Kolyma
von Tom Rob Smith
Goldmann Verlag, München 473 Seiten, Taschenbuch ISBN 978-3-442-47235-2 www.goldmann-verlag.de
3 Jahre nach den Ereignissen in Kind 44 muss sich Leo Demidow einem anderen Teil seiner Vergangenheit stellen: Seine Adoptivtochter wurde entführt und er kann sie nur im Austausch gegen einen der Gefangenen im berüchtigten Gulag Kolyma am äußersten Ende Sibiriens zurückbekommen. So macht er sich inkognito auf, diesen Gefangenen zu befreien. Doch in Kolyma wird er als MGB-Mann enttarnt und ist plötzlich von lauter Feinden umgeben…
Wie in Kind 44 beginnt Tom Rob Smith mit einem Rückblick, der für den Verlauf der Geschichte wesentlich ist. Auch baut er hier von Anfang an wieder die düstere Spannung des Vorgängers auf, die er allerdings nicht über das ganze Buch halten kann. Wieder setzt Smith – zu Recht – auf die Mischung aus Geschichte und Fantasie. Dabei bekommt der Leser einen recht krassen Eindruck vom sowjetischen Gulag-System. Und dem, was einem MGB-Agenten passierte, falls er selbst in Ungnade fiel und im Lager auf Leute traf, die ihn kannten.
Spannend fand ich die Verknüpfung mit Chrustchows „Geheimrede“, die den Beginn der Entstalinisierung einläutete, und der Geschichte um Demidow. So können wir die Reaktionen verschiedener politischer Gruppen exemplarisch an den Haupt- und Nebenpersonen verfolgen und auch die größeren politischen Verwerfungen werden gut skizziert und eingebunden.
Interessant fand ich zudem, dass Smith auf die kriminellen Banden im Moskauer Untergrund eingeht und auch erklärt, wie diese zu Sowjetzeiten existieren konnten. Auf der zeitgeschichtlichen Ebene bis hin zum Volksaufstand in Ungarn ist Kolyma genauso genial wie sein Vorgänger.
Allerdings verliert der Roman durch wesentlich mehr „Action-Hero“-Sequenzen leider einiges an Atmosphäre. So übersteht der Held viele üble Verletzungen mit weniger Effekt als man denken würde. Auch der Gegenspieler Demidows wirkt überzeichnet, fast wie der typische verrückte Bad Guy eines B-Movies. Und die Geschichte um Leos Adoptivtochter neigt ins Kitschige. Der Autor hat hier meines Erachtens nach die falschen Elemente verstärkt.
Auch wenn Kolyma hinter seinem Vorgänger zurückbleibt, ist es ein solider Thriller, den zu lesen sich lohnt.
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