Literatur

Nordhörn
Ein Nordsee-Krimi


von Jürgen Rath


272 Seiten
@ Sutton Verlag, 2012
www.suttonverlag.de
ISBN 978-3-86680-964-2



Aushilfsarchivar Steffen Stephan staunt nicht schlecht, als er sich die Aktenberge im Archiv einmal genauer anschaut. Zunächst hat er keine Idee, wie man in dieses unbeschreibliche Chaos Ordnung bringen soll. Vielleicht sollte er es Herakles (nicht Odysseus - S.17) gleichtun, der die völlig verwahrlosten Ställe des Königs Augias, welche 30 Jahre nicht gereinigt wurden, mittels zweier umgeleiteter Flüsse an einem Tag säuberte. Auf seine aktuellen Belange übertragen, könnte ihm vielleicht die Nordsee, in Verbindung mit einer ordentlichen Sturmflut, nützliche Dienste erweisen!

Amtsvorsteher Wilhelm Christiansen zeigt sich von den Aktivitäten wenig begeistert. Er braucht keinen Archivar, zumal es auf der Insel ganz andere Probleme gibt. Steffen Stephan klärt ihn aber dahingehend auf, dass es Vorschriften für die Aufbewahrung von Schriftgut gibt. Laut einem Bericht des Landesrechnungshofes werden genau diese auf Nordhörn nicht beachtet, weshalb er in dieser Sache jetzt für Ordnung sorgen soll. Für drei Monate ist er der Inselgemeinde zugeteilt. Derartige Vorschriften interessieren den Amtsvorsteher allerdings nicht, doch er wird etwas vorsichtiger, als ihn der Archivar daran erinnert, dass er sich zwar auf einer Insel, gleichwohl aber immer noch auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland befindet.

Die mangelhafte Kooperationsbereitschaft des Amtsvorstehers scheint Teil eines System zu sein, das Unheil ankündigt. Schon auf der Überfahrt erreichte Steffen die erste Warnung. Er kam mit dem Maschinisten der "Rungholt" ins Gespräch. Zunächst unterhielten sie sich über Dampfmaschinen, doch als er von der ihm zugedachten Aufgabe auf der Insel berichtete, gab der Maschinist zu bedenken, dass Steffen eigentlich nicht wie ein Selbstmörder aussehen würde!

Im weiteren Verlauf mehren sich die bedrohlichen Vorzeichen. Bei einem Mittagessen in "Michaelis' Krämerladen" meldet sich der anwesende Kapitän der Rungholt unsanft zu Wort. Er will wissen, wer ihn für die "Schnüffeleien" bezahlt und bedroht ihn in unzweideutiger Art und Weise. Auch im "Kiek ut" begegnet man ihm feindselig, insbesondere was Roluf Tuxen, den "Strandvogt" betrifft. Eine tätliche Auseinandersetzung lässt sich gerade noch vermeiden, da Steffen Beistand von Lehrer Gerdes erhält. Dieser weiht ihn auch in erste Geheimnisse der Insel ein, die von jeder Menge Ärger der Inselbewohner untereinander berichten. Eine Rechnung hat beispielsweise Leuchtturmwärter Boy Jenzen mit dem Strandvogt offen.

Die vermeintliche Inselromantik entpuppt sich nach und nach als Scheinfriede. Die heile Inselwelt ist ein Trugbild, denn keiner kann den anderen leiden. Die Liste der schwarzen Flecken auf weißen Westen ist groß, und für Steffen Stephan spitzt sich die Lage zu. Der Sturm kommt ins Rollen, als er vom gewaltsamen Tod seines Vorgängers erfährt und eine weitere, ebenfalls eindeutige Warnung erhält: Eine tote und halbverweste Ratte auf seinem Schreibtisch ...

Jürgen Rath baut die Spannung in seinem Krimi-Debut langsam auf. Die sich anbahnenden Dinge deutet er zunächst nur verhalten an und vermittelt damit den Eindruck eines Unwetters, welches sich in Zeitlupe, aber unaufhaltsam nähert. Die Luft zwischen den Seiten scheint elektrisch geladen zu sein. Als Leser sieht man sich einerseits hilflos ausgeliefert und andererseits gezwungen, das Lesetempo etwas anzuziehen.

Der Autor gestaltet die in den späten 50er Jahren angesiedelte Geschichte im Wechselspiel mit Ereignissen, die sich 1938 auf der "Stella P." zugetragen haben. Zunächst darf man als Leser nurmehr ahnen, in welchem Zusammenhang die Geschichte des Frachtseglers mit dem sonderbaren Verhalten der Bewohner der Insel Nordhörn in Zusammenhang stehen.

Spannung entsteht auf engstem Raum, da die Hauptfigur auf der winzigen Insel sehr begrenzten Fluchtmöglichkeiten ausgeliefert ist. Der unterbrochene Fährbetrieb im Winter schränkt zusätzlich ein, und zwingt den Archivar vor dem großen Finale zu einem Katz- und Mausspiel. Steffen kann nicht entkommen - der Mörder aber ebenfalls nicht ...

Solider Inselkrimi. Düsteres Kammerspiel in scheinheiliger Idylle.

 

Thomas Lawall - November 2012

 

 

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