Literatur

Mordsgeschäfte

von Martin Sudermann


240 Seiten
© Sutton Verlag, 2012
www.suttonverlag.de
ISBN 978-3-95400-028-9



Thomas sitzt im "San Remo" in Altena, bestellt einen Espresso und versteht die Welt nicht mehr. Vor 67 Jahren endete der zweite Weltkrieg, doch dass in der Firma seines Großvaters Zwangsarbeiter beschäftigt wurden, war ihm bis heute nicht bekannt. Sein Vater erzählte ihm einst eine Geschichte, als er noch die Grundschule besuchte. Im benachbarten Grüneck hätte man kurz vor Kriegsende Russen gehängt, die man des Mordes an einer Bauerntochter bezichtigte. Ob sie eventuell zu den Zwangsarbeitern gehörten, wollte er später in Eigenregie ermitteln, was sich aber als unlösbare Aufgabe erwies ....

Thomas Krüdewagen erfuhr kurz zuvor bei einem Besuch seiner Mutter, die in Grüneck lebt, von einem Mord in Großvaters Fabrik. Angeblich soll es sich um einen Einbrecher gehandelt haben. Er wird hellhörig und würde gerne mehr Details in Erfahrung bringen. Diese bekommt er auch, denn seine Mutter weiß zu erzählen, dass es sich bei dem Toten um einen entfernten Verwandten der Familie gehandelt hätte. Der unglückseelige Michael Dransfeld war der Sohn vom alten Dransfeld, ein Vetter seines Opas. Dieser habe damals als Hilfsarbeiter in der Schmiede gearbeitet, zusammen mit den der Firma zugeteilten "Ostarbeitern" ...

Der freie Journalist beschließt, angeregt durch die aktuellen Ereignisse, den damaligen Gegebenheiten nun endgültig auf den Grund zu gehen. Seine Mutter erzählt ihm von der die Ermittlungen leitenden Kommissarin Schrader. Thomas kennt sie, denn er und Ulrike Schrader waren einst in der gleichen Schulklasse. Ohne zu zögern lässt er sich mit der Hagener Mordkommission verbinden, spricht mit der völlig überraschten Kommissarin und verabredet sich noch am selben Tag in einem Café mit ihr.

Viel erfährt er nicht, denn erstens ist sie im Umgang mit Journalisten vorsichtig und zweitens darf sie über die laufenden Ermittlungen keine Details verraten. Lediglich, dass der 63jährige Michael Dransfeld arbeitslos und polizeilich kein unbeschriebens Blatt war, kann Thomas in Erfahrung bringen. Auch, dass er bis zur Unkenntlichkeit verbrannt ist und ein Fremdverschulden nicht auszuschließen sei. Mehr von ihrem bisherigen Wissen gibt Ulrike nicht preis. Doch Thomas weiß ebenfalls mehr, als Ulrike ahnt. So verlässt sie den gemeinsamen Treffpunkt, ohne zu wissen, dass der Tote weitläufig mit dem Besitzer der Herbert Schürmann Präzisionstechnik GmbH & Co. verwandt war. Nun sind zwei Ermittler auf dem Weg ...

Ich gebe gerne zu, von Titel und Klappentext anderes erwartet zu haben. Nicht so viel Tiefgang zum Beispiel und bei weitem nicht so einen dramatischen Hintergrund! Ein ganz "normaler" Regionalkrimi, wie sie ja inzwischen wie Pilze aus dem Boden schießen, dachte ich, käme da auf mich zu. Weit gefehlt, denn die Thematik des Buches basiert auf den entsetzlichen Greueltaten, die sich kurz vor Kriegsende in Deutschland abgespielt haben, den sog. Kriegsendzeitverbrechen an Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen und Regimegegnern. In diesem Zusammenhang erinnert das Buch an Manfred Wieningers "223 oder Das Faustpfand", der für seinen "Kriminalfall" die gleiche Thematik einbaut, jedoch eine fiktive Handlung mit tatsächlichen Ereignissen, die sich unmittelbar vor Kriegsende in seinem Heimatland Österreich abgespielt haben, verbindet.

Martin Sudermann bedient die rein fiktive Schiene, welche sich in der Ausführung aber nicht minder dramatisch gestaltet. Seine Figuren sind derart glaubhaft, dass man sich in "Mordsgeschäfte" zeitweise regelrecht verlieren kann und vergisst, dass man es hier mit erfundenen Protagonisten zu tun hat. Mit den Schauplätzen ergeht es dem Leser ebenso. Ob man sich nun im Sauerland befindet oder in der Ukraine - stets hat man das Gefühl, mitten im Geschehen zu stehen.

Eine Besonderheit bildet für mich der Aufenthalt von Thomas Krüdewagen in der Ukraine. Er machte den letzten Überlebenden jener Zwangsarbeiter, die damals in dem Grünecker Unternehmen arbeiten mussten, ausfindig und besucht ihn in Khutor Moklyaki in der Nähe von Kiew. Für dieses Kapitel verwendet der Autor fast ein Sechstel des gesamten Romans. Tatsächlich bekommt man ein Gefühl für Land und Leute und wird scheinbar so ganz nebenbei daran erinnert, was sich dort, vor allem in der Schlucht von Babij Jar 1941, zugetragen hat.

"Mordsgeschäfte" verbindet das unterhaltende Element mit einem geschichtlichen Fundament, welches hierzulande von gar nicht mal so Wenigen immer noch gerne vergessen oder schlicht totgeschwiegen wird. Fast könnte man angesichts der dunklen Schatten, welche die Vergangenheit immer noch wirft, und den damit verbundenen, leider immer noch vorhandenen Verdrängungsmechanismen, die eingeflochtene Handlung vergessen, die gegen Ende eine dramatische Zuspitzung erfährt. Eines jedoch ist sicher: Martin Sudermann ist der Versuch, in seinem ersten Kriminalroman Unterhaltung mit Anspruch zu verbinden, mehr als gelungen.

 

Thomas Lawall - Dezember 2012

 

 

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