Das Buch des Hüters
von Andreas Dresen
224 Seiten © ACABUS Verlag, Hamburg 2011 www.acabus-verlag.de www.andreas-dresen.de ISBN: 978-3-86282-053-5
Es war rabenschwarze Nacht und Pejo, der junge Mann aus dem Norden, konnte die Hand vor Augen nicht sehen. Die Gassen waren dunkel und kaum jemand war unterwegs. Doch plötzlich war es vorbei mit der trügerischen Nachtruhe. Ein riesiger Feuerball erhellte den Nachthimmel und tauchte die Stadt und ihre geblendeten Bewohner in ein unheimliches Licht. Eine Kutsche war explodiert und überall lagen Tote und Verletzte herum. Auf der Tür der brennenden Kutsche konnte Pejo das Wappen Lord Hansens erkennen ...
Mitten aus den Flammen rettete sich ein Mädchen, rannte in wilder Panik auf Pejo zu, stieß ihn zu Boden und verschwand zwischen den Häusern. Um nicht von den heranstürmenden Soldaten irrtümlich irgendwie beschuldigt zu werden, entschloss er sich ebenfalls zur Flucht. Er rannte dem Mädchen hinterher. Rosso lief um ihr Leben, doch Pejo konnte mithalten. Sie mischten sich unter die Menschenmenge auf dem "Markt der Absonderlichkeiten" und gelangten in eine dunkle Seitengasse und durch einen geheimen Eingang, den Rosso noch aus ihrer Kindheit kannte, in den alten Supermarkt von Waldfurth.
Das Mädchen regte sich nicht und Pejo dachte schon, dass sie tot sei. Plötzlich richtete sie sich auf und sah ihn an. Einen inneren Kampf austragend wusste sie zunächst nicht, was zu tun ist, bevor sie -schwer verletzt- wieder zusammenbrach. Mit letzter Kraft erzählte sie etwas von einem Buch, das es unbedingt zu beschützen gilt. "Sie" dürften es niemals bekommen. In Panäa habe das Buch schon genug Schaden angerichtet, aber in den Norden dürfe das Buch auf gar keinen Fall gelangen, und unabsehbar wären die Folgen für das ganze Land, würde es gar in die Hände des "Strombarons" fallen.
Rosso gehörte zu einem geheimen Kommando, welches das Buch zerstören sollte. Der Süden sei in Gefahr, berichtete sie. Ein freies Panäa könne nur existieren, wenn das Volk über seine Zukunft selbst entscheiden dürfte. Der Inhalt des Buches hätte das aber verhindert, da die Menschen mit dem in ihm enthaltenen Wissen nicht umgehen könnten. Deshalb wäre die Vernichtung die einzige Alternative gewesen. Mit Sprengstoffgürteln ausgerüstet warteten sie auf die Kutsche, die das Buch in den Norden bringen sollte. Doch der Versuch misslang ...
Rosso überreichte Pejo das Buch, bevor sie ihre Lebensgeister endgültig verließen. Er schien ihr der einzige zu sein, dem man das Buch anvertrauen konnte. Er versprach ihr aufzupassen, dass es nicht in die falschen Hände geraten würde, obwohl er bereits ahnte, in Angelegenheiten hineingezogen zu werden, die er weder verstand, noch zu verantworten hatte, und somit als Spielball zwischen unbekannte Fronten zu geraten. Er hielt Rosso in seinen Armen, bis sie schließlich starb ... ohne zu ahnen, wen sie vor sich hatte!
Jetzt war Pejo allein unterwegs. Im Süden und fern der Heimat. Den Morgen nach dem Markt der Absonderlichkeiten in Waldfurth hätte er sich anders vorgestellt. Mit dem Buch unter seiner Jacke verborgen kam er sich vor, als würden ihn alle Menschen auf der Straße anstarren. Er betrat die Hauptstraße und ging zum nördlichen Tor. Schon aus der Entfernung sah er die Menschen vor dem Tor anstehen. Alle wurden kontrolliert, insbesondere junge Männer! Unter einem Vorwand entfernte er sich schließlich aus der Schlange der Wartenden und ging wieder in Richtung Stadtmitte. Er hatte eine Idee, doch ein Soldat bemerkte ihn und nahm die Verfolgung auf ...
Auch wenn "Das Buch des Hüters" aus ebenso bekanntem wie bewährtem Muster gestrickt ist, ist es kaum möglich, das Buch aus den Händen zu legen. Immerhin ist die Story nicht gerade alltäglich. Radikale Umweltschützer haben es endlich geschafft, die Menschen in ein Leben ohne elektrischen Strom zu zwingen. Wie sie damit zurechtkommen würden, überlegte keiner. Mehr oder weniger gleichen sich die zwangsläufig entstehenden Konflikte, allerdings auf einer anderen Ebene. Im Prinzip geht Dresens Geschichte über das Fantasy-Genre hinaus und streift in beeindruckender Weise den Science-Fiction-Bereich.
Gerne hätte ich aber mehr über das Leben ohne Strom gelesen. Wie die Menschen sich tatsächlich in diesem Zustand wiederfinden und wieder finden, wäre eine sehr viel genauere Betrachtung wert gewesen. Diese nicht uninteressante Perspektive geht in der Handlungsdichte des Romans leider etwas verloren. Im Prinzip habe ich das Gleiche wie im Vorgänger "AVA und die Stadt des schwarzen Engels" zu bemerken, denn die Handlung entwickelt sich auch hier viel zu schnell ... und das Ende noch schneller. Die Charakterisierung der Haupt- und Nebendarsteller leidet darunter ebenso wie die Geschichte selbst. Eine gewaltige Saga rauscht an einem vorbei und etwas wehmütig schaut man ihr hinterher ...
Immerhin versteht es Andreas Dresen, aus seinen Ideen und Vorstellungen eine spannende Geschichte zu entwickeln. Und was man unbedingt positiv vermerken muss, ist die Tatsache, dass sich hier keine Handlungsstränge in einem unendlichen Seitendschungel verlieren oder auch nur ansatzweise unnatürlich in die Länge gezogen werden! 600-Seiten-Schmöker gibt es schon genug, und auf endlose Beschreibungen von literarischem Füllmaterial kann ich gerne verzichten. Insofern ist "Das Buch des Hüters" schlicht und einfach ein ebenso ehrlicher wie solider Fantasy-Roman (mit einer ordentlichen Portion Science-Fiction)!
Hierfür muss bzw. sollte man sich auf (höchstens) zwei Leseabende einstellen, denn wie gesagt: Einmal angefangen, ist es unmöglich, die Spuren von Pejo - dem mutigen Mann aus dem Norden - zu verlassen!
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