Mein Huren-Manifest Inside Sex-Business
von Undine de Rivière
272 Seiten © 2018 by Wilhelm Heyne Verlag, München www.heyne.de ISBN 978-3-453-60472-8
Nein, in diesem Fall bedeutet Manifest nicht etwa die Ladeliste eines Ozeandampfers, sondern unterstreicht die Ziele und Absichten Undine de Rivières, welche die selbsternannte Sex-Arbeiterin in ihrem Buch höchst öffentlich erklärt.
Dies insofern als Warnung für diejenigen, welche sich, wie es der Rezensent gerne für sich selbst zugibt, eine Handvoll deftiger Episoden aus dem Schatzkästlein typisch männlicher Erwartungen in diesem Buch zu finden erhoffen. Eine Art Aufzählung der Dinge, die Freier sich vorstellen, um diese zur fröhlichen Anwendung bringen zu lassen. Pech gehabt, denn dergestalt voyeuristisch angehauchte Neugier wird in diesem Buch keinesfalls "befriedigt".
Befriedigt im herkömmlichen Sinn wird in "Mein Huren-Manifest" eher gar nichts. Überraschend ist die Lektüre dennoch, da Frau Rivière nicht nur eine ganze Menge "Grenzen" locker überschreitet, sondern ihr Anliegen auch noch in einer ebenso geistreichen, wie herzerfrischenden Unbekümmertheit und Offenheit darlegt, so als ob es sich hier um die natürlichste Sache der Welt handeln würde ...
... was sie im Prinzip ja auch ist. Jedenfalls für Menschen, die sich nicht scheuen, für sexuelle Dinge (neben den meist ungleich höheren Kosten für ihre Ehepartner/innen) ein paar Euro mehr bzw. überhaupt etwas zu investieren. Nebenbei: Erstaunlich ist für den "Laien" das weitläufige Terrain an Spielarten samt dem dazugehörigen Arsenal an Zubehör. Man muss erst einmal nachschlagen, um was es sich bei den einzelnen Begriffen überhaupt handelt. Etwas Befremdung und Verwunderung muss deshalb schon erlaubt sein, denn was offenbar gar nicht mal so wenige Zeitgenossen an Hilfsmitteln benötigen, um sexuelle Befriedigung zu erreichen, überrascht dann doch.
Die Autorin sieht ihre eigene Tätigkeit auf dem Gebiet des "Sex-Business" mit einer sehr überzeugenden Selbstverständlichkeit. Entsprechend locker geht sie mit der gesamten Thematik um. Man(n) darf nicht nur lesen, sondern auch staunen, vor allem jene, die sich im genannten Milieu (angeblich) nicht auskennen oder gar völlig fremd sind.
Sicherheitshalber beginnt sie ihren ebenso leidenschaftlichen wie gehaltvollen Appell an Gesellschaft und Politik mit einer allgemeinen Warnung. Allerdings erst, nachdem sie ihre erste Breitseite losgelassen hat. Gegner von sog. Flatrate-Clubs müssen schon im ersten Satz einige Volltreffer einstecken, denn bei solchen Partys hat Undine de Rivière auch schon mitgemischt. Und sie fragt sich, ob es "nicht ein bisschen demütigend ist für die Jungs". Im Gegensatz zu ihrer eigenen, wesentlich "bequemeren" Stellung muss man sich "mit dem eigenen Gemächt in der Hand" anstellen, um zu warten, bis man an der Reihe ist.
Auf derart "verdrehte" Ansichten muss man sich im ganzen Buch einstellen, oder man legt es umgehend weg. Deshalb auch besagter Hinweis: Denn wer dem Geschlechtsverkehr "eine deutlich größere Bedeutung zuschreibt als einer Rückenmassage" ist hier völlig fehl am Platze. Nicht nur bei sog. "Gangbang-Partys".
Weiterzulesen sei dennoch empfohlen, denn erstens schafft es die Autorin, trotz ambivalenter Thematik, die Grenzen der Erträglichkeit niemals zu überschreiten, und zweitens würde man ihr eigentliches Anliegen versäumen. Letztlich geht es ihr darum, an alle verfügbaren gesellschaftlichen und politischen Instanzen zu appellieren, die Kolleginnen und Kollegen zu entkriminalisieren. Nur so seien vernünftige Arbeitsbedingungen zu erreichen.
Und wer nun meint, dass hier Zuhälterei und Menschenhandel Vorschub geleistet wird, täuscht sich gewaltig. Meint jedenfalls Undine de Rivière. In ihrer weit über zwanzigjährigen Tätigkeit als Sex-Arbeiterin sei ihr "keine einzige Betroffene von Menschenhandel begegnet". Die diesbezügliche Berichterstattung in den Medien weiß sie zu relativieren und gar nachhaltig in Frage zu stellen!
Von Seelenverlust kann übrigens auch keine Rede sein. Mitnichten würden sie und ihre Kolleginnen und Kollegen ihre Seelen verkaufen. Keinesfalls bestätigt sie das Märchen um die angebliche Untrennbarkeit von "Verkauf des Körpers" und "Verletzung der Seele". Der "bequemen These", "dass Sex gegen Geld an sich das Problem sei" widerspricht sie ebenfalls und belegt das Gegenteil. Der Wegfall der gesellschaftlichen Diskriminierung wäre auch hier der Weg zur Verbesserung der "Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Sexarbeiter/innen".
Der freche und so gar nicht fromme Wunsch einer "Eingliederung der Branche in die gewerberechtliche und berufsrechtliche Gesetzgebung", formuliert von einer Kollegin, schlägt ebenfalls wie eine Bombe in staubige Konventionen ein. Und so geht das munter weiter, denn Undine de Rivière ist nicht allein. Fast alle Gleichgesinnten stimmen mit ihr ein in den Ruf nach dem Recht von Prostituierten auf ihre Arbeit. Und die gibt es, wenn man sich einmal mit entsprechenden Zahlen beschäftigt, offenbar wahrlich genug ...
Das ebenso mutige wie einzigartige Buch wird einigen Staub aufwirbeln. Wenn es denn die richtigen Leute lesen werden. Der neugierige Randbeobachter wünscht dazu ein gutes Gelingen! Auch wenn die angestrebten Veränderungen womöglich erst im nächsten Jahrhundert ansatzweise umgesetzt werden dürften. In so etwas wie einer wirklich freien Gesellschaft vielleicht ...
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