Literatur

Samariter 

von Jilliane Hoffman


480 Seiten
© 2015 by Rowohlt Verlag GmbH
www.rororo.de
ISBN 978-3-499-25399-7



Die Beulen im Kotflügel und der Motorhaube könne er ausbeulen ohne neu zu lackieren zu müssen, meint Lou, Inhaber einer kleinen Kfz-Werkstatt. Auch die Kratzer wären kein Problem, doch der Kühlergrill müsse ausgetauscht werden. Lou beobachtet seine Kundin genau und bemerkt sofort, dass sie ein Problem hat, weshalb er ihr einen gebrauchten Kühlergrill anbietet. Das scheint sie etwas zu beruhigen, doch Faith Saunders hat es extrem eilig.

Er vermutet einen nörgeligen Ehemann, der von dem Unfall mit einem "Reh" und der sich anschließenden Reparatur nichts mitbekommen soll. Gegen einen Aufpreis erklärt er sich bereit, mit den Arbeiten sofort zu beginnen und sie am gleichen Tag abzuschließen. Was die Unfallursache betrifft, irrt er sich, und was er ebenfalls nicht weiß, ist die Tatsache, dass es Faith zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht weiß ...

Das alles wäre nicht passiert, wenn es während eines Besuches bei ihrer Schwester nicht zu jenem massiven Streit gekommen wäre, der sie zum vorzeitigen Aufbruch gezwungen hatte. Mit ihrer 4-jährigen Tochter Maggie riskierte sie eine alkoholisierte Rückfahrt nach Hause, und löste damit eine Kette von Ereignissen aus, die sie sich in ihren schlimmsten Träumen nicht vorgestellt hätte.

Nachdem Jilliane Hoffman mit "Argus" ihren C. J. Townsend Zyklus, auch bekannt unter "Cupido-Reihe", beendete, schien es fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, wie man jene ebenso subtilen wie spannungsgeladenen Thriller noch toppen könnte. Deshalb war es (wieder einmal) unumgänglich, die Spannungsrezeptur etwas zu modifizieren. Viel gebracht hat es nicht unbedingt.

Im Mittelpunkt steht diesmal Faith Saunders, Besitzerin einer "Cupcake-Bäckerei", und ihre Familie. Ein unglücklicher Zufall will, dass sie und ihre Tochter eine Frau beobachteten, die offenbar auf der Flucht war. Auch zwei Männer konnten sie erkennen, einen unmittelbaren Zusammenhang jedoch nicht. Was einer der Männer Faith per Zeichensprache signalisierte, kann sie erst im Nachhinein interpretieren.

Zudem ist Faith in persönliche und familiäre Krisen involviert, die sich im aktuellen Stadium nicht verbessern sondern eher verschlimmern. Doch damit ist sie nicht allein, denn der in mehreren Mordfällen ermittelnde Detektive Bryan Nill vom Palm Beach Sheriff's Office befindet sich ebenfalls in einer handfesten privaten Krise, die auch zu eskalieren droht.

Für derart belastete Charaktere und die Beschreibungen der jeweiligen Befindlichkeiten nimmt sich die Autorin alle Zeit der Welt. Sie streifen die Qualität von abgründigen Psychogrammen. Menschen, die an der Last ihrer zwischenmenschlichen Verstrickungen fast zu Grunde gehen.

Den Fortgang der Hauptgeschichte unterbricht Jilliane Hofmann somit ständig, was gar nicht mal unanstrengend ist, falls man auf eine schnelle Lösung des Falles hofft. Letztlich geht es aber jedem Fan des Genres so oder ähnlich. Die Ausführlichkeit der Zwangsteilnahme am Privatleben der Hauptdarsteller ist einerseits sehr überzeugend, nachvollziehbar und steigert so ganz nebenbei die Spannung an den Rand des Unerträglichen, wirkt aber dennoch wie aufgeblasen und leicht überzogen.

Das Ende überrascht und enttäuscht dann zugleich. Zudem riecht es (mal wieder) nach einer Fortsetzung. Man darf sich fragen, was man denn nun genau gelesen hat: Ein Familiendrama mit einer Handvoll Thrillerelementen gewürzt, in etwa ... ?

 

Thomas Lawall - September 2016

 

 

Für Fragen, Kritik und Anregungen steht unser Forum zur Verfügung

Home News Literatur Gedichte Kunst Philosophie Schräg Musik Film Garten Küche Gästebuch Forum Links Impressum