Garmischer Wut
von Roland Krause
240 Seiten © Emons Verlag GmbH www.emons-verlag.de ISBN 978-3-7408-1958-3
Seit geraumer Zeit geht der Rezensent der fiktionalen Literatur aus dem Weg, weil selbige ihn langweilt und/oder gar ordentlich auf die Nerven geht. Ewig dieser erfundene Kram, der kleine oder größere Geschichten enthält, die eigentlich mit wenigen Worten erzählt wären, aber dann, um einen gewissen Umfang des fertigen Produktes zu rechtfertigen, mit allerlei mehr oder weniger "literarischen" Füllmaterialien vollgestopft und aufgepeppt werden.
Sachliteratur war fortan angesagt ... aber wenn Ausnahmeautoren zurückhaltend und sachte anklopfen, gehen vorschnell geschlossene Türen wieder auf. Mit Roland Krause hatte ich ja schon des Öfteren das uneingeschränkte Vergnügen. Selbiges bereitet er Leserinnen und Lesern mit einem Wiedersehen seiner Figuren Ben Wiesegger, Garmisch-Partenkirchens verlorenem Sohn, und der Tierärztin Laura Schmerlinger, welche er uns in "Garmischer Mordstage" (2022) bereits ausgiebig vorgestellt hat.
Glückliche oder, je nach Sichtweise, unglückliche Umstände vereinen die beiden wieder zu einer gemeinsamen Ermittlungsarbeit, denn es geschieht, wie in einem Kriminalroman durchaus nicht unüblich, ein Mord. Dieser passiert aber nicht sofort, sondern braucht eine einleitende Vorgeschichte, weil er erstens gar nicht wie ein Mord aussieht und auch nicht von einem Menschen entdeckt wird...
Während man in anderen Kriminalromanen gleich auf der ersten Seite mitten in einen Tatort katapultiert wird, lässt sich Roland Krause hier etwas Zeit. Zuerst müssen Land und Leute, also die Gegend rund um Garmisch und die schon zitierten Haupt- und einige wichtige Nebendarsteller/innen vorgestellt werden. Und schon sind sie wieder da, die so geschätzten Metaphern des Autors, mit welchen er beschreibt, erzählt, charakterisiert und Bilder zeichnet.
Wir treffen beispielsweise unangenehme Herrschaften wie den Industriellen Boderbeck, der ganz hervorragend "ein Lächeln parodieren" kann, oder den Chefredakteur Vogel, der sich mit Empathie so oft trifft wie "Eisbär und Pinguin". Ferner begegnen wir "Empörungsfetischisten" und "Politkasperln" und werden angeregt, darüber nachzudenken, ob ein Klingelton mit einer Melodie von Motörhead nicht auch etwas für uns Leserinnen und Leser wäre. Ben, der neuerdings mit einem speziellen Begleiter unterwegs ist, wächst uns nicht zuletzt dadurch immer mehr ans Herz, als er, wie alle Leseratten unter uns, einen Fitnessgrad "im Minusbereich" vorweisen kann. Auch ein neues (altes) Spiel lernen wir kennen. Es heißt "Verantwortungsmikado". Die Spielregeln weiß der Autor schnell zu erklären. Genauer gesagt, mit einem einzigen Satz.
Ja ja, natürlich steht ein ebenso gruseliger wie unappetitlicher Mord im Mittelpunkt. Wer hätte das gedacht. Es könnte sogar sein, dass am Ende Licht ins Dunkel kommt. Da es sich um ein Buch von Roland Krause handelt, liegt der Fokus aber woanders, denn in diesem Fall ist der Weg dorthin das Ziel.
Jenes wird aber erst nach der einen oder anderen Durststrecke erreicht. Vielleicht ist die streckenweise nachlassende Spannungskurve aber auch ganz im Sinne des Autors, denn am Ende gibt er Vollgas und spendiert ein Finale in doppelter Ausführung. Ein gar dritter Knalleffekt löst Bens sehr persönliches Problem, das ihn schon in seiner Vergangenheit belastete.
Apropos: Zum weiteren Verständnis von Bens und Lauras Geschichte ist die Lektüre des Vorgängerbandes nicht unbedingt notwendig, da sie immer wieder mal aufgefrischt wird. Dennoch sollte man nicht dem Irrtum verfallen, es würde nichts ausmachen, den Vorgänger "Garmischer Mordstage" verpasst zu haben!
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