Literatur

Rauhe Sonnseite

von Franz Josef Kofler


232 Seiten
Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2011
© Haymon Verlag, Innsbruck 1985
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-85218-866-9



Johannes E. Trojer, Schriftsteller, Publizist, Lehrer, Volkskundler und Historiker hatte im Vorfeld der Herausgabe von F. J. Koflers „Rauhe Sonnseite" ein schönes Stück Arbeit zu bewältigen. Er lobt in dem von von ihm verfassten ausführlichen Vorwort den Schreibstil Koflers, der sich nicht selten in "unsensationellen Schönheiten" ergeht. Gleichwohl spricht er dem Werk den Rang einer volkskundlichen Dokumentation ab, räumt aber auf der anderen Seite den dargestellten Ereignissen eine hohe Authentizität ein.

"Rauhe Sonnseite" schwimmt zudem nicht auf der Welle der bodenständigen alpenländlichen Unterhaltungsliteratur, die in ihrer verklärenden Darstellung einen eher fragwürdigen Charakter besitzt und in keinem Fall die tatsächlichen Gegebenheiten reflektiert. Dennoch hat Franz Josef Kofler solche Werke geschrieben, die zwischen den beiden Kriegen entstanden sind und zu einem großen Teil noch gar nicht veröffentlicht wurden. Das vorliegende Buch entstand aber erst in den fünfziger Jahren als Episodenroman und gestaltete sich sehr locker sortiert. Seine Kindheitserinnerungen hat der Autor in 126 Geschichten hinterlassen, die teilweise in Tiroler Tages- und Wochenzeitungen ab 1960 erschienen sind. Johannes E. Trojer schreibt, dass er das vorhandene Material für dieses Buch ordnen und strukturieren musste, da z.B. wegen zahlreicher Wiederholungen ganze Absätze herausgenommen werden mussten. Insgesamt wurde das Werk auf 42 Episoden zusammengekürzt unter Verwendung der Hälfte der vorhandenen Originalüberschriften.

Der Alltag auf einem Bergbauernhof war völlig anders, als die üblichen Vorstellungen von Romantik und Gemütlichkeit uns dies immer wieder suggerieren. Schon einmal hat der Haymon-Verlag ein ähnliches Werk herausgebracht. In "Bauernleben in Südtirol" schildern Astrid Kofler und Hans Peterlini ebenfalls auf sehr eindringliche Weise Freud und Leid vom Alltag am Bauernhof, in sehr berührenden Portraits von Bäuerinnen und Bauern und deren Lebensgeschichten.

Franz Josef Kofler (geb. 1894 in Heinfels/Tirol, gest. 1961 in Schwaz), Priester, Lehrer, Literat und Käferforscher, wuchs in Heinfels bei Sillian (Osttirol) auf, und dort waren die Verhältnisse nicht anders. Unvorstellbar, was die Menschen allein im Winter ertragen und aushalten mussten. Eisige Kälte war selbstverständlich - man kannte es halt nicht anders. Die Eltern sparten wertvolles Holz, indem sie nur die Stube und später auch die darüberliegende Ehekammer, besonders wenn die Mutter im Wochenbett lag, geheizt haben. Kälte war man auch von der Kirche gewohnt, die täglich vor der Schule besucht wurde. Nur wenn der Gottesdienst einmal zu lange dauerte, fror man schon, doch im Freien machten ihnen Temperaturen von mehr als minus 20 Grad "nicht viel aus"!

Die Arbeit war hart und man begann früh damit, denn wie hätte man ohne technische Hilfsmittel die Arbeit mit dem Mähen oder dem Vieh bewältigen und schaffen können. Die Nacht war nicht selten um vier Uhr zu Ende. Gearbeitet wurde immer das, was der Kreislauf der Natur hergab bzw. diktierte. Im Vordergrund stand der unmittelbare Kontakt zu Wind, Wetter und den jeweiligen Gegebenheiten. Wenn es Zeit war fürs Anbauen, Heumachen und Dreschen, dann war es eben so. Auch im Winter gab es genug zu tun, denn jetzt war die Zeit fürs Reparieren gekommen oder das Vieh zu mästen, damit es im Frühjahr etwas Geld beim Verkauf erwirtschaftete. Auch das Brennholz für die nächsten kalten Winter musste herbeigeschafft werden.

Einen langen Atem braucht man für die Schilderungen im Rahmen der auferlegten kirchlichen Pflichten, Regeln und Gebräuche, die gut ein Viertel des Buches ausmachen. Gelebt wurde nicht nur im Rhythmus der Natur, denn der zweite, wesentlich unflexiblere Rahmen wurde den Menschen durch die Kirche auferlegt. Kritik kann vom Autor zweifellos nicht erwartet werden, denn "so war es Brauch". Bereits vor dem Schulgang fanden Vormittagsandachten statt, an Sonn- und den zahlreichen Feiertagen war der Gottesdienst ebenfalls Pflicht und wurde durch Prozessionen und private Wallfahrten abgerundet.

Ob Franz Josef Kofler so richtig "dazugehörte", wage ich -bei allem Respekt- mitunter zu bezweifeln, denn er schildert die Ereignisse seiner Kindheit wie aus einer Art diffusen Distanz, die zwar genau beobachtet, aber keine eindeutige Stellung bezieht. Auffallend anders als seine Geschwister und Freunde dürfte er die Natur empfunden haben, denn ein Kind sieht alles als eine Selbstverständlichkeit an, und niemals kann es eine Bewunderung oder gar eine Befindlichkeit in klare Worte fassen. Ob es der Autor vermochte, können wir nur erahnen. Doch eines ist sicher, an diesen Stellen hat das Buch seine ganz großen Momente. Über seine Schulzeit schreibt er zusammenfassend: "Damals dachte ich freilich nicht daran, ich dachte überhaupt an nichts, am wenigsten an den folgenden Tag oder gar gleich an mehrere. Jeder wurde wie etwas Neues empfangen und wie etwas Altes verabschiedet. Ich gäbe viel, gelänge es mir auch heute noch."

Fazit: Franz Josef Kofler bringt uns in behutsamer Sachlichkeit jene "gute alte Zeit" näher, wie sie sich so oder so tatsächlich abgespielt haben mag. Es ist eine Zeit, die es nicht mehr gibt. Und natürlich war sie auch nicht immer "gut", auch wenn Kofler mitunter relativierend schreibt "Einmal war es anders, aber alle Zeiten sind gut und schön und groß". Große Eile und der rastlose Vorwärtsdrang waren bereits bekannt, doch treffender kann man den Unterschied zu heutigen Zeiten nicht umschreiben: "Die Hast von heute kannte man zwar auch damals, aber sie war noch nicht zur Krankheit geworden."

Das ländliche Leben vor gut 100 Jahren starb mit neuen Produktionsmethoden und -geräten, der Technisierung und dem ganzen sogenannten Fortschritt unwiederbringlich, doch wer ehrlich ist, wird diese Zeiten nie wieder erleben wollen. Ein Rückblick ist dennoch legitim, denn Erinnerungen sind die wahren Schätze ...

... so wie dieses Buch einer ist!

 

Thomas Lawall - Juli 2011

 

 

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