Delta-V
von Daniel Suarez
660 Seiten © 2020 by Rowohlt Taschenbuch Verlag www.rowohlt.de ISBN 978-3-499-00151-2
Man fragte sich, was nach dem fünften Roman "Bios" wohl noch kommen mag. Suarez' genialer SF-Thriller entwarf ein düsteres Szenario um die, in nicht allzu ferner Zukunft angesiedelten, Schrecken der "biologischen Moderne". Kann ein weiterer Roman die nunmehr recht hoch angesiedelten Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen?
Er kann! Wobei man sich zunächst wieder auf gewohnte Strukturen einstellen darf. Der Science-fiction-Anteil spielt ebenfalls in der nahen Zukunft und der Autor räumt seinen Beschreibungen zum Stand der Technik, ab dem Jahr 2032, den wie erwartet großen Raum ein. Wen würde beispielsweise nicht interessieren, wie ein "optisches Schürfsystem" funktioniert?!
Einen anderen Schwerpunkt bilden diesmal massive wirtschaftliche Erwägungen und Ziele, die, nicht zuletzt wegen dringend zu erhaltendem Gleichgewicht der weltweiten Märkte, expandieren müssen. Milliardenschwere Investoren sehen hier durchaus unterschiedliche Möglichkeiten, welche allerdings eine Gemeinsamkeit zu haben scheinen. Die verschiedenen Ansätze führen alle von der Erde weg. Während die einen Industrieprojekte auf dem Mond oder Mars einrichten und fördern wollen, gibt es einen Mann, der die Dinge grundsätzlich anders angehen will.
Nathan Joyce, Gründer der "Catalyst Corporation", wagt es, in einer weltweit ausgestrahlten Diskussionsrunde die Idee seiner Kontrahenten, Koloniestationen auf Mond oder Mars zu errichten, in Grund und Boden zu argumentieren. Er setzt grundsätzlich andere Prioritäten, indem er sich jene Stationen im freien, erdnahen Raum vorstellt.
Sein "Asteroidenbergbau-Geschäftsmodell" sieht vor, dass von solchen Kolonien aus Asteroiden, im konkreten Fall "Ryugu", wirtschaftlich erschlossen werden können. Seine Kalkulationen lassen keine anderen Lösungen zu. Zudem sei der Bedarf an den zu erwartenden Rohstoffen für das Überleben der Menschheit von immenser Wichtigkeit. Ebenso wie die Entwicklung spezieller Raumschiffe ... welche allerdings nicht auf der Erde gebaut werden können.
Um ein Projekt solcher Größenordnung zu starten, muss eine spezielle Mannschaft vorhanden sein, die sich nicht nur extremen Bedingungen stellen kann, sondern auch in jeder denkbaren Krisensituation die richtigen Entscheidungen zu treffen vermag. Einer von ihnen ist der Höhlentaucher "J.T." James Tighe, der zunächst gemeinsam mit 440 Kandidaten ein hartes Trainings- und Auswahlverfahren zu absolvieren hat, da nur achtzehn Personen am Ende ausgewählt werden.
Allein jene Passagen machen Delta-V zu einem ungeheuer spannenden Roman, wobei sie zunächst nur einen Bruchteil von dem darstellen, was noch alles auf Leserinnen und Leser zukommt. Auch die Vorstellung einer ganzen Reihe hochinteressanter Charaktere mit ebensolchen Fähigkeiten macht Laune ... doch dies alles kann nicht verhindern, dass sich ein schleichendes Unbehagen breit macht, zumal einige Nebenhandlungen, beispielsweise jene, die von einem gewissen Lukas Rochat, einem ebenso jungen wie erfolglosen Rechtsanwalt, angeführt werden, nicht unbedingt Gutes erahnen lassen ...
Daniel Suarez erfindet mit Delta-V das Genre nicht neu, präzisiert aber Visionen. Und diese stehen bekanntlich am Anfang jeder Entwicklung. Wobei die unbemannte Landung auf dem im Mai 1999 entdeckten Asteroiden Ryugu ja bereits gelang. Ende Dezember 2020 soll die 2014 gestartete japanische Raumsonde Habayusa 2 mit Bodenproben zur Erde zurückkehren ...
Die Romanform muss allerdings, trotz aller Detailverliebtheit, reichlich übertreiben. Trotzdem geben sich Fiktion und Realität die Hand. Und so nebenbei: Spannender geht kaum!
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