Philosophie

Morgens auf dem Klo - Teil VI

Kleider machen Leute?

Morgens auf dem Klo... verbringe ich deshalb so viel Zeit, weil ich die weltbewegenden Themen nirgendwo besser bearbeiten kann. Außerdem kann ich mich draußen in der großen weiten Welt kaum mehr blicken lassen, seit ein Kritiker mich als pseudointellektuellen Flachlyrik-Konservierer bezeichnet hat. Nü ja - ich habe derweil ganz andere Probleme...

Ich weiß nicht mehr, was ich anziehen soll! Jeden Tag das gleiche Theater. Irgendwie habe ich mich verzettelt. Einzig auf dem stillen Örtchen fühle ich mich wohl. Höschen (ohne Eingriff) in Feinripp - so ist die Welt für mich eigentlich in Ordnung. Mein Therapeut sieht das allerdings anders, denn als ich in diesem Outfit zur vorletzten Sitzung erschien, fuhr er mich sofort nach Hause...

Letztendlich sehe ich also keinen Weg zur echten Selbstverwirklichung und passe mich (mit ärztlicher Unterstützung) weiterhin an. Doch das ist schwierig: Für den Garten ziehe ich morgens immer die alten Outdoor-Sachen über (halbes Jahr nicht gewaschen - das spart eine Menge Geld). Wenn ich zur Bank oder zum Einkaufen in die Stadt gehe, ist der erste "Umzug" fällig. Danach wieder die schmutzigen Teile an und wieder raus auf den Acker. Kochen ist bald angesagt - natürlich im Standarddress (Oliv-Trekking-Hose, Batik-Longshirt dunkelgrün oder schwarz) + Schürze. (Abends: Jogging-Anzug 100% Polyacryl blau + Schürze - Mitternachtsimbiss: Nur Schürze). Schwierig wird es, wenn dazwischen amtliche Termine oder gar 'ne Beerdigung im Dorf angesagt sind. Doch ich habe jeweils das Passende parat...
Bei Freigängen der konzertanten Art gestaltet sich die Auswahl noch weitaus komplizierter. Denn es ist wohl ein Unterschied, ob ich 'ne Oper, Rock- bzw. Metal-Konzert, Söllner + Co. oder gar ein Alpenrock-Event besuche. Überall das Gleiche anziehen? Nee danke!
Mein Arzt meint, ich hätte einen Knall und die letzten 25 Jahre auf der Couch nix dazugelernt! Also DEM Mann traue ich zu, dass er IMMER das Gleiche anhat. Himmelblaues Polohemd, graue Bundfaltenhose und weiße Italo-Slippers...
Da gestalte ich mein Leben doch etwas "farbiger" und so ca. 36 versch. Outfits sind bestimmt nicht übertrieben! Und solange meine Lebensgefährtin nicht sagt "Schatz, zieh' Dir doch bitte was an", wenn ich in der Nacht aus der Dusche in Richtung Liegestatt husche, besteht für mich kein Grund zur Besorgnis!
Neuerdings passieren mir aber vermehrt peinliche Fehlklamottierungen! Beim letzten Metal-Event in der Rockfabrik zu Ludwigsburg hätten mir die Mädels fast mein 70er-Jahre-Röckchen zerlegt! Und bei der aktuellen Bestattung im Dorf verhedderte sich das Zugseil mit meinem Hüftkettchen, so dass ich um ein Haar mit in die Grube gefallen wäre! Zur letzten Therapie-Sitzung erschien ich in Tracht. Mein Therapeut warf mich hinaus!

Was soll ich jetzt tun? Polohemd, Bundfaltenhose, Slippers kaufen und eine eigene Praxis aufmachen?

 

Thomas Lawall - Mai 2003 (Überarbeitet im November 2004)
Fotos: Maria Diemer

 

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