Im Schatten des Krans
von Jürgen Rath
280 Seiten © Sutton Verlag, 2013 www.suttonverlag.de ISBN 978-3-95400-220-7
Diese Gelegenheit hat man nicht alle Tage. Moritz lässt sich seine Freude und einen gewissen Stolz nicht anmerken, denn schließlich weiß er sich in Anwesenheit seines Chefs zu benehmen. Innerlich möchte er aber die ganze Welt umarmen, denn endlich würde er einmal aus dem Kontor herauskommen. Seit einem knappen Jahr ist er Kaufmannslehrling bei Schröder & Westphalen. Die ihm zugedachten Schreibarbeiten erledigt er nur ungern - viel lieber würde er in der Quartiersmeisterei wie sein Vater und sein großer Bruder arbeiten.
Caesar Schröder betraut seinen Lehrling mit einer wichtigen Aufgabe. Der strenge Kontorvorsteher Harms ist krank, die beiden "Commis" (Kaufmannsgesellen) Roger Stove und der Sohn des Chefs, Alexander Schröder, unabkömmlich, weshalb nun Moritz einen Botengang zum Hafen erledigen muss. Warenwertpapiere sind Kapitän Westphalen zu überbringen. Die Dokumente werden versiegelt und Moritz macht sich auf den Weg aus dem dunklen Kontor ...
Kapitän Westphalen hat ein Problem mit dem Werftbesitzer Elbrand. Dieser möchte aus nicht ganz uneigennützigen Motiven einen Schwerlastkran im Hafen bauen lassen. Die "Hebemaschine" soll komplett aus Holz errichtet werden, was heftige Proteste auslöst. "Klabautermann Westphalen" will den Bau verhindern und er ist nicht der einzige. Roger Stove, der Sohn eines Londoner Bankiers, kann dieser Idee ebenfalls nichts abgewinnen, zumal die mittelalterliche Technik, die Hamburg um 100 Jahren zurückwerfen würde, seiner Ansicht nach völlig veraltet sei.
Der Kaufmannsgeselle gerät in dieser Sache mit Elbrand persönlich aneinander. Zu später Stunde wird der heftige Streit beobachtet und wenig später die Leiche Elbrands von einer Nachtwache gefunden. Fast zwangsläufig ergibt sich die Verhaftung Stoves. Kontorlehrling Moritz Forck sieht die Dinge anders und glaubt an die Unschuld seines Kollegen. Zunächst bittet er seinen Vater um Hilfe, bis er schließlich die Sache selbst in die Hand nimmt. Motive persönlicher Art hat er genug. Leider gestaltet sich die Suche weitaus gefährlicher, als er zunächst vermutet hatte ...
Jürgen Rath zeichnet mit "Im Schatten des Krans" ein eindrucksvolles Stimmungsbild Hamburgs im Jahr 1845. Während er in seinem Roman "Nordhörn" einen soliden Inselkrimi, in den späten 50er Jahren angesiedelt, vorgestellt hat, dreht er das Rad der Zeit nun wesentlich weiter zurück. Eine ganze Reihe unterschiedlichster Charaktere bevölkern das Spannungsfeld zwischen höheren gesellschaftlichten Schichten Hamburgs und den einfachen Hafenarbeitern, wobei auf die hierarchischen Strukturen im Hafen selbst ebenfalls eingegangen wird.
Drei Jahre nach dem verheerenden Brand 1842 hat sich Hamburg noch immer nicht von der Katastrophe erholt. Vor dem Hintergrund großer technischer Veränderungen erzählt der Autor in gewohnt stimmiger Atmosphäre einen Kriminalfall, indem er, ebenfalls wie gewohnt, den Spannungsbogen sehr zurückhaltend angeht. Das hat Methode und funktioniert auch in diesem Roman. Zunächst sind die ausführlichen Milieubeschreibungen wichtiger, bis sie die tragende Funktion nach und nach an die private Ermittlungsarbeit des Kontorlehrlings Moritz Forck weitergeben. Dieser hat nicht nur gegen massive Widerstände anzukämpfen, sondern muss sich auch noch mit ersten pubertären Wallungen auseinandersetzen.
"Im Schatten des Krans" kann in mehrfacher Hinsicht faszinieren, wobei man den Schilderungen der Lebensumstände der damaligen Zeit sowie den Umständen, die zur Aufklärung des Verbrechens führen, gerne noch etwas mehr Raum gewünscht hätte. Neben der erzählerischen Seite überzeugt Jürgen Rath dennoch auch und wieder mit Sachkenntnis, ohne aber Leserinnen und Leser zu überfordern. Zudem hilft ein ausführliches Glossar, dies zu verhindern, denn nicht jedem ist bekannt, um was es sich bei einem "Bramrah" oder einem "Heuerbass" handeln mag. Auch bei Begriffen wie "Spillspake", "Tallymann" oder "Kohlenjumper" kann etwas Nachhilfeunterricht nicht schaden.
Ein aufregender Kriminalfall und ein ebensolcher Blick in die Vergangenheit.
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