Wiener Wortgeschichten Von Pflasterhirschen und Winterschwalben
von Robert Sedlaczek und Reinhardt Badegruber
248 Seiten © 2012 Haymon Verlag, Innsbruck-Wien www.haymonverlag.at ISBN 978-3-7099-7017-1
Mit etwas Unerfreulichem möchte ich beginnen. Unerfreulich aber unvermeidlich ist es, das Sterben. Der Wiener wäre aber sicherlich kein solcher, wenn er nicht auch für "sterben", das engültigste aller Zeitwörter, mundartliche Entsprechungen gefunden hätte. Roland Neuwirth, der österreichische Autor, Sänger, Komponist und "Extremschrammler" hat in "Ein echtes Wienerlied" gleich eine ganze Reihe Umschreibungen wie z.B. "er hat die Patschen gstreckt" oder "er hat si sozusogn ins Holzpyjama ghaut". "Er hat a Bankl grissn" könnte man ebenfalls sagen, welche die im Wienerischen gebräuchlichste Redewendung für "sterben" bedeutet. Robert Sedlaczek weiß aber sogleich den Irrtum aufzuklären, die Herleitung mit "eine Bank niederreißen" in Verbindung zu bringen.
Weniger verbreitet ist das Wort "Bassenaprozess", wie man früher Ehrbeleidigungsklagen genannt hat. Seinen Ursprung leitet das Wort von "Bassena" (franz. "bassin" - Wasserbecken) ab, welches in früheren Mietshäusern als Wasserstelle für alle Bewohner diente und gleichzeitig Treff- und Ausgangspunkt für allerlei Gerüchte und den damit verbundenen Ärger darstellte.
Ganz seltene Wörter fehlen ebenfalls nicht, und so hat der Autor auch das Adjektiv "dünngselcht" in seine aktuelle Sammlung übernommen. Auch das dazugehörige Substantiv "der Dünngselchte" hat er in keinem Wörterbuch des Wienerischen finden können, weshalb er auch in diesem Fall - einem ziemlich bösen Schimpfwort - genaue Auskunft zu geben in der Lage ist.
Sehr genau nimmt es Robert Sedlaczek auch, was die Umschreibung "gschamster Diener" betrifft, denn nur auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine Verunzierung von "gehorsamster Diener", da hier andere Wurzeln benannt werden können. Ähnlich bei dem nicht unwesentlich bekannteren "deppert", wobei es hier weniger um Missverständnisse bei der Herkunft des Wortes geht, sondern um solche im allgemeinen Sprachgebrauch. Es ist nämlich ein großer Unterschied, ob man "bist deppert?" fragt oder "bist du deppert?". Sehr interessant sind auch die Wandlungen, die ein Wort im Laufe der Zeit mitgemacht hat - so im Fall von "Kieberer" eindrucksvoll beschrieben.
Die Bedeutung und Herkunft von Wortkreationen wie "Bärenfut" oder "Brunzbuschen" möge der geneigte Leser sich gerne selbst heraussuchen, wobei ich diesem nicht nur viel Vergnügen wünsche, sondern ihm ein solches auch garantiere! Das gilt auch und besonders für die eine oder andere Geschichte, die sich um bestimmte Wörter und Redewendungen rankt, ob sie nun historisch belegt ist oder eher persönlicher Natur entspricht. Man spürt es an allen Ecken und Enden, welchen Spaß die beiden wortgewaltigen Herren und die Dame mit dem Zeichenstift beim Zusammenstellen dieses Buches gehabt haben.
Nach den beiden Vorgängern "Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs" und "Wörterbuch des Wienerischen" (beide 2011 im Haymon Verlag erschienen) legt Robert Sedlaczek in Zusammenarbeit mit Reinhardt Badegruber ein weiteres Wörterbuch vor, welches einmal mehr beweist, wie lehrreich, informativ und heiter die Beschäftigung mit Sprache sein kann. Das "Lesebuch zum Wörterbuch des Wienerischen" wird zudem durch zahlreiche Illustrationen von Reinhilde Becker kongenial unterstützt und ergänzt.
Großen Wert legt Robert Sedlaczek darauf, sich von "Spaßbüchern" dieser Art deutlich abzugrenzen. Der Journalist, Publizist und Autor verbürgt sich für die wissenschaftliche Herangehensweise und Untermauerung seiner Erkenntnisse in Sachen Etymologie. Sollten Ableitungen nicht mehr eindeutig geklärt werden können, werden die unterschiedlichen Lehrmeinungen nebeneinandergestellt, als solche deklariert oder unmissverständlich als Spekulation ausgewiesen.
Die "Wiener Wortgeschichten" sind also mehr als mundartliche Unterhaltung, eine oberflächliche und nicht ganz ernstzunehmende Verballhornung von Sprache, sondern ein seriöser Beitrag zur Sprachpflege und -lehre, sowie eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Ursprüngen der Wörter und Redewendungen. Die ernsthafte Beschäftigung auf wissenschaftlicher Basis bedeutet neben aller Ernsthaftigkeit aber keinesfalls, dass ein solches Werk keinen Spaß machen darf ...
... denn das genaue Gegenteil ist der Fall!
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