Literatur

Stimmen

von Ursula Poznanski


446 Seiten
© 2015 by Rowohlt Verlag GmbH
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-8052-5062-7



Die Toten kann sie ertragen, was nicht bedeutet, dass sie die Vorstellung der letzten Momente jener Menschen unberührt lassen. Weitaus schlimmer ist "der Schmerz der Lebenden". Auch die Angehörigen des Opfers zu informieren, gehört zu ihren Aufgaben. Beatrice Kaspary kommt deshalb um die unangenehme Pflicht, die Eltern des ermordeten Arztes Dr. Max Schlager zu informieren, nicht herum.

Die Salzburger Kriminalkommissarin betritt dessen Villa mit ihrem Kollegen Florian Wenninger, ebenfalls vom LKA Salzburg, Abteilung Leib und Leben, der die Initiative ergreift, diesmal die Hiobsbotschaft zu überbringen. Beide wissen, dass sie im Begriff sind, das Leben zweier ahnungsloser Menschen unwiderruflich zu zerstören.

Walter Trimmel fand die Leiche in einem Untersuchungsraum im Psychiatrischen Therapiezentrum des Klinikums Salzburg-Nord. Als Patient der Einrichtung war er mit der Situation völlig überfordert. Zudem hörte er Stimmen, als er den Toten fand. Diese versicherten ihm mehrmals, dass sie ihn kennen, wissen was er getan habe und wo sie ihn finden würden. Und sie gaben ihm klare Anweisungen, was nun zu tun wäre ...

Die Lage bei den Eltern des Opfers gestaltet sich schlimmer als erwartet. Zunächst bricht die Mutter Dr. Max Schlagers zusammen, bevor sie völlig die Fassung verliert und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen muss. Ihr Mann zeigt im ersten Moment noch eine gewisse Stärke, doch das Entsetzen über die grauenvolle Tat gewinnt schließlich die Oberhand. Doch plötzlich unterbricht Dr. Rudolf Schlager die Befragung durch Florin und berichtet von Aussagen seines Sohnes, die Klinik betreffend. Es ginge dort nicht mit rechten Dingen zu und Max bezeichnete diese als einen Saustall.

Ursula Poznanski betritt nach "Blinde Vögel" ein völlig anderes Terrain. Schauplatz im dritten Fall des Ermittlerduos Kaspary und Wenninger ist eine psychiatrische Klinik in Salzburg, welche ihr aber keineswegs nur als Mittel zum Zweck oder als dekorativ-bezuglose Kulisse dient. Vielmehr stellt sie uns eine ganze Reihe faszinierender Charaktere vor, seien es nun behandelnde Ärzte, Pflegepersonal oder die Patienten selbst.

Auch hierbei belässt sie es nicht bei oberflächlichen Charakterskizzen, sondern entwirft tiefgründige Psychogramme von Menschen, die Unvorstellbares erlebt haben und nicht in der Lage waren, ihr erlittenes Martyrium auch nur halbwegs zu verarbeiten. Allen voran Jasmin Matheis, die einst von ihrem Vater gefangen gehalten und jahrelang missbraucht worden war. Sie reagiert auf nichts und niemanden mehr und scheint jede Art von Kommunikation aufgegeben zu haben. 

Nicht minder interessant zeichnet die Autorin die kindlich-naive Figur des Walter Trimmel, den sie die Leiche finden und so nebenbei den Tatort auf eine nicht gerade alltägliche Art und Weise durcheinander bringen lässt. Auch Patientin Maja beschreibt sie mit sehr viel Liebe zum Detail. Die stark sexuell-orientierte Patientin nimmt kein Blatt vor den Mund und gibt vor, mit allen möglichen Personen der Klinik entsprechende Kontakte zu pflegen.

Das Privatleben ihrer Hauptperson bildet Kontrapunkte, denn schließlich werden die Kinder älter und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme nicht kleiner. Zwangsläufig kommt Beatrice um regelmäßige Verbalgefechte mit ihrem Ex-Ehemann, die sich recht einseitig gestalten, nicht herum.
Gleichzeitig festigen sich die zarten Bande zwischen ihr und dem Kollegen Florian, was einerseits nicht mehr aufzuhalten scheint, andererseits die Gesamtsituation nicht gerade einfacher werden lässt. Zudem gibt es unter den Kollegen wieder reichlich Gerangel um Kompetenzen, und beim ungeliebten Chef Hoffmann gibt es ebenfalls ernsthafte Probleme im privaten Bereich.

Ursula Poznanski lässt die Situation also auf allen Ebenen langsam, aber beständig, eskalieren. Rührende Charakterisierungen wechseln sich mit knallharter Action ab. Die Einblicke in den Alltag einer psychiatrischen Klinik, Therapieformen und Medikationen zeugen von einer genauen Recherche. Die Autorin gestaltet ihre Spannungsbögen mehrgleisig, lädt Leserinnen und Leser zu einem trickreichen Showdown ein und lässt gleichzeitig die eine oder andere Handlungslinie offen. Die Fans werden wissen, warum. Neue Leserinnen und Leser werden es ahnen.

 

Thomas Lawall - Juni 2015

 

 

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