Literatur

Für immer tot

von Bernhard Aichner


238 Seiten
© Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2011
www.haymonverlag.at
www.bernhard-aichner.at
ISBN 978-3-85218-882-9



Zwei betrunkene Männer irren auf dem Friedhof herum. Mitten in der Nacht. Sie haben es eilig, denn die Zeit drängt. Sie untersuchen alle Gräber auf Spuren frischer Erdbewegungen. Einen winzigen Hinweis vielleicht nur, sei es ein verschobener Kranz, ein schiefes Holzkreuz oder ein lockerer Grabstein. Sie kriechen auf dem Boden herum und ergeben sich der sinnlosen Hoffnung, vielleicht Tildas Stimme zu hören ...

Tilda ist seit 35 Jahren bei der Polizei. Sie weiß, dass sie gesucht wird und dass man alles Menschenmögliche unternehmen wird, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Doch nur mühsam kann sie den Berg wachsender Verzweiflung mindern. Ob dies ein Kampf wird, den sie verlieren wird?

Totengäber Max Broll und sein Freund Johann Baroni, eine ehemalige Fußballgröße, hatten sich ihren Filmeabend völlig anders vorgestellt. Jeder auf seine ganz persönliche Art ein Individualist, hatten sie sich verabredet, gemeinsam das "Zombiemassaker" anzuschauen, ein "sehr schöner, ruhiger Film", "ganz großes Gefühlskino" und "ein Muss für einen Totengräber" sowieso. Die von Würmern zerfressenen Hauptdarsteller gingen ihrem schaurigen Treiben mit großem Einsatz und Nachdruck nach, während sich Max und Baroni ebenso biertrinkend wie königlich amüsierten. Die bizzarre Gesamtsituation wurde noch dahingehend unterstrichen, da sich die beiden den Film im Friedhofsgarten anschauten. Per Beamer auf eine große Leinwand projeziert! Sehr zum Leidwesen von Pfarrer Stein, der gezwungen war, dem munteren Treiben aus allernächster Nähe (und im wahrsten Sinne des Wortes) beizuwohnen. Doch er schickt sich an, seinem Amtssitz am Friedhofsgarten für eine Kur den Rücken zu kehren. Im Dorf herrscht Ausnahmezustand, denn der neue Pfarrer kommt aus Afrika. Max hat ihn sogleich in seine Blocksauna eingeladen. Schließlich sei er ja Hitze gewohnt ...

Das nahe Ende des unterhaltsamen Filmeabends näherte sich, als Baroni ein Handy fand. Eins von den Seniorenhandys mit einer sehr übersichtlichen Tastaturanordnung. Max bestritt, dass ihm das "Deppenhandy" gehören würde, und konnte sich nicht erklären, wie es auf seine Kommode gekommen war. Er drückte auf ein paar Knöpfe und wurde jeweils automatisch verbunden. Die Gespräche beendete er rasch mit verschiedenen Ausflüchten. Wie vom Donner gerührt hörten die beiden die Stimme von Tilda, die eigentlich längst im Bett liegen müsste, als Max die SOS-Taste drückte ...!

Ausgerechnet Tilda hat es erwischt. Der Film ist aus und die Wirklichkeit schlägt mit aller Härte zurück. Zehn Jahre alt war Max, als sie die Rolle der verstorbenen Mutter übernahm. Sie meisterte die Aufgabe mit Bravour. Mit großem Einfühlungsvernehmen schenkte sie ihm Zeit, die er für das Verkraften des Verlustes und die Gewöhnung an die neuebesetzte Mutterrolle gebraucht hat. Ganz offenbar wurde Tilda entführt, in eine Holzkiste gepackt und vergraben. Für Max bricht eine Welt zusammen. Er kann sich keinen Reim darauf machen, warum es ausgerechnt sie getroffen hat. Keiner Fliege könnte sie jemals etwas zuleide tun. Tilda braucht Hilfe und zwar sofort. Leider gestalten sich die ersten Peilungsversuche schwierig. Immerhin kann man das zu durchkämmende Gebiet auf acht Kilometer begrenzen. Eine atemlose Suche beginnt. Ein Verdächtiger ist schneller gefunden. Ein Mann, der bisher nie Dagewesenes verbrochen hat! Doch er kann es eigentlich nicht gewesen sein ...

Nach seinem sensationellen Krimi-Debut "Die Schöne und der Tod" legt Bernhard Aichner noch ein paar Kohlen nach. Das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Lebendig begraben sein. Die Bewegungsfreiheit auf ein Minimum beschränkt. Verloren in panischer Enge und abgrundtiefer Verzweiflung! Das Grundthema fand mit "Buried – Lebend begraben", unter der Regie von Rodrigo Cortés, bereits Anfang 2010 eine grandiose Filmumsetzung. Die Idee mit dem Handy ist ebenfalls nicht ganz neu, denn Hauptfigur Ryan Reynolds (Paul Conroy) findet ebenso wie Kriminalhauptkommisssarin Tilda Broll ein solches in seinem Sarg. Hier enden aber auch schon die Gemeinsamkeiten, denn Schauplätze und die weiteren Ereignisse entwickeln sich in jeweils völlig andere Richtungen.

Wieder brilliert Aichner mit einer dramatischen Präzision, die seinesgleichen (vergeblich) sucht. Mit einfachsten Mitteln weiß er Spannungselemente zu konstruieren, die mal unterschwellig unter der Oberfläche brodeln oder lichterloh an der Oberfläche brennen! Seine Dialoge sind wiederum sehr kurzweilig und verzichten einmal mehr auf überflüssige Interpunktionen. Die Kunst des Weglassens treibt er auch hier auf die Spitze. Oft jagen sich im Federballspiel der wohldosierten Worte die Pointen gegenseitig. Man kann gar nicht so schnell lesen wie man lachen möchte. Doch damit nicht genug, denn der Autor versteht es wie kein anderer, den Spieß ohne Vorwarnung plötzlich umzudrehen ... und nunmehr kann man gar nicht so schnell rennen, wie einem das Lachen im Halse steckenbleibt!

Spektakuläre Story und ein (schaurig-schräges) Krimi-Kunstwerk!

 

Thomas Lawall - August 2011

 

 

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