Literatur

Verrat


von Nicholas Searle


352 Seiten
© 2018 by Rowohlt Verlag GmbH
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-463-40692-3



Erinnerungen an das beschauliche Leben im irischen Carrickcloghan. Es liegt "größtenteils im Sterben". Jenes Dorf, unsichtbar, selbst für die britischen "Besatzer". Bridgets Kindheit verlief unspektakulär. Unbedeutend und doch jede Erinnerung wert.

Unbedeutend vielleicht auch im Gesamtzusammenhang und doch bildet dieses Kapitel einen wichtigen Kontrast zu jenen Ereignissen, die auf Bridget in ihrem späteren Leben noch zukommen werden. Es änderte sich bereits, als es mit den Anschlägen begann. Hier eine Bombe, dort ein Hinterhalt und immer wieder Polizisten und Soldaten, die durch das Dorf stürmten. Fast schon eine Art seltsame Normalität. War es nicht völlig sinnlos, dieses Leben? "Nichts als Furcht, das ständige Gefühl, von allen Seiten belauert zu werden, und schließlich der Tod."

Die Wahrheit: Nichts in diesem Buch ist unbedeutend. Nicholas Searle schildert den Nordirlandkonflikt als eine Art Innenansicht aus dem Blickwinkel einzelner Beteiligter. Den Fokus richtet er dabei auf Bridget O'Neill, die eher zufällig und ohne jede Ahnung in den aktiven Wirkungskreis der IRA gerät. Am Anfang stand die Begegnung mit Francis in der Nähe jenes Pubs und seine spontanen, unbekümmerten Worte, die er damals an sie richtete. Seit jenem Tag änderte sich der Lauf der Dinge.

Letztlich bleibt aber auch für Francis nichts, wie es war. Die Zeiten ändern sich. Ob es nun seine eigenen Befindlichkeiten sind, die politischen Rahmenbedingungen oder die Zielführungen der Organisation und die Sache selbst, für die er sich ins Zeug legt. Die verschiedenen Ebenen beleuchtet der Autor von allen Seiten. Für Leserinnen und Leser bedeutet dies einen ständigen Wechsel der jeweiligen Beobachtungspositionen.

Fanatismus, Heuchelei, blinde Wut, Verrat und erschreckende Kaltblütigkeit wechseln sich ab mit Unsicherheit, Zweifel und der aussichtslosen Suche nach Wegen, die längst verloren sind. In diesem Durcheinander der Emotionen, die nur ins Chaos führen können, so etwas wie Spannung aufzubauen, scheint theoretisch unmöglich zu sein. Nicholas Searle beweist das Gegenteil, auch wenn er den Spannungsbogen zunächst sehr verhalten angeht.

Doch das, was auf leisen Sohlen beginnt, summiert sich in eine Eskalation von Spannung. Politisches Kalkül und persönliche Katastrophen verstricken sich immer mehr und Nicholas Searle vermag dies in einer fast beiläufigen Art und Weise zu schildern. Die Kunst dabei ist, vermeintlich unauffällig und wie aus einem Hinterhalt heraus, mit den weiteren zwischenmenschlichen Entwicklungen und äußeren Bedingungen die Leserschaft in eine sich ständig steigernde Unruhe zu versetzen.        

"Verrat" ist, was keinesfalls immer gelingt, eine Multiplikation des gelungenen Debüts, insbesondere was die Charaktertiefe der Hauptpersonen betrifft. Nach "Das alte Böse" eine weitere, unbedingte Leseempfehlung. Sogar eine zusammenfassende Nachhilfestunde in Geschichte darf man erwarten. Nicholas Searle schildert in einem ausführlichen Nachwort den geschichtlichen Hintergrund seines Romans, wobei er hier den Bogen unerwartet weit spannt.

 

Thomas Lawall - Mai 2018

 

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