Live

SHOCKWAVE RIDERS und OVO
Live im Club W71 (Weikersheim) am 03.11.07


Irgendwie witzig, 1 1/2 Stunden zu fahren, um dann am Ort des Geschehens eine weitere Stunde umherzugondeln, bis das Etablissement endlich gefunden wurde. Kein Wunder, denn eine Baustelle legte die Zufahrten zum Club W71 lahm, so dass die Bands nicht unähnliche Probleme hatten. Die SHOCKWAVE RIDERS und OVO riefen denn auch fast zeitgleich im Club an und baten um Navigationshilfe. Ich versuchte es (entnervt) bei einem Einheimischen, welcher mir grob die Richtung wies. Suchen und Autofahren sind allerdings zwei Dinge, die ich gleichzeitig nicht wirklich auf die Rolle kriege. Deshalb ließ ich den Reiskocher einfach stehen und nahm die Beine in die Hand. Am Ortsausgang sah man die Hand vor Augen nicht, aber in etwa 1000 Meter Entfernung entdeckte ich ein schwaches Lichtlein ... und ein dumpfes Grollen wand sich drohend mir entgegen, was den Weg mir schließlich wies.

In Weikersheim mag man es ebenso klein wie übersichtlich. Die "Halle" protzt nicht gerade mit Größe - dafür aber umsomehr mit inneren Werten, und einer ganz besonderen Idee ...

Einen Teil des Soundchecks bekam ich noch mit. Während die SHOCKWAVE RIDERS noch fleißig Stimmakrobatik und Keyboardwände justierten, wurden (im gleichen Raum) OVO mit Spätzle, Linsen, Salat und Jägermeister verwöhnt. Eine ebenso drollige, wie unkonventionelle Konstellation. Das Ganze erinnerte mich an eine Art Groß- bzw. Zirkusfamilie, die sich zum Nachtmahl im gemütlichen Allzweck-Zelt einfindet, während lärmende Sprösslinge erst so nach und nach zur Ruhe kommen, in der Manege noch irgend etwas geprobt wird, diverse Leute Dinge holen oder bringen, verschiedene Handwerker an Beleuchtung und Stromverteilung herumwerkeln und an der Bar die kleinen und großen Probleme dieser Welt gelöst werden.

Ich dachte noch, hoffentlich geht das mit den Linsen gut, nachdem Bruno (OVO) ganz schön in den Seilen hing. Aber bis zum Gig sollte ja noch die eine oder andere Stunde vergehen. Es war sogar noch locker Zeit, sich eine Fotoausstellung anzusehen, die sich - wie soll es auch anders sein - ebenfalls in diesem Raum befand. Die oben zitierte Idee bzw. das Motto der Ausstellung lautet: "Feste feiern in Weikersheim". Aus privaten Beständen wurden, nach anfänglichem Misstrauen der eingeborenen Bevölkerung, eine ganze Reihe recht origineller Aufnahmen zusammengetragen, die einen nicht uninteressanten Einblick in die "gute alte Zeit" vermitteln. Doch dies scheint mir nicht die einzigste Funktion dieser Sammlung zu sein, denn hier werden eindeutig Brücken geschlagen ...

Der Zeitpunkt, wo das Licht endlich ausgeht, war gekommen, als die Anzahl der Zuschauer schlagartig in den zweistelligen Bereich rutschte. Gegen 22 Uhr eröffneten niemand geringeres als die SHOCKWAVE RIDERS den illustren Abend. Und sie hatten eine Menge Songs im Gepäck. Sozusagen die Vollbedienung für jeden Traumsurfer:      

"Don't let it go", "Standing", "Voices", "Beckoning", "Journey on", "Letters", "Darkness", "Cowardice", "Time", "Moons Rise", "The Calling", "Which Side" und "Dragon".   
SCHMACHT! Wie groß aber der Kontrast zu OVO sein würde, konnte man noch gar nicht ermessen, denn zunächst einmal wurde man von Burns Gitarre und Skyes mystischen Keyboardklängen verzaubert und regelrecht davongetragen. Jenseits von Gut und Böse verwandeln die SHOCKWAVE RIDERS die Realität in ein geheimnisvolles Kaleidoskop von Abgründen, die mit bunter Blümchentapete beklebt sind.

Auch "live" haben sie mir mit ihren realen Irritationen und ihrer herzerfrischenden Ambivalenz den Kopf verdreht. Ich habe nichts anderes erwartet, und doch war mir nicht klar, mit welcher Zärtlichkeit sie leiseste Passagen hauchen würden, um unvermittelt und mit aller Härte die scheinbare Harmonie wieder ordentlich durcheinander zu wirbeln. Man wiegt sich sicher und doch lauert überall diese seltsame Bedrohung. Ich nenne das ab jetzt "wohlige Verunsicherung". Kaum scheint die Sonne - drohen auch schon wieder diese Schatten ... ! Oder umgekehrt.
Leider nur eine knappe Stunde. Nach kurzer Umbaupause driftete das Event ins bizarre Reich der gnadenlosen Selbstdarsteller. OVO aus Italien machten schnell klar, um was es hier ging. Nämlich um alles oder gar nichts. Eine Playlist kann ich mir in diesem Fall sparen, denn erstens sind mir die Stücke relativ unbekannt, und zweitens ist das völlig wurscht. Man versteht eh nix. Ich glaub auch nicht, dass es diese Sprache wirklich gibt ...

Egal. Eingangs wütete der begnadete Trommelwirbler Bruno Dorella auf seinen zwei bis drei Fellen rum, und Sirene Stefania Pedretti sprang - hopps - erst einmal nicht (nur) auf die Bühne, sondern von ihr runter. Glöckchen bimmelnd eilte sie leichtfüßig durchs Publikum und dann hinaus, um das rauchende Restpublikum zum Wiedereintritt in die Konzertatmosphäre zu bewegen. Das war durchaus erfolgreich, denn gemeinsam kehrte man zurück. Wäre auch schade gewesen, denn was diese Leutchen verpasst hätten, spottet jeder Beschreibung.

Das krasse Duo lieferte einen gnadenlosen Soundtrack der inneren Zerrissenheit, und erging sich in diffuser Wut. Es faszinierte aber nicht nur die Wucht der Darstellung, sondern auch die Präzision derselben. Kein Hauch von der Spur einer Melodie. Scheinbar ohne Plan trommelt und schreit sich das Paar an allen Konventionen vorbei. Keine dieser kranken Ergüsse mag einen Sinn ergeben, doch dieses unglaubliche Chaos ist kontrolliert. Eine Atombombenexplosion auf kleinstem Raum. Ohne Verletzte. Gewisse Nebenwirkungen sind aber nicht ausgeschlossen ...

Diese Psychiatrie-Oper schlägt jedem Fass den Boden aus. Aber sie bringt auch einen fundamental-deftigen Groove auf die Matte. Andererseits hat sie sogar etwas Beruhigendes, denn OVO errichtet keine unüberwindlichen Distanzen zum Publikum, sondern reißt diese ein. Und zwar vollständig. Hier wird nicht nur Rattenfängerei (s.o.) betrieben, sondern das Bühnengeschehen mitunter in die nicht schlecht staunende Zuhörerschaft verlegt. Bruno schleppt entweder den Bass bis fast zum Tresen ganz hinten, oder nimmt sich ein Trommelchen samt Stühlchen zur Hand, um mitten im Publikum seine Diffusitäten darzubieten. Mal steigt er aber auch gerne auf eine Box und randaliert mit seinen Stöckchen oben im Beleuchtungsgestänge rum, um gleich danach wieder den Fußboden mit einem Fell zu verwechseln. Krass.

Bass- und Sangesfurie Stefania kreischt nicht nur wie eine Kreuzung aus Kreissäge und YOKO ONO, sondern spielt so ganz nebenbei auch noch auf den dicken Saiten. Na ja, sie schlägt den Bass eher, und zwar so, wie ein volltrunkener Kampfpilot seinen verdammten Jet fliegen würde. Ziemlich tief. Sehr tief sogar. Das Laufwerk längst abgebrochen, schleift die Maschine am Boden. In Schallgeschwindigkeit, versteht sich.
Doch sie kann auch ganz andere Saiten aufziehen, denn es gibt ja noch weitaus dickere. Dreadlocks zum Beispiel ... ! Man nehme eine der meterlangen Strähnen in die linke Hand und streiche mit einem Bogen darüber. Tja also, das sieht nicht nur recht originell aus, sondern klingt auch recht ordentlich. So ähnlich muss es sich anhören, wenn ein Flugzeugträger auf eine Sandbank aufläuft und in Zeitlupe auseinanderbricht. Donnerwetter nochmal!
Stefania schreit sich die dunklen Seiten und das Drama unserer Existenz von der Seele und hält uns gleichzeitig einen Spiegel vor die Nase. Doch kaum beginnt man zu verstehen, erkennt Bezüge zum eigenen Chaos und ist auf dem Weg, sich mit der Band zu synchronisieren - ist das bizarre Traumtheater auch schon wieder vorbei. Die Masken fallen und plötzlich sind sie wieder da, die wahren Gesichter ...

Eigentlich hätte das mit diesen beiden Bands immer so weiter gehen können. Doch Realität und Alltag schreien (viel schlimmer). Dieser Abend ist leider vorbei, aber es wird sehr viel von ihm bleiben. Ich habe Musiker gesehen und erlebt, die - jeder für sich - sehr mutige und absolut eigenständige Wege gehen, sich einen Scheißdreck um ausgelatschte Pfade scheren ... und einen Gastgeber, der diese Bezeichnung wirklich noch verdient. Sie alle hinterlassen Spuren, die nicht vergehen.

 

Thomas Lawall - November 2007
Fotos: © T. Lawall

www.shockwaveriders.de/
www.barlamuerte.com/bands/ovo/
www.clubw71.de/

 

 

SHOCKWAVE RIDERS - vergrößern/enlarge

 

 

 

 

 

 

 

 

OVO - vergrößern/enlarge

 

 

 

 

 

© Tom und Marys Webzine

 

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