist noch nicht einmal die Sache mit der Ente letztlich geklärt. Bei einem Fußmarsch entlang der Spree, zur nächsten Lokalität, begegnen sie einer Ente, die von "zwei sich fetzenden Erpeln" gejagt wird und sich nur mit letzter Kraft ans Ufer retten kann. Klara greift ein, um sie "vor einer weiteren Vergewaltigung" zu schützen. Es entbehrt einer gewissen Komik nicht, wenn Arthur fragt: "Wollen Sie die Ente etwa mitnehmen?"

Die sich anbahnende Liaison zwischen Klara und Arthur erzählt Bettina Steinbauer in einer Form, die mir so noch nicht untergekommen ist. Man muss nicht unbedingt Germanistik und Philosophie studiert haben, um die Dialoge der Beiden und insbesondere Klaras komplexe Gebirge aus Fragen und Interpretationen verstehen zu können. Hilfreich wäre es, ob des Niveaus, allerdings schon. Kitschfreier kann man eine "Liebesgeschichte" nicht gestalten und formulieren, anspruchsvoller aber auch nicht (wobei zu klären wäre, ob "wahre" Liebe derart viel fragt oder gar zweifelt).

Die vermeintlich füreinander Bestimmten, jedoch in ihren eigenen Welten fest Verankerten, befinden sich durchaus in ambivalenten Positionen. Zwischen ihnen funkt es im wahrsten Sinne des Wortes und dies auf mehreren Ebenen zugleich. Auch die körperlichen Annäherungen und Ausführungen schildert die Autorin in einer (mir) gänzlich ungewohnten, fast lyrischen Dichte. "Die Ziffern der Zeit lösen sich auf...". Es ist wie ein Geschenk, so etwas lesen zu dürfen!

Doch allzu oft entwickeln sich die lyrischen Momente des Romans immer wieder in analytische Richtungen, verlaufen sich geradezu in diesen. Einerseits formuliert Klara so etwas wie die totale Harmonie, andererseits sendet sie ständig Fragezeichen in Arthurs Denk- und Verhaltensstrukturen und verliert  sich ebenso permanent in gnadenloser Selbstanalyse, was sie zudem nicht selten übertreibt. Sie sucht nach Glück, doch wenn sie es hat, kann sie es nur schwer ertragen. Ständig scheint sich ihr Herz zu verlaufen. Sie irrt in "aufregenden Beunruhigungen", "übergeordneten Bedeutungen" und "vorstellbaren Gemütsalternativen" herum, auf der Suche nach etwas, was es vermutlich gar nicht gibt. Jedenfalls nicht in ihrem Sinne.

Auf die Spitze treibt sie es beispielsweise, wenn sie gerne das Wort "Liebster" aussprechen würde, sich aber nicht traut, da "die Endung -s-t-e-r keine Steigerung mehr zulässt, kein Vakuum, was noch gefüllt werden könnte". Also wie jetzt?, fragt man sich bisweilen öfter. Auch wenn sie gerne "liebevoll entmündigt" werden würde, und sie kurz darauf wieder "lähmende Vorsicht" das Fürchten lehrt. Doch jene Ambivalenzen sind die Kronjuwelen dieses Romans. Man kann sich an den indirektuellen Verschraubungen erfreuen - "... in dem was er (Arthur) ist, aber nicht zu sein vermag ..." - verstehen, im Sinne von Nachvollziehen, muss man diese aber nicht zwingend. Wie auch, wenn selbst Physiker Arthur die Grenzen des Verstehens erreicht.

Auf jeden Fall ist das erste Buch von Bettina Steinbauer, welches mich erst nach der Lektüre des ebenso großartigen Titels "Das Unbehagen der Elsa Brandt" erreicht hat, eine weitere Ausnahme und ein Glücksfall im völlig überlaufenen Literaturbetrieb. Erfrischend und gnadenlos anders, den Geist mit Licht, trotz allem, durchflutend, erzählt sie die Geschichte zweier Seelen, die sich am "unsicheren Ufer der Gefühle" treffen und eine kopflastige Affäre, eine riskante Fahrt und Flucht aus ihren alten Leben wagen. Zeitweise zumindest. Aus dem Leben mitten in selbiges zu springen, ist nicht so einfach.

 

Thomas Lawall - März 2016

 

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