Literatur

Der Metzger kommt ins Paradies

von Thomas Raab


320 Seiten
© 2013 Droemer Verlag
www.droemer.de
ISBN 978-3-426-19955-8



"Hände hoch!" Vor Metzgers Liegestuhl hat sich seine Allerliebste, nach vorne neigend, aufgebaut. Der Herr in der nächsten Reihe erfreut sich an der herrlichen Aussicht, während Restaurator Willibald Adrian Metzger im Moment gar kein Auge für seine "pralle, beinahe den Badeanzug sprengende Daniela" hat. Kein Wunder, denn ihn plagt der Urlaubsstress. Daniela hat es gut gemeint, doch die Überraschung mit der Zugreise darf als gescheitert betrachtet werden. Nur weil ihr Willibald beachtliche Vorbehalte gegen das Fliegen hat, heißt dies noch lange nicht, dass ihm eine zwölfstündige Zugfahrt lieber wäre.

Seine Lieben haben zusammengelegt, um ihn zu seinem fünfzigsten Geburtstag mit einem (reichlich verspäteten) "Sammelgeschenk" zu beglücken. Eine Reise in den sonnigen Süden hat ihm gerade noch gefehlt. Diese Hitze den ganzen Tag. Nicht zum Aushalten. Und von Ruhe keine Spur. In einer schier endlosen Anzahl von Liegestühlen, "wie ein in Schlachtaufstellung befohlenes römisches Heer", liegen die Urlauber, sauber aufgeräumt, umgeben von ihrem lärmenden Anhang. Willibald ist mehr als stinksauer - der Famillenfrieden ist ernsthaft gefährdet. Aus dem von Madame Djurkovic erdachten, und auf ihre ganz spezielle Art wunderbar formulierten, "Turteltaubentrip in sonnige Süden" scheint nichts zu werden.

Dies ändert sich insofern, als es Willibald gelingt, die miserable Stimmung umzudrehen. Aus der letzten Reihe des Liegestuhlbatallions lässt es sich nämlich wunderbar einen Beobachtungsposten einrichten, denn es gibt sehr viel Interessantes zu beobachten. Kinder buddeln einen toten Hund aus, der keines natürlichen Todes gestorben zu sein scheint. Die in dieser Sache in einem mehr oder weniger großen Zusammenhang stehenden Personen verhalten sich alles andere als normal und es scheint sich etwas zu verdichten, was selbst Willibald zunächst nicht zu deuten in der Lage ist.

Derweil wird in der Kinderbetreuung eine Leiche gefunden, was Hotelmanagerin Margit Becker wenig begeistern kann. Strengstes Stillschweigen im Hinblick auf den reibungslosen Ablauf des Hotelbetriebs wird von ihr verordnet, was selbst die örtlichen Ordnungshüter insofern akzeptieren, als sie die Leiche vom Tatort veschwinden lassen. "Dolly" Dolores Poppe gelang es durch eine ebenso geistesgegenwärtige wie unkonventionelle Reaktion, den Leichenfund, mitten im Kiddyclub-Zelt, möglichst unauffällig zu gestalten ...

... und nicht nur das ist eine der zahlreichen fast slapstickartigen Aktionen in diesem Spektaculum an Kriminalroman. Dieses gnadenlos durchdachte Mittelmeer-Epos sucht seinesgleichen vergebens. "Der Metzger kommt ins Paradies" überzeugt, wie auch sein Vorgänger, nicht nur durch eine raffiniert konstruierte Story, sondern auch und vor allem durch eine ganze Reihe von schrägen Charakteren. Wenn ich in meiner Rezension zu "Der Metzger bricht das Eis" von Ecken  und Kanten gesprochen habe, so findet man diese auch im aktuellen Roman, und verbunden mit den (gewollt) umständlichen Formulierungskünsten des Autoren ergibt sich ein mitunter nicht unanstrengender Lesefluss.

Die verschachtelten Strukturen vereinen sich mit einer dem Amtsdeutschen nicht unbedingt abgeneigten Form und bilden Wort- und Satzkreationen, herrlich verschraubt und unkonventionell. Auch was die Charakterisierungen der Personen (und deren Dialekt) betrifft, ist Thomas Raab einmal mehr Experimenten nicht abgeneigt. Josef Krainer, der als "Polizeibediensteter" eine oscarreife Nebenrolle besetzt, glänzt beispielsweise durch die deftig-aufschlussreichen Telefondialoge mit dem Kollegen Schulze, die Thomas Raab so fein ausbalanciert hat, dass sie ohne den Text von Schulze auskommen!

Auch die zahlreichen humoristischen Einlagen sind wieder von höchster Güteklasse. Die Bandbreite erstreckt sich hier von kulinarischen Schwerverbrechen wie "Pizza, belegt mit Würstel und Pommes", Zeitschriften, die nur im "geistigen Stromsparmodus" zu ertragen sind, bis hin zu einem "beleidigten Magen", der selbst "dem gesündesten Körper in Sekundenschnelle eine Vorahnung des Sterbens" vermitteln kann, während einem bei zynischer Gesellschaftskritik, wie bei Thomas Raab üblich, wiederum das Lachen im Halse stecken bleibt. Zum Glück gibt es aber des Metzgers Allerliebste. Danjela Djurkovic reißt nicht nur einmal mit ihrer vehementen Präsenz den Karren aus dem Dreck: "Bitte lachst du, war Witz."

Doch all dem herrlich schrägen Treiben ist diesmal eine gnadenlose Wendung zugedacht. Der von Dolly gefundene tote Senegalese mag andeuten, dass es hier um mehr geht, als man zunächst vermuten mag. Und abgelenkt durch die Fährte in Richtung Kunstraub erschreckt man dann doch reichlich, wenn sich die Tore des Grauens langsam öffnen. Das letzte Drittel des Buches verdichtet sich immer mehr in abgründige Machenschaften des eigentlich Unvorstellbaren ...

Alles ist hierzulande möglich, meinte einst Willibalds Mutter. "Dermaßen viel Fantasie kann ein Menschenhirn nämlich gar nicht aufbringen, um es mit dem Irrsinn namens Wirklichkeit aufnehmen zu können".

 

Thomas Lawall - Juni 2013

 

 

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