Literatur

Rosaleens Fest

von Anne Enright


384 Seiten
© 2015 by Anne Enright
© 2015 by Deutsche Verlags-Anstalt, München
www.dva.de
ISBN 978-3-421-04700-7



Dessie kam mit seinem vierzigsten Geburtstag nicht zurecht, denn er hielt ihn für eine "persönliche Kränkung". Constance, seine Frau, sortierte ihn derweil in die von einer Epidemie Befallenen aus, jenem Heer der ewig Unzufriedenen.

Ein großes Haus für das junge Glück gebaut zu haben und den Garten zu bepflanzen, hielt Constances Mutter für "einen Ausdruck ungezügelter Vulgarität". Gleichzeitig traktierte sie ihren Schwiegersohn mit ihrem ironischen "wie hübsch" und als Constance ihrer Mutter mitteilte, dass sie Dessie heiraten werde, war für diese das Maß voll. Keinesfalls zeigte sie sich mit dieser "exzentrischen Wahl" zufrieden, traf mit dieser Einschätzung seines Wesens allerdings völlig ins Leere. Zumal sie dereinst die besten Freunde werden sollten ...

Constance sorgt sich um ihre Mutter. Rosaleen wohnt immer noch in jenem Haus in Ardeevin, in welchem schon ihr Vater und ihre Mutter starben. Wohl in ihrer Haut fühlt sie sich schon lange nicht mehr. Mit dem Haus scheint, aus Sicht ihrer Mutter, etwas nicht zu stimmen: "Es war, als trüge sie den Mantel einer anderen." Ihre vier Kinder sind längst weggezogen, in alle Winde verstreut, und sie hatten allen Grund dazu.

Von ihrem eigenen Haus fühlt Rosaleen sich "in die Enge getrieben". Während der Geist ihres Vaters noch im Haus umzugehen scheint, zerfällt es immer mehr, und nicht mehr gebrauchte Zimmer hat sie abgeschlossen und lange nicht mehr betreten. Das Haus wird nur noch von Erinnerungen zusammengehalten. Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die Weihnachtskarten mit den üblichen Grüßen an ihre Kinder öffnet sie noch einmal, um den Text zu erweitern. Die Kinder mögen sie doch endlich wieder einmal an den Feiertagen besuchen und das Haus werde verkauft.

Im ersten Teil "Abschied" ihrer Familiengeschichte streift Anne Enright in Rückblenden die Geschichte von Rosaleens Kindern, wobei sie Hanna, Dan, Constance und Emmet jeweils ein Kapitel widmet, welche in den Jahren 1980, 1991, 1997 und 2002 beginnen. Rosaleen selbst ist ebenfalls ein Kapitel zugedacht. Im Jahr 2005 spielend bildet es sowohl den eigentlichen Ausgangspunkt der Geschichte, als auch die Einleitung für den zweiten Teil "Heimkehr".

Höchst interessant gestaltet die Autorin zunächst den Überblick der unterschiedlichen Charaktere der vier längst erwachsenen Kinder. Dabei belässt sie es, wie auch schon in "Anatomie einer Affäre", keineswegs bei einer oberflächlichen Betrachtungsweise, sondern taucht ab in die Tiefen ihrer selbstgeschaffenen oder künstlichen Gedanken- und Gefühlswelten. Ungeschönt beschreibt sie die Zustände hinter den Masken, zerbrochene Träume, die vielen Sackgassen und Einbahnstraßen ihrer persönlichen Lebensgestaltung, eine nicht definierbare Sehnsucht, aber auch pures Glück, welches sie allerdings stets fein gewiegt und knapp dosiert verabreicht.

Ungebremst dagegen sind die Möglichkeiten ihrer Ausdrucksformen, die einmal mehr an das Buch fesseln. Was ist schon ein Film dagegen? Keiner würde es schaffen, gegen ihre Bilder aus Worten anzukommen. Selbst einen Hund, der noch weniger als ein Nebendarsteller ist, rückt sie für einen Moment ins Rampenlicht. Ein krankes Geschöpf mit "gegen den Staub schmerzlich zusammengekniffenen Augen", welches zu sagen schien: "Ach, ich weiß auch nicht."

Immer wieder faszinieren die Autorin jene Charaktere, welche sich in ihren eigenen Unzulänglichkeiten verstricken. Entweder verlaufen sie sich in der eigenen oder der Sehnsucht des anderen, oder sie drohen am Gleichklang ihres Daseins zu scheitern. Wie traurig mag die Entwicklung einer Erkenntnis sein, seinen Sohn, den Entwicklungshelfer, an den "Hunger anderer" verloren zu haben. Wobei Rosaleen noch eine Steigerung entwickelt, indem sie formuliert, ihren Sohn auch noch an den Tod verloren zu haben. "Denn dorthin ziehen unsere Söhne ...".

Rosaleen verlangt zu viel und geht damit über jedes Maß der Dinge hinaus. Ihre Kinder, "die immer nur dabei waren, sie zu verlassen", versteht sie nicht. Andererseits liebt sie alle vier, doch es zu zeigen war und ist nicht ihre Sache. Anne Enright setzt jene Ambivalenzen glänzend in Szene, und wahrhaft meisterlich die Abgründe des Unausgesprochenen im wechselseitigen Beziehungsgeflecht. Mit eindringlichen Landschaftsbeschreibungen Irlands unterstreicht sie den melancholischen Klang ihrer Worte.

Ein vernünftiges Fazit ist schwierig, ja fast unmöglich. Wer das Buch nicht gelesen hat, erleidet einen Verlust, wenn auch einen, den er nicht einmal bemerkt. Vielleicht sollte ich noch einen jener Sätze zitieren, die noch lange, oder vielleicht für immer nachwirken. Denn alles was zählt, ist "ein flüchtiger Schimmer von Schönheit. Mehr braucht die Seele nicht".

 

Thomas Lawall - Januar 2016

 

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