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HUBERT VON GOISERN "INEXIL" (1998)
Musikethnologie
Warum sind es immer die Friedfertigen, die unsägliches Leid ertragen müssen? Beispiel Tibet, von China besetzt. Doch das ist so weit (weit) weg (...) und wer weiß, ob das alles stimmt, was man so hört und liest... Einer wollte es genau wissen - Hubert von Goisern - und er hatte die gleichen Fragen. 1996 bereiste er das geschundene Land mit der Exiltibeterin Tseten Zöchbauer, und er sollte erfahren, dass alles noch viel schlimmer ist...
Ein "anderer" Hubert begann nach der Rückkehr die Arbeit an INEXIL mit Künstlern von TIPA (Tibetan Institute of Performing Arts), um seiner Idee der "sanften Modernisierung tibetischer Musik" Gestalt zu verleihen. Und jetzt muß ich aufpassen, ob ich das ganze Durcheinander richtig verstanden habe. Na ja - egal - wenn ich mich recht erinnere, hatte Hubert eine lustige Idee - nämlich die Aufnahmen für die CD in Indien zu machen. Klappte aber nicht bzw. nur teilweise. Stromausfälle und lärmende Affen (Jane Goodall lässt grüßen...!) auf dem Dach des provisorischen Studios machten konzentriertes Arbeiten unmöglich. Aufgenommen wurde also von 1996-1998 in Dharamsala (Indien) und in Salzburg (Österreich).
Ach ja, vor der Reise nach Tibet wurden Tseten und Hubert übrigens von Seiner Heiligkeit dem 14. Dalai Lama (im nordindischen Dharamsala) persönlich empfangen (der seinerseits eine Einladung nach Bad Ischl annahm!). Hubert stellte ihm das Konzept seiner Idee vor und der Dalai Lama segnete es mit den Worten ab: "Alles geht! Mach es, wenn du diese Idee hast. Vielleicht trägt es dazu bei, dass der Westen erfährt, dass es eine tibetische Kultur gibt."
So! Und jetzt die Breitseite!! Die Musik!!! Von Hubert bin ich ja einiges gewohnt und alle CD's stehen längst im Regal und setzen (mehr oder weniger) schon leicht Staub an. Ausgerechnet INEXIL erreichte mich als letzte! Nun gibt es ja Platten, die nicht so ohne weiteres in Worte gekleidet werden können. Damals versuchte ich "Fön" dieses anzutun - "INEXIL" brachte alles durcheinander, und so liegen beide Texte bis heute brach. Für INEXIL ist allerdings jetzt die Zeit gekommen - zumal einige maßgebliche Menschen z. Zt. wieder ernsthaft erwägen, Waffenlieferungen nach China zu tätigen...!!!
Und außerdem habe ich am 10.03.2005 geheiratet, dem 46. Jahrestag des tibetanischen Aufstandes. Noch ein Grund mehr, jetzt endlich die Griffel zu schwingen. Erstaunlich übrigens die Tatsache, dass ich im www keine Flut von Reviews finde, sondern eher das Gegenteil! Und das sieben Jahre nach Erscheinen der CD! Was ist los auf dem blauen Planeten??? -
Gleich das erste Stück "YERKETAMU" hat mich in eine andere Welt versetzt... und das ist keine gute Welt! Ein uralter Glaube pilgert sich durch eine zerstörte Vergangenheit...
"PANCHEN LAMA" erzählt die Geschichte der Entführung der zweithöchsten religiösen Autorität Tibets durch die chinesische Regierung, dem "jüngsten Gefangenen der Welt" Gedhun Chökyi Nyima.
"AKUPEMA" ist im Prinzip eine musikalischer Lausbubenstreich! Denn wie kann jemand auf die "wahnwitzige" Idee kommen, Tibet und Jamaika in einen musikalischen Einklang zu bringen? Na wer wohl...?! Tibetanische Volksmusik und Reggae... diese Synthese ist ebenso einmalig wie außergewöhnlich! Da geht eigentlich gar nix zusammen und doch hört es sich an, als ob diese zwei grundlegend verschiedenen Kulturen schon ewig zusammen musiziert hätten!!!
"KHAM-LU" sprengt alle Grenzen und frisst sich mit einem nun wirklich abgrundtief ergreifenden Schreigesang in mein Herz und hält mich wohl für immer fest! (Einer der Gründe, warum auch dieses Album endlich in meine All-Time Faves aufgenommen wird!) Ich selbst habe keine Heimat, doch ich bin mir ganz sicher, dass kein Lied der Welt die Sehnsucht nach dieser eindringlicher zu formulieren imstande ist! Einer der besten "Songs", die diese Erde jemals hören durfte!!!
In "SUGKINYIMA" fusionieren schließlich tibetanische Oper mit Techno-Geschrammel. Vordergründig eigentlich eine recht uncoole Idee, aber diese mag schlicht pragmatische Beweggründe haben: Unsere Ohren öffnen sich zwangsweise! Und DAS ist dann wieder mehr als "cool". Ein (schräger) Geniestreich!
"DHERNCHEN PHAMA" lehrt uns, Abschied anders bzw. neu zu formulieren und zu definieren. Man höre und staune! Ein mehr als würdiges Ende für "INEXIL"!? Nein, denn das ist eine von den Platten, die nie wirklich enden! Sie klingen bis in die Ewigkeit, und die endet bekanntlich niemals...
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Mit spartanischer Bescheidenheit arrangiert Hubert von Goisern die teils uralten tibetanischen Volkslieder. Zaghafte Basslinien, sanfte Jazz-Trompete, zurückhaltende Keyboards, wohldosierte Percussion, zärtliche Streicherarrangements, ja selbst die Zieharmonika - müde der Alpinkatzen-Revolution - reduzieren sich auf das Wesentliche. Hubert und seine Musiker stehen im Hintergrund in selbstverordneten Nebenrollen und verneigen sich somit vor der tibetanischen Kultur. Und in diesen "Winzigkeiten" zeigen sie wahre Größe, denn nur große Geister wissen, wann sie angesichts eines größeren Zusammenhanges in den Hintergrund zu treten haben. Ich verneige mich...
“Während der gemeinsamen Arbeit verlor ich nicht selten die Hoffnung auf ein Gelingen. Immer wieder tauchten massive Verständigungsprobleme auf, und nicht nur einmal stießen wir an die Grenzen unserer Vorstellungskraft. Dass wir trotz alledem einen gemeinsamen Weg gefunden haben, ist auf die gegenseitige Bewunderung, den Respekt und das Interesse für den, die und das Andere zurückzuführen und erfüllt uns angesichts der großen Kluft zwischen unseren Kulturen alle mit Stolz. Möge diese Musik Mut zur Begegnung machen.” (Hubert von Goisern - Salzburg, 27. April 1998)
Warum trifft es immer die Friedfertigen? Auch dieses (wunderbare) Album gibt darauf keine Antworten, aber zeigt uns die ferne Realität eines Volkes, das man dem Untergang geweiht hat. Weshalb auch immer...
Fazit: Vielleicht das wichtigste Album von Hubert von Goisern! Es darf nicht in Vergessenheit geraten... genau wie dieses Land und diese Menschen, die eigentlich gar keine Traurigkeit kennen...!
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Thomas Lawall - April 2005
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Tracklist:
01. YERKETAMU 02. PANCHEN LAMA 03. AKUPEMA 04. LOSAR 05. KHAM-LU 06. DREAM 07. NYELU 08. GENDAK-RE 09. SUGKINYIMA 10. 10. März 1959 11. DAWA 12. DHERNCHEN PHAMA
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Line-Up:
Pasang Lhamo, Sherab Wangmo: Gesang Jamjang Chönden: Gesang, Flöte, Tibetische Laute Sonam Püntsok: Gesang, Gitarre, Tibetische Laute Toninho Porta: Bass, Gitarre Stefan Engel: Keyboards, Sequenzer-Programme Bernd Bechtlof: Schlagzeug, Perkussion Wolfgang Spannberger: Bass, Sampler-Programme Courtney Jones, Roland Punzenberger: Schlagzeug Heli Punzenberger: Gitarre, Violaun Irene Troy, Sylvia Iberer, Barbera Klebel, Iris Juda, Anna Zimmerebner: Geigen Gertrud Weinmeister: Bratsche Karen Starke: Cello Erich Hehenberger: Kontrabass Hubert von Goisern: Stimme, Gitarren, Trompete, Zieharmonika, Flöte, Synthesizer, Streicherarrangements
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