Literatur

Die Einsamkeit des Bösen


von Herbert Dutzler


368 Seiten
Haymom Taschenbuch 2020
© Haymon Verlag, Innsbruck-Wien 2018
www.haymonverlag.at
ISBN 978-3-7099-7936-5



Ja, es geht auch ohne die kultige Figur des Altausseer Polizisten Franz Gasperlmaier, der in "Letzter Jodler" wie gewohnt brillierte. Ganz so gemütlich und bodenständig geht es in "Die Einsamkeit des Bösen" freilich nicht zu, denn Herbert Dutzler kann auch anders. Ganz anders!

Frau Liebscher, Alexandras Lehrerin, ist ebenso freundlich wie lustig. "Sie muss sich auch vor nichts fürchten." Sie erkennt Alexandras Begabungen und ist davon überzeugt, dass aus ihr eines Tages eine Künstlerin werden könnte. Alexandra lehnt dies kategorisch ab, denn "Künstlerinnen verdienen nämlich sehr wenig Geld." Und genau das würde sie brauchen, um von zu Hause wegzukommen ...

Später als erwartet sollte sich dieser Traum erfüllen, wenn auch in völlig ungeahnten Dimensionen. Ihr späterer Ehemann gewinnt im Lotto 24 Millionen Euro. Die Welt wäre in Ordnung und sämtliche akuten Probleme beseitigt, wenn sich nicht unerwartet eine ganze Reihe neue ergeben würden ...

Ständige Rückblenden entwickeln sich zu einem beunruhigend unheilvollen Gesamtbild. Alexandras Kindheit gleicht einem Martyrium. Extrem realistisch schildert der Autor den typischen Teufelskreis aus Gewaltanwendung und Schuldgefühlen, die eine gesunde Entwicklung verhindern. Alexandra plagt ein schlechtes Gewissen, nur weil sie ihrem ständig betrunkenen und gewalttätigen Vater ganz und gar nichts Gutes wünscht.

"Ich muss ein schlechter Mensch sein, ein ganz schlechter."

Zusätzliche Intensität erfährt die Geschichte durch den Wechsel der Erzählperspektive. Während die Gegenwart ein imaginärer Erzähler schildert, übernimmt die Vergangenheit, jene Kapitel, welche durch römische Ziffern gekennzeichnet sind, Alexandra selbst. Höchst aufschlussreich und erschreckend zugleich sind die offensichtlichen Auswirkungen der kindlichen Traumata auf das Leben der erwachsenen Alexandra.

Gar unheimlich wird es, wenn sich kindliche Gedanken, Ängste und Wünsche zum ersten Mal und formulierungstechnisch fast deckungsgleich überschneiden. Spätestens in diesem Moment nimmt der Roman eine entscheidende Wendung.

Mit sehr viel psychologischem Fingerspitzengefühl zeichnet Herbert Dutzler in diesem ungewöhnlichen Kriminalroman Psychogramm und Leben einer Frau, deren Weg in gewisser Weise vorgegeben ist, sowie den vergeblichen Versuch, Weichen umzustellen, um alte Verhaltensmuster abzulegen.

Der Ernst der Sache kann jedoch die humoristische Seite des Autors nicht ganz übermalen, auch wenn dies mitunter in indirekte Kollegenschelte ausartet. Hauptsache er gehört bewiesenermaßen nicht zu jenen Autoren, die unter "ausgeprägter erzählerischer Impotenz" leiden. Und nebenbei gesagt wären, im Zusammenhang mit Alexandras Übersetzungsarbeit in einem Verlag, für "Die Einsamkeit des Bösen" Grundkenntnisse der englischen Sprache zwar nicht zwingend notwendig, jedoch von Vorteil.

Wenn sich die Symptome einer verkorksten Kindheit später mit sich selbst multiplizieren, ist eine Eskalation ebenso vorprogrammiert wie unvermeidbar. Ebenso das Ende, welches wie kein anderes ist!

 

Thomas Lawall - November 2020

 

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