CD-Review

PAATOS "Timeloss" 2002 (Reissue 2004)

"Melancholic Post Rock"...


... oder einfach Avantgarde, würde ich sagen. Ja also das Fazit gleich zu Beginn: Eine der interessantesten Scheiben, die ich je gehört habe! Sofort macht der erste Track "Sensor" klar, dass es sich hier um ein außergewöhnliches Projekt handelt. (Kein Wunder, dass Paatos vom 15.11.04 - 04.12.04 mit THE GATHERING auf Tour gehen durften!)      

Selten so eine aufregende Stimme gehört. Fast kindlich glatt, aber eiskalt und mit einem erregenden Timbre erfriert Petronella in der eigenen Melancholie. Faszinierend sind die Bezüge zu Björk, welche hier ganz zweifellos als Vorbild agieren dürfte.

Selten so eine aufregende Band gehört. Jazzige Jamsession meets verstaubtes Art-Rock-Mellotron und "fusioniert" Avantgarde mit einer (gesunden) Portion nordischer Folklore. Wie so ein Durcheinander funktioniert, weiß nur Paatos...

Minimalste Perfektion zeigt in "Hypnotique" eine Dia-Show (s.a. Bonus-Track-Video) von Gedanken- und Erinnerungsfetzen. Scheinbar banale Einzelbilder werden auf der Basis einer musikalischen Psychoanalyse beleuchtet... und erzeugen in meinem bescheidenen Pantoffelkino einen eigenen Film:
An der Bar des Lebens -gleich rechts auf der Bühne- spielt, verloren im verrauchten Halbdunkel, eine merkwürdige Combo, die jazzige Perlen mit progressiven Spurenelementen auf Papierflugzeugen ins elektrisierte Publikum schweben lässt. Furchtbar traurig - ob's nun mit gestrichener oder geflöteteter Begleitung kommt. Und die Zerbrechlichkeit der Sängerin nimmt der ergriffenen Zuhörerschaft fast den Mut zu atmen...!   
 
Aua - nun wird's langsam Mode, Keys aus den 70ern einzubauen, aber wenn es sich dabei um mellotronige Genesis-Fragmente handelt, dann ist das (nicht nur) für "Tea" schon die halbe Miete!!! Es regnet in Strömen Musik vom Himmel... und ich sehe förmlich den Gabriel auf der Bühne rumhopsen! Nichts geht mehr - nur noch Zuhören, während Petronella im vierten Stück abgründige Tiefen öffnet...    

..."They Are Beautiful" - ich bin längst im Nebel - stellt Fragen, die weh tun... und wieder ist es der "reduzierte" Sound dieser begnadeten Avant-Garde, der einen fast in den Wahnsinn treibt.

Ähnlichkeiten mit den merkwürdigen Klangwelten von Terje Rypdal sind sicherlich reiner Zufall. Dennoch vernehme ich am fernen Horizont unscharfe Melodiebausteine aus "The Hunt" bzw. "Whenever I Seem To Be Far Away (1974)...

"Ouits" summiert die Qualen mit "How could you do this to me... at first you promised me the sky..."
- nun treibend, bis sich die Trauer in meterbreitem Drum 'n' Bass entlädt und schließlich in freejazzigem Gelände ein kontrolliertes Chaos zelebriert! Sauber!!!
Nein, das ist nichts von der Stange. "Quits" sind über 12 Minuten Kunst, die vom Ex- bzw. Impressionismus auf den weiten Weg zur Abstraktion aufbricht, um sich dort in sich selbst zu verlieren. Vollwertkost für Kopflastige!

Selten so aufregende Strukturen vernommen! Das sind kleine bunte Blümchen, die Schatten - so groß wie Trauerweiden - werfen!! Nie gehört!!!

Fazit: Zutiefst beeindruckende Reise in ganz alltägliche Abgründe! Grandiose Simplizität!!!


Thomas Lawall - Dezember 2004
 

 

Tracklist:

1. Sensor 
2. Hypnotique 
3. Téa
4. They Are Beautiful 
5. Quits
6. Hypnotique - Videoclip
   (Bonus Track Inside/Out Release)

Line-up:

Petronella Nettermalm: Gesang, Cello
Huxflux Nettermalm: Schlagzeug
Stefan Dimle: Bass
Johan Wallén: Keyboards
Reine Fiske: Gitarre

Gastmusiker:
David Wilczewski: Flöte
Jonas Wall: Saxophon
Micke Sörensen: Trompete
Per Kristensson: Posaune

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