CD-Review

HUBERT VON GOISERN "FÖN" (2000)

Alpen-Jazz...


... könnte man meinen, denn bereits mit dem ersten Titel "drawig" betrat Hubert von Goisern neue Wege. Wie so oft...! 1994 beendete er die legendäre Ära der Alpinkatzen. Bis dato veröffentlichte er drei Alben und erinnerte 1995 mit der (abgefahrenen!) DoCD "Wia die Zeit vergeht" letztmals an die alpine Musiklawine. Im gleichen Jahr erschien der Soundtrack zu Schlafes Bruder und 1998 die weltmusikalischen Pralinenschachteln "Gombe" und "Inexil".

"FÖN" sollte das achte Album sein, und auf dem Cover würde nicht Hubert von Goisern stehen, wenn es nicht wieder faustdicke Überraschungen gegeben hätte. Dem geneigten Hiatamadl-Fan verpasst er gleich zu Beginn eine gepflegte Watschn, denn -oh Schreck- das fängt ja wie eine Jazz-Platte an! Grauslig...

Aber nicht für mich, und um das Fazit vorweg zu nehmen, kann ich sicherlich behaupten, dass es sich bei der "Fön" wohl um das vielschichtigste Werk des ehem. Alpenrebells handelt. Der Umsturz damals war gnadenlos und eine wahre Gaudi. Hubert von Goisern hat mit den Katzen Musikgeschichte geschrieben, aber er hat den Höhenflug im richtigen Moment beendet. Sechs Jahre sollte es dauern, bis er wieder etwas (ur)eigenes machen sollte/wollte/konnte.

Erstmals verarbeitete er außerordentlich unterschiedliche Einflüsse aus Blues ("fön"), Soul ("kålt", "mercedes benz"), Jazz ("drawig"), Calypso ("da dåsige") und Reggae ("katholisch", "ång' låcht") und verwob diese mit Heimatlichem in einer einerseits sehr stilvollen Zurückhaltung sowie einer bisher nicht dagewesenen Vielfalt und Präzision. Hier wird zum Zuhören eingeladen, ja regelrecht gezwungen, denn es ist völlig unmöglich, dieses Werk nur so nebenbei zu hören!

Die genannte Auswahl hinkt allerdings gewaltig, denn die verschiedenen Stilanleihen geben sich die Klinke in die Hand. Sie treffen sich, um ein Stück des Weges miteinander zu gehen und verlieren sich sogleich wieder. So begegnen sich z.B. HipHop und Jazz in "drawig", Blues und Reggae in "ång' låcht" oder Soul und Reggae in der originellen Interpretation von Janis Joplins "mercedes benz". Kein Stück ist wie das andere und das ist kein Zufall. Der Anspruch, etwas vollkommen neues zu machen, ist Hubert von Goisern gelungen... und zudem ein genialer "Kopierschutz", denn niemand kann ihm das nachmachen...!

Deftige Rockelemente, welche dereinst tragende Hauptrollen spielten, sucht man vergebens. Statt dessen kehrte sich Hubert von Goisern nach innen, und er fand auch hier Berge, Täler und diese endlose Weite, die jeder kennt, wenn die Schwermut im Anmarsch ist... und es für jede Gegenwehr bereits zu spät ist...

Der Goiserer schreibt Geschichten, die uns das Leben singt. Er sammelt Eindrücke aus Lebenserfahrung und -gefühl, und überlässt uns diese zur freien Interpretation. Ist es nun das ironisch-unverschämte "katholisch", das melancholische "da diab", der politische Seitenhieb in "kålt" oder der wehmütige Rückblick in "weh toan tuat's auf jeden fall". Besonders hervorheben möchte ich das "Schlaflied" "spåt". Die Jodelphantasie auf dem gewaltigen Keyboard-Teppich bewegt zutiefst und lässt mich alles tun, bloß nicht schlafen! Die Geige setzt noch eins drauf und man möchte einfach abheben, wegfliegen und nie mehr zurückkommen...!!

Das ruhige und "entspannungsgeladene" Kunst-Werk "FÖN" (HvG: Der Titel war mein Beitrag zum Chaos der neuen Rechtschreibung!") endet mit "fia di", und erinnert in seiner melancholischen Leichtigkeit an Liedermacher wie Hannes Wader...

... doch mit derlei Schubladen nun zu beginnen, wäre müßig. Natürlich gäbe es auch (sehr deutliche) Ähnlichkeiten mit STING ("ång' låcht") zu bemerken, sowie eine ganze Menge weiterer hochkarätiger Vorbilder. Das würde aber erstens den Rahmen sprengen und zweitens keinen Sinn machen, denn letztlich gibt es niemanden, der es dem Hubert gleichmachen könnte (siehe Kopierschutz...!)

Eine "nüchterne" Betrachtung noch zum Schluss: Die glasklare und außerordentlich fein akzentuierte Produktion beeindruckt in jeder Beziehung. Hier stimmt die kleinste Kleinigkeit, jedes Wort und jeder Ton ist an seinem Platz. Sehr viel Zeit muss das gekostet haben. Man kann sie hören, diese Zeit...

Noch'n Fazit: Alle Däumchen (immer noch) hoch für Huberts anspruchsvollste (beste?) Platte! Volksmusik im Dialog mit weltlicher Rhythmik. Prädikat: Besonders wertvoll!

 

Thomas Lawall - Juni 2005

 

Booklet (Teil)

 

Tracklist:

01. drawig
02. da dåsige
03. katholisch
04. da diab
05. ång'låcht
06. spåt
07. fön
08. kålt
09. die stråss'n
10. weh toan tuat's auf jeden fall
11. mercedes benz
12. fia di

Line-Up:

arnulf lindner: bass
bernd bechtloff: schlagwerk
burkhardt frauenlob: tasteninstrumente
helmut punzenberger: gitarren
irene troi: violine und viola
monika drasch: violine und stimme
robert friedl: saxofon
ingrid moser: stimme
aia zischg: stimme
hubert von goisern: gesang, pfeifen, gitarren,
diatonische zieharmonika, flügelhorn, althorn,
mundharmonika

 

 

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