Literatur

Mein Prinz, ich bin das Ghetto
Gedichte


von Dinçer Güçyeter


92 Seiten
Veröffentlicht im ELIF VERLAG
Alle Rechte vorbehalten
Erste Auflage: Mai 2021
www.elifverlag.de
ISBN 978-3-946989-42-4



Der Mann aus dem netten Tal hat es wieder getan. Dinçer Güçyeter erzählt dort weiter, wo er mit "Aus Glut geschnitzt" (2017) aufgehört hat. Das war zu erwarten, denn der stolze Besitzer jener alten Holztruhe, randvoll und bodenlos gefüllt mit einem Schatz aus Worten, kann nicht schweigen oder Worte gar vergehen lassen, bevor sie gesagt und aufgeschrieben sind.

Wenn andere sich vordergründig um Haarpracht bemühen, um den sinnlosen Versuch zu unternehmen, der Zeit ein Schnippchen zu schlagen, geht der Dichterfürst mit schwerem Gerät zur Sache. Mit einer kräftigen Wurzelbürste streift er quer durch seine Vergangenheit. Heraus fallen all die Worte, Geschichten und vielleicht sogar auch das bislang Unentdeckte und Ungesagte. Da staunt selbst "Cleopatra".

So wie Leserinnen und Leser, die gerne schon einmal ins Stolpern kommen, auf holprigen, mitunter abschüssigen Wegen in diesem   Metapherngebirge, umweht von radikalen Bilderstürmen. Bevor man sich versieht, kann ein Sturz auf absurde Bühnen wohlige Verwirrung stiften. Ob man tatsächlich Angst "vor der eigenen Geburt" haben soll oder kann oder wie auch immer?

Beim Sortieren von Wurzeln erlebt man allerhand. Erinnerungen purzeln aus alten Verstecken und veranstalten einen Tanz, den man schon fast vergessen hat. Fundstücke, plötzlich wieder ganz klar: Da ist wieder jener Mann, der "Worte mit Erinnerungen zerstümmelt", ein Märchen, das seine Helden findet, "Nelken", die auf weißen Laken aufblühen oder das Poesiealbum in der Schlafkammer eines LKW-Fahrers:

"Zweige hatte ich, nestlose Freunde, einen erhobenen Stolz ..."

Wir amüsieren uns über "Bildungsbürger" im Schmetterlingskostüm, finden Wege, die über Horizonte führen, dorthin, wo gleich wieder neue entstehen, besuchen aber auch Friedhöfe, wo "in Maschinenfett getränkte Mützen" auf den Grabsteinen hängen. Im Detail erstaunt ein Brief, "der 35 Jahre Jahre bis zu seiner Bedeutung brauchen sollte".

Weshalb man bei diesen Worten alles um sich herum vergessen kann, weiß ich nicht. Eines aber mit Sicherheit. Hätte man mir die Augen verbunden und ein paar Zeilen aus, sagen wir Seite neun, vorgetragen, hätte ich Dinçer Güçyeter nicht unbedingt sofort an seinen Worten erkannt, aber am Klang derselben! So klingt das Leben.

"Mein Prinz, ich bin das Ghetto" ist nicht alles, aber viel. Mit offenen Armen steht er da, der nette Dichter aus dem Tal, und bittet uns in sein Haus. Dort, wo Leben, Weinen, Lachen, Ruhe ist und ein Sturm. Wir dürfen uns frei bewegen, beim Vogelfreien, der niemands Knecht ist, niemands Herr ...  was ihn andererseits nicht daran hindert, Deutschland mal so ganz unverbindlich eine ordentliche Frisur zu bürsten.

Gut brüllen geht also auch! Und nichts ist dem ehemaligen Mechaniker zu viel, zu schwierig oder zu unerreichbar. Was die Kasse nicht mehr hergibt, wird im Traumland erledigt. Kein "alberner Narr" kommt ohne seine unbezahlbaren Ländereien aus. Man könnte ersticken an den ganzen Lebensfragen. Wo sind die Schlüssel für all die Rätsel? Im Ghetto vielleicht, denn der Prinz hat sicherlich keinen einzigen.

"... von uns wird der Welt
ein Blick bleiben ..."

Worte aus dem ganz kleinen und ganz großen Weltentheater also. Zum Glück ist das Leben ja selbsterklärend. Manchmal fällt jedoch das Mitschreiben schwer. Kein Wunder bei dem Tempo. Wie auch immer, mein Dichter, Bücherstapler und Pyjamahasser: Den Vorhang zu und Saalbeleuchtung an. Genug für heute...

...oder gehe ich schnell noch einmal zurück in jenen Keller - ja den, mit dem ganzen Kram oder in das kleine Dorf an der Ägäis. Vielleicht sollte ich einfach losfahren, "bis der Tank leer ist"!

 

Thomas Lawall - Juli 2021

 

 

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