Interview mit MEMORIAL DAY - Mai 2006
Nachdem das zweite Album schon neun Jahre alt ist, bei mir/uns aber immer noch bzw. wieder im Dauerbetrieb läuft, und heuer schon die vierte Veröffentlichung ansteht, sehen wir mehr als einen Anlass sowie dringenden Handlungsbedarf, dem gemeinen Volk nun endlich die zahllosen Fragen, die sich im Lauf der Jahre angehäuft haben, zu beantworten. Deshalb habe ich mir erlaubt, diese dem Subwoofer der Band zu stellen. Jürgen Werse treibt sein diesbezügliches Unwesen übrigens auch bei den Schlachtmeistern von NECROTIC FLESH.
Thomas: Bei der Suche nach Bandinfos im Internet bin ich fast eingeschlafen. Weltweit gähnt die Leere, und ich kann es nicht fassen! MEMORIAL DAY haben Musikgeschichte geschrieben... und (fast) keiner scheint's mitbekommen zu haben! Wie das?
Jürgen: Tja, gute Frage! Das ist für mich selbst auch ein kleines Rätsel, vor allem wenn ich bedenke, wie sich das im Gegensatz dazu bei NECROTIC FLESH verselbstständigt hat. Aber ich denke, es liegt hauptsächlich an unserer eigenen Faulheit und dem Unvermögen, sich selbst entsprechend zu vermarkten. Musikgeschichte haben wir aber sicherlich keine geschrieben, höchstens als am wenigsten beachtete Band der Welt...
Thomas: Es wird Zeit, dass wir die Welt aufklären, was den Auftrag von MEMORIAL DAY angeht. Jawoll... ich sehe es tatsächlich als Auftrag! Was war die Idee, die hinter der Bandgründung stand/steht?
Jürgen: Auftrag? Keine Ahnung! Außer unserem Schlagzeuger Willi ist auch kein einziges Gründungsmitglied mehr dabei, das diese Frage beantworten könnte. Nein, ich denke, es war gar keine besondere Idee hinter der Bandgründung von MEMORIAL DAY gestanden. Alle waren einfach Fans von verschiedenen (v.a. Death-) Metal-Spielarten und wollten, wie so viele andere auch, selbst Metal spielen. Mehr steckte, denke ich, eigentlich nicht dahinter! Ich hoffe, Du bist nicht enttäuscht!
Thomas: 1995 kam mit "Embark Hades" die erste CD heraus. Anno Dezibel ging ganz schön die Post ab. Das Brett ist echt amtlich! Ich würde dieses mal als ambitionierten Death-Metal mit einem gewissen Hang zur Integration einer Spur einer Ahnung von progressiven Spurenelementen bezeichnen. Fett!
Jürgen: Oh, danke! Auf die Embark bin ich persönlich (als immer-noch-Death-Metaller) besonders stolz, es war ja schließlich das allererste Album, auf dem ich mitgewirkt habe. Und wir haben damals keine Kosten und Mühen gescheut, ein richtig fettes Death-Metal-Album hinzubekommen, was uns, glaube ich, schon ganz gut gelungen ist. Die leicht melodischen Einflüsse, die Du wahrscheinlich meinst, rühren hauptsächlich daher, dass unser damaliger Gitarrist und Hauptsongschreiber Markus begeisterter Amorphis-Fan war. Zumindest beim Song "Rebirth" dürfte man das deutlich merken und wir sind deshalb auch oft mit dem damaligen Stil der Finnen verglichen worden.
Thomas: Nachdem die Arbeiten zur ersten Scheibe beendet waren, stieg Sänger und Gitarrist Bernd Sorcan aus. Stimme futsch oder keine Böcke mehr?
Jürgen: Eher zweiteres, nur die ganz profanen "persönlichen Differenzen" zwischen ihm und unserem anderen Gitarristen Markus. Gitarristen sind ja meistens eher Exzentriker, und zwei stark ausgeprägte davon in einer Band, das kann nicht auf Dauer gut gehen!
Thomas: Da waren's nur noch drei, aber mit Tom, Chris und Andy kamen gleich drei neue Bandmitglieder dazu, sodass die Band trotz des Verlustes zum Sextett mutierte! Klar, dass ein neuer Sänger her musste, aber weshalb die Aufrüstung mit zweiter Gitarre und Keyboard?
Jürgen: Andy und das Keyboard kamen eigentlich schon lange vor Bernds Ausstieg dazu, das war noch während der Zeit, als die Embark gerade erschien. Wir hatten ja im Studio bereits dezente Synthesizer-Klänge zur atmosphärischen Untermalung mancher Stellen eingesetzt, und fanden, wir sollten das auch live umsetzen. Als wir Andy kennen lernten, fragten wir ihn kurzerhand und er hatte sofort Interesse. Als Bernd dann ca. ein Jahr später ausstieg, haben wir ja nicht nur unseren Sänger, sondern damit gleichzeitig auch unseren zweiten Gitarristen verloren, und deshalb war es ja nur die logische Konsequenz, dass wir beides ersetzen mussten. Unsere Songs waren mit den vielen Solies einfach schon zu stark auf zwei Gitarren ausgelegt. Hinzu kam, dass Tom und Chris zu dieser Zeit schon lange sehr gut befreundet waren, und der eine sowieso nicht ohne den anderen eingestiegen wäre. Es passte also perfekt!
Thomas: 1997 erschien die zweite CD. "Retired from the World" wurde mit 50% neuem Line-up eingespielt. Der Sound änderte sich aber zu 100%! Was war passiert? Welches Anliegen hattet ihr nun?
Jürgen: Die neuen Bandmitglieder haben natürlich alle auch neue Einflüsse mit in den Sound von MEMORIAL DAY eingebracht. Der melodischere Ansatz in unserem Death-Metal-Stil hat sich auf der Embark ja bereits abgezeichnet, wir haben das dann eigentlich nur konsequent weiterverfolgt. Wenn man in diesen Entwicklungsprozess selbst involviert ist, fällt einem die Veränderung gar nicht so stark auf, aber wenn man als Außenstehender nur das Endprodukt hört, kommt es einem manchmal wie eine 100%ige Wandlung vor. Das geht wohl vielen Bands so. Der größte Unterschied zwischen Embark und Retired ist aber sicherlich der Gesang. Dieser starke Wandel kam daher, dass sich Tom nach meinem Eindruck mit den Death-Metal-Vocals nie so ganz wohl gefühlt hat und das nach einiger Zeit nicht mehr machen wollte (und aus gesundheitlichen Gründen auch nicht mehr machen konnte!).
Thomas: "Retired from the World" ist eines der beeindruckendsten Alben, die ich jemals gehört habe. Emotionaler Vorschlaghammer! Der Unterschied zum Debut war beachtlich. Die Wege, die damals am Horizont noch unklar im Nebel erschienen, wurden nun beschritten. Musikalisch war das so eine Art Progressiv-Death, der nicht unbedingt in eine Schublade passte und wegen seiner Eigenständigkeit klare Vorbilder nur erahnen ließ. Dennoch erinnern mich gewisse schnelle Passagen entfernt an die alten CREMATORY ("Just Dreaming" 1994, "Transmigration" 1993), und langsame Passagen noch entfernter an ANATHEMA (Phase ab "The Silent Enigma" 1995). Wo habt ihr euch damals selbst eingeordnet? Welche Bands haben euch inspiriert und beeinflusst?
Tom: Da kann ich mal für Chris und mich sprechen. Wir waren damals (und sind es auch heute noch) wahre Anathema-Maniacs. Wie Du auch bemerkt hast, ist wohl etwas von deren Vibe in unsere Musik eingeflossen. Durch das Keyboard als neues Instrument eröffneten sich zudem natürlich noch völlig neue Möglichkeiten. Wir hatten zu der Zeit einfach genau DAS Feeling für DIESE Scheibe. Es ist dann einfach entstanden.
Jürgen: Dem habe ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Anathema waren zu dieser Zeit mit Sicherheit unser Haupteinfluss, Crematory hat aber meines Wissens nach von uns keiner gehört.
Thomas: Der enorme Abwechslungsreichtum der Platte ist einzigartig. Das Album ist a-b-s-o-l-u-t zeitlos und wird es auch bleiben. Lediglich die gehaltvollen Texte können den Gesamteindruck noch weiter steigern. Tom hat sehr viel über sich selbst preisgegeben...
Tom: Zu der Zeit war ich in Sachen Musik in einer sehr emotionalen Phase. Die Melodien, die Musik, die wir machten (die Texte hab ich immer nach den fast fertigen Instrumentals geschrieben), rührten sehr viel in mir auf und so wurden die Lyrics auch teilweise eher persönlich und auch ein wenig melancholisch.
Thomas: Im Januar 1999 habt ihr euch aufgelöst. Warum dieses?
Jürgen: Schwierige Frage, da müsste man eigentlich weit ausholen, aber ich versuch mich kurz zu fassen: zum einen war Markus da schon lange nicht mehr dabei (die üblichen "persönlichen Differenzen", s.o.), zum anderen hatten wir aufgrund unserer sehr unterschiedlichen Arbeitszeiten kaum noch Gelegenheit, gemeinsame Probetermine zu finden, so dass oft ewig lange Phasen entstanden, in denen überhaupt nichts mehr vorwärts ging (ein Problem, dass wir übrigens auch heute wieder haben). Der große Frust machte sich breit, und Tom zog als erster die Konsequenzen und stieg aus. Da der Rest der Band sich nicht wieder auf die lange und mühevolle Suche nach einem neuen Sänger machen wollte, mit dem man wieder ganz von vorne anfangen muss, lösten wir MEMORIAL DAY einfach auf.
Thomas: Wie kam es dann zur Wiedervereinigung und zur erneuten Flurbereinigung? Nur noch eine Gitarre und keine Tasten mehr. Wie gehabt also.
Jürgen: Nach einer "kreativen" Pause von etwa eineinhalb bis zwei Jahren (in der ein Teil von uns sich jedoch auch anderen musikalischen Projekten widmete), haben wir uns eines Tages relativ spontan zu einem Kurzgig in abgespeckter Besetzung und mit einem Gastgitarristen wieder zusammengefunden. Es war eigentlich nur als einmaliger Gag gedacht, aber es hat uns allen so viel Spaß gemacht, dass wir beschlossen haben, weiterzumachen. Tom wollte aber einen kompletten Neuanfang, neue Musik mit Rap-Einflüssen, wieder mehr gerade heraus, ohne Schnörkel und Keyboard und unter einem neuen Bandnamen. Der gefiel mir aber nicht und ich konnte ihn schließlich davon überzeugen, dass wir immer noch MEMORIAL DAY sind und unter diesem (meiner Meinung nach nicht an eine bestimmte Musikrichtung gebundenen) Namen weitermachen sollten. Der Kompromiss war allerdings ein neuer, neutralerer Schriftzug und ein CD-Layout, das wir ganz in Toms kreative Hände gaben.
Thomas: 2003 habt ihr das ebenso dritte wie unbetitelte Album "Memorial Day" herausgebracht. Die wieder in Eigenregie veröffentlichte Scheibe fängt dort an, wo ihr mit "Embark Hades" aufgehört habt. Es sollte wieder mehr "nach vorne" gehen. Fortan sollten also wieder dickere Bretter gesägt werden. Rückbesinnung auf alte Tugenden und/oder eine Ohrfeige für das verspielte zweite Album? Rücksturz zur Erde?
Jürgen: Ja und Nein! Wie schon gesagt, wir wollten wieder direkter und kompromissloser werden, das entsprach einfach unserem damaligen Feeling. Ich sehe es aber dennoch eher als konsequente Weiterentwicklung zur Retired, da die dritte Scheibe meiner Ansicht nach überhaupt nicht nach der Embark klingt.
Thomas: Weshalb kein Titel für das dritte Album? Nichts als der Bandname war auf dem Cover. Ihr wolltet ein Zeichen setzen...?!
Tom: So ist es! Es war ein Neuanfang. Wir wollten sagen und zeigen: Wir sind wieder da! Wir wollten wieder puren Memorial-Day-Sound machen - mit all seinen Facetten. Memorial Day pur also. Deswegen haben wir auf das Cover nur Memorial Day geschrieben und es auch nur so genannt.
Jürgen: ... und wir wollten auch mal ein Album machen, das keinen Titel trägt! Die Zeit dafür schien uns genau richtig!
Thomas: Hatte Barde Tom nicht mal Probleme mit den Stimmbändern? Hat sich das inzwischen gegeben?
Tom: Ja, das ist viele Jahre her und vorüber. Ich war damals in zwei Bands unterwegs. Bei beiden wurde die Stimme sehr belastet. Bei MEMORIAL DAY der Death-Metal-Gesang, bei der anderen Band eine Mischung aus Sprechgesang und Thrash/ Hardcore Shouts. Das wurde dann doch etwas zu viel. Es war auch mit der Grund, die zweite CD gesanglich abzuändern, obwohl das nicht der einzige Grund war ...letztendlich.
Thomas: Das vierte Album steht an. Gibt es wieder Veränderungen im Line-up und was kannst du uns über Titel und Musik verraten? Arbeitet ihr inzwischen wieder mit einem Label zusammen?
Tom: Veränderungen am Line-up sind nicht geplant (!). Einen Titel gibt es noch nicht. Geplant ist zunächst mal ein kürzerer Output, also eine Mini-CD. Der Longplayer soll aber dann nicht lange auf sich warten lassen. Es sieht momentan so aus, als würde sich die Musik stärker am letzten Album orientieren. Also keine Rückkehr zu "Retired from the world" oder an Death Metal-Zeiten. Sicher wird es wieder eine Mischung aus allen unseren Vorlieben geben, wobei aber Jürgen wahrscheinlich wieder etwas kurz kommen wird. Mit einem Label sind wir in Kontakt getreten - ob das was wird, ist noch völlig unklar.
Jürgen: Das mit dem Zu-kurz-kommen sehe ich eigentlich gar nicht so. Ich bin zwar wahrscheinlich der letzte in der Band, der sich noch als 100%iger Death-Metal-Fan bezeichnen würde, aber ich kann diese Leidenschaft ja mit meiner anderen Band NECROTIC FLESH zu vollster Zufriedenheit ausleben. Ich spiele einfach immer noch gern bei MEMORIAL DAY, weil wir uns alle mit diesem, mittlerweile ja schon sehr konstantem Line-Up aus Tom am Mikro, Chris an der Klampfe, Willi hinter seiner Schießbude und mir am Tieftöner, einfach saugut verstehen und bei den Proben immer sehr viel Spaß haben. Ob mit Label oder ohne, wir machen weiter...
Thomas: Sind Leibhaftigkeiten auf den Bühnen dieser Welt geplant, und wann ist die verdammte Homepage endlich fertig?
Jürgen: Geplant direkt nicht, aber wir spielen natürlich überall gern, wo wir erwünscht sind. Die verd*&%!§te Homepage wird wahrscheinlich nie fertig, denn ich habe mittlerweile eingesehen, dass mir mein Job einfach nicht die Zeit lässt, mich darum zu kümmern. Außerdem habe ich die technischen Möglichkeiten nicht mehr wie damals an der Uni. Und da sich auch keiner meiner Bandkollegen mit dem Web-Seiten basteln auskennt, werden wir wohl auch weiterhin im wwweltweiten Nirwana verloren gehen. Es sei denn ... es fühlt sich irgendjemand berufen!
Thomas: Na dann mal gepflegten Dank und alles Gute für die Zukunft. Man hört sich!
Jürgen: Ich habe zu danken, allen Lesern, die sich bis hierher durchgekämpft haben, und Dir Thomas für Deine Geduld mit dem Interview und die langjährige Treue, ich glaube Du und Mary seid unsere letzten verbliebenen Fans!
© TOM UND MARYS WEBZINE - Mai 2006
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