CD-Review

Mein lieber Schwan

"Lohengrin" von Richard Wagner (1813-1883)



Geschmacklose Wagnerwitze soll es geben. Ich kenne nur einen, und der ist nicht mal schlecht:
Schwimmt eine Ente an einem sehr aufgeregten Frosch vorbei. Der springt rum wie blöd
und schreit: "Ich bin ein Schwan, ich bin ein Schwan!"
Es entwickelt sich folgender Dialog:
Die Ente: "Blödmann - du bist kein Schwan!"
Der Frosch (unbeeindruckt): Juhuu - ich bin ein Schwan, ich bin ein Schwan!"
Die Ente (energisch): Es reicht! Du bist kein Schwan!"
Der Frosch jubelt weiter: "Juhaaaa, ich bin ein Schwan, ich bin ein Schwan!"
Die Ente (entnervt): "Schnauze jetzt! D-u  b-i-s-t k-e-i-n  S-c-h-w-a-n!!!"
Da zieht der Frosch plötzlich seine Hose runter.
Die Ente (mit weit aufgerissenen Augen): "Mein lieber Schwan!"

Ich wähle diese vordergründig respektlos erscheinende Einleitung, um vielleicht den einen oder anderen Opernhasser etwas zu entkrampfen. Ich hoffe, es gelingt. Bei Richard Wagner erflehe ich Vergebung. Na gut - aber jetzt wird es ernst...

Die ehrwürdige Musik-Elite hält J.S.Bach für den genialsten aller Komponisten. Tja - die haben völlig recht! Dem kann wohl niemand etwas entgegensetzen. Außer mir. Doch halt! Ich würde mir nicht im Traum erlauben, Bachs Genie in Frage zu stellen, geschweige denn kritisieren zu wollen. Trotz aller Hochachtung muss ich den Meister jedoch auf Platz zwei (es ist wirklich ein sehr guter zweiter Platz!) verdammen. Tut mir leid!

Bach hat die Ästhetik der Töne für immer und ewig definiert. Doch Wagner setzte noch einiges drauf!
Damit keine Mißverständnisse auftauchen: Mit dem ganzen Helden-Gedöns hab' ich nichts am Hut. Gerne erinnere ich mich auch an ein Zitat von Alt-Kanzler Helmut Schmidt: "Die Texte Wagners sind grauenhaft - aber seine Musik ist wunderbar!" Ganz pauschal kann ich das unterschreiben, wenn auch nicht grundsätzlich. Vehement lehne ich dagegen den ganzen Politkram ab, den Wagner so umgibt. Das interessiert mich einen Scheißdreck! Wagner ist 1883 gestorben. Alles klar?

Bachs Musik ist Balsam für den Geist und hat eine universale Wirkung sowohl auf intellektuelle, als auch auf "einfachere" Gemüter. Selbst gehörlose Menschen, ja sogar Ungeborene, vermögen die beruhigende Wirkung seines Werkes über den Umweg körperlicher Vibrationen aufzunehmen. Bachs Kraft ist positiv (trotz "Oh Haupt voll Blut und Wunden"...) und kreativ. Fühlbar und doch intellektuell.

Anders bei Wagner. ER bedient die gesamte Palette. Geist und Gefühle. Und zwar alle!
Übersprudelnde Freude und abgrundtiefster Hass geben sich die Hand. In dieser Intensität hat das kein Komponist dieser Erde je wieder erreichen können. Und ich fürchte, das wird auch so bleiben.

Wagners Klanggebirge gehen den Weg vom tiefsten Tal bis weit über alle Gipfel hinaus und wieder zurück (Typisches Beispiel so ganz am Rande: "Mild und leise" - Isoldes Liebestod - die Schlussarie aus TRISTAN UND ISOLDE.)

Wie gesagt - mit den Texten haben so manche Leutchen Probleme. Ich auch. Bei Lohengrin allerdings nicht. Die Geschichte ist voll der Hammer!!! Die Story:

Wir schreiben die 1. Hälfte des 10. Jahrhunderts. König Heinrich I. besucht Antwerpen und ist stinksauer! Denn in Brabant gibt's mächtig Zoff. Gottfried, der Sohn des verstorbenen Herzogs, ist verschwunden und seine Schwester Elsa soll ihn gekillt haben. Das behauptet jedenfalls der naive Friedrich Graf von Telramund. Zu diesem Blödsinn hat ihn aber seine machtgeile Gemahlin Ortrud angestiftet, um die Karriere ihres Mannes damit etwas zu anzukurbeln.
Der König weiß nicht, was er machen soll und lässt deshalb ein Gottesgericht ausrufen. Der Graf stellt sich sofort, aber nun sucht man noch einen Streiter für Elsa. Nach zunächst vergeblichem Rufen taucht plötzlich ein weißer Schwan auf, der einen gar holden Ritter an Land schleppt.
Dieser behauptet frech, dass Elsa unschuldig sei. Jetzt ist Telramund noch saurer als der König - es kommt zum Kampf. Der fremde Ritter siegt, aber er schenkt dem Trottel das Leben. Alles scheint OK zu sein, doch keiner ahnt, dass Ortrud nun den Megabrass schiebt...

2. Akt. Telramund wird geächtet. Der Arme. Ist er doch nur ein Spielball Ortruds. Doch war er immer noch nicht dumm genug, denn nochmals läßt er sich von ihr aufhetzen. Dann holt Ortrud zu allem Überfluss zum entscheidenden Schlag aus. Sie knöpft sich Elsa vor. Mitleiderweckend wickelt sie die Reine ordentlich um alle Finger - und das hat Folgen. Der edle Ritter hat nämlich ein Problem. Er darf zwar Gutes tun, aber niemand darf ihn fragen, wie er heißt und woher er kommt. Dies weiß die intrigante Schlampe und weckt in Elsa nun die zerstörerische Macht des Zweifels...

(Und jetzt alle anschnallen und das Rauchen einstellen! Denn jetzt kommt Thomas Lawalls
A-B-S-O-L-U-T-E Lieblingsstelle!!!)
Denn bevor sie das tut, bittet sie in einer DIABOLISCHEN Arie die entweihten Germanengötter um Beistand. Oh mein Gott!!! Wie oft ich schon beide Fäuste geballt und geflennt habe, weiß ich nicht mehr! Bei diesem knüppelharten Schwall von abgrundtiefem Hass zerwühlt es mir sämtliche Sinne. Ich stehe am Strand. Heiß ist es. Der Himmel ist blau. Und unvermittelt ist der Himmel schwärzer noch als Schwarz und eine 150 Meter hohe Welle packt und schleudert mich gegen das felsige Ufer...
(Beim letzten Konzert in Mannheim dachte ich: Meine Güte, wenn sich jetzt Shagrath von Dimmu Borgir auf die Bühne verirrte, würde er sich vor Angst in die Hosen machen und laut nach seiner Mama schreien!)

3. Akt. Jetzt wird's krass! Doch zunächst wird geheiratet. Elsa schnappt sich den edlen Ritter, denn so eine Chance hat man ja schließlich nur einmal im Leben. Aber Ortruds verbale Attacken zeigen Wirkung und Elsa wagt es, den fremden Ritter nach seiner Herkunft und seinem Namen zu fragen! Ausgerechnet in der Hochzeitsnacht. Zu allem Elend platzt nun auch noch der Vollidiot von Telramund mitten in das sich anbahnende Unheil. Er glaubt, Elsas Streiter sei nun durch die verbotene Frage verwundbar. Wieder falsch!
Nichtsahnend greift er an und nun versteht der unbekannte Edle keinen Spaß mehr. Mit einem einzigen Schwerthieb tötet er den dreisten Dunkelgrafen.

Doch was bringt das noch?! Der schmucke Held muss sich nun offenbaren. Scheiße! Elsa heult Rotz und Wasser - doch es ist zu spät. Der Schwanenritter teilt ihr verbindlich mit, dass er vom heiligen Gral entsandt wurde und dass er LOHENGRIN heißt. Da er aber nur unerkannt den Schwachen und Bedrängten beistehen darf, muss er nun zurück! So haben es Papa Parzival samt Gral nun mal festgelegt. Und schon naht der Schwan...

Tja das war's. Beinahe jedenfalls. Lohengrin steigt ins Taxi, doch der Schwan versinkt. Es erscheint, von der bösen Ortrud einst verzaubert, der neue Herzog von Brabant. Gottfried is back! Ein Trost - wenn auch ein schwacher.
Von einer weißen Taube geführt, verschwindet Lohengrins Bootchen im Nebel. Elsas Glück ist nun dahin. Doch nicht nur das. Ihr Leben auch!

Ach, Es hätte doch so schön werden können...


Story hin, Story her. Zwei Arien bilden für mich den Mittelpunkt und gleichzeitig das größte musikalische Ereignis der gesamten Menschheitsgeschichte:

1.: Ortruds Rachegelüste, die sich in einem furiosen Hilferuf an die dunkle Seite der Macht entlädt:

"Entweihte Götter! Helft jetzt meiner Rache...
... Segnet mir Trug und Heuchelei..."

Ich habe das schon tausendmal gehört, aber bei jedem Hördurchgang "freue" ich mich erneut auf den Gipfel und den bösartigen Höhenflug der Arie am Schluss:

 "...dass glücklich meine Rache sei!"!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

2. Meine zweite Lieblings-Arie wird ohne jede Aggression vorgetragen. Sie ist entrückt und verklärt, jedoch nicht minder dramatisch und ergreifend. Lohengrin offenbart seinen Namen und seine Herkunft in ultimativ traurigem und aussichtslosem Getön und ebensolchen Worten:

"In fernem Land, unnahbar euren Schritten,
liegt eine Burg, die Montsalvat genannt,
ein lichter Tempel stehet dort inmitten...

Es ist nicht zum Aushalten! Immer und immer wieder! NIE wird es etwas geben, was mich mehr berühren und beeindrucken kann.

Verdi hat in "Aida" die Noten für seine dramatischen Höhepunkte mit der Schippe aus dem Orchestergraben geschaufelt.

Wagner braucht dazu mehrere Sattelschlepper!!!

Aber er bringt es ebenso fertig, eine einzelne Note, sanft wie eine Feder, durch den Raum tänzeln zu lassen - so geschehen im Orchestervorspiel (vor dem 1. Akt): Nichts scheint diese vollkommene Harmonie je stören zu können. Doch dieser Frieden ist ein entsetzliches Trugbild. Denn schon kündigt sich mit leichtem Grollen großes Unheil an. Und mit ihm ein seltsames Unbehagen, ja sogar Angst und Panik. Die unheilvollen und höchst beunruhigenden Wallungen multiplizieren sich plötzlich mit sich selbst! Es scheint eine unbekannte, starke Macht den Raum immer mehr zu erfüllen. Man möchte vor Glück und panischer Angst laut schreien.
Das Getöse steigert sich immer mehr und schließlich braust ein überdimensionaler Sattelzug über die Bühne. Mit meterhohen Breitreifen pflügt er sich durch die Zuschauerreihen. Er reißt alles Gute mit sich fort und verschwindet.

Dolby-Surround und Digitaleffekte braucht es hier nicht. Das Orchester übertönt alles. Wagner läßt es krachen. Im engen Orchestergraben tobt ein kontrolliertes Erdbeben.

Man klammert sich mit beiden Händen an den Stuhllehnen fest und erholt sich von dieser ersten Attacke. Doch es bleibt die Gewißheit, dass dies nicht gut ausgehen kann...

Nach knapp 10 Minuten geht der Vorhang auf: "Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant...". Durchatmen ist angesagt. Aber es kommt alles noch viel schlimmer...

Mit holden 17 Jahren war ich zum ersten Mal dabei. Eigentlich mehr oder weniger versehentlich. Wie im Delirium verarbeitete ich noch mein erstes YES-Konzert in Frankfurt. ("Tales From Topographic Oceans"). Mein Besuch im Staatstheater Wiesbaden war das Produkt einer Laune. Purer Zufall! Mit meiner zerschlissenen BW-Tarnjacke versteckte ich mich dann auch brav im 3. Rang. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Oper mein Leben für immer verändern würde. Nichts war mehr wie vorher.

Auf dem Heimweg sah ich in eine Baumkrone. Eine Taube flatterte auf. Ich folge ihr...

... bis heute.

"Weh"!


Thomas Lawall - Januar 2002 (Überarbeitet im November 2004)
 

 

 

Nachwort: Liebhabern empfehle ich eine historische Aufnahme des Metropolitan Opera Orchestra aus dem Jahre 1940 (Dirigent: Erich Leinsdorf), mit einer sehr beeindruckenden Kerstin Thorborg als Ortrud. Auch ich selbst schwelge gerne in älteren Aufzeichnungen. Besondere Erwähnung verdient die unglaubliche Leistung von Christa Ludwig , ebenfalls als Ortrud, in einer Aufnahme des Vienna Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Rudolf Kempe aus dem Jahr 1964.

Bildnachweise:
Nationaltheater Mannheim, Probenfoto von Hans Jörg Michel (1998) und
Archiv der Mailänder Scala (1981)

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