MY SILENT WAKE - Lost in Memories, Lost in Grief (2024)
Epic Doom-Death-Gothic-Metal
Wenn man plötzlich wieder aufwacht, nur noch schreien, weinen … ach was flennen, himmelhoch jauchzend wie ein Verrückter in Richtung Horizont rennen, und endlich wieder über den musikalischen Tellerrand schaut, weil sich da wieder etwas Brauchbares tut.
Wenn man nach jahrelangem Schwimmen gegen den Strom, weit weg von all dem Radio- und Mainstreammüll, weg von dem Plastiksound der Produktionen für musikalische Sozialhilfeempfänger, auf der Flucht vor leichtbekleideten Popsternchen und dem immer gleichen Trallala, plötzlich wieder Land sieht.
Wenn man wieder einmal seinen Ohren nicht traut, eine Flut von Erinnerungen hereinbricht, alle Ufer übertritt, und die Ruinen vergangener Tage wieder ins Bewusstsein rücken, und ein wohliges Schauern in jenem lang vermissten Wechselbad der Gefühle sich zurückmeldet, dann hat man es zweifellos mit einer neuen Platte von MY SILENT WAKE zu tun.
Wenn sich Träume plötzlich wieder in klaren Bildern manifestieren, und das Durchkauen verdammter Oldies aus ach so glorifizierten Jugendtagen schon lange nicht mehr begeistern kann, fernab der x-mal wiedergekäuten, auf Massentauglichkeit glattproduzierten "Hits" der sog. Superstars, dann ist wieder Zeit für das Wesentliche.
Irgendwas ist und klingt neu an "Lost in Memories, Lost in Grief", und überrascht und irritiert zunächst, so als ob die Truppe in allen Richtungen über sich und die eigenen Grenzen hinaus expandiert wäre. Man wandelt teilweise in einem etwas gefälligeren Gewand, wobei hier und da kräftig runderneuert, reduziert und gleichzeitig auf- und angebaut wurde, ohne sich jedoch irgendwelchen flachgehobelten Trends anzubiedern. Wie gehabt also, nur erfrischend anders.
So eine Art musikalischen Urknall erleben wir hier, während Ian Arkleys, wie immer jenseitig klingendes, Gitarrenspiel uns immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. Simon Bibbys Gesang, der die Kunst der musikalischen Gegenstimme auf ein neues Niveau katapultiert, verdient ebenfalls besondere Erwähnung.
Die ebenso klare wie majestätisch-erhabene Eleganz seines Vortrags bildet einen stimmgewaltigen Kontrapunkt zu Ian Arkleys raubeiniger Intonation, was uns ganz besonders im siebten Track "No time" um die Ohren fliegt. Das ist, mit Verlaub, völlig genial! Ebenso übrigens das gerüttelt Maß an kultigem Orgelsound, wofür sich wiederum der Herr Bibby verantwortlich zeigt. Gareth Arlett und Addam Westlake sorgen am Schlagwerk und Bass für die gewohnte Vehemenz des Fundaments.
Neue Wege, Abzweigungen sowie bereits bekannte und theoretisch angedachte Schleichwege sind nun herausgearbeitet. Ian Arkleys Gitarre klingt aber immer noch nach Getön, welches wir üblicherweise in diesem Universum nicht zu hören bekommen. So mag es hinter dem großen Tor klingen, nach jenem Tunnel mit dem grellen Licht am Ende. Ian Arkleys Gitarrensound klingt irgendwo zwischen den Welten.
Dass es sich bei der Textwahl ebenfalls nicht um leichtverdauliche Metaphern handelt, die sich angezuckert wie in einem musikalischen Federballspiel der Belanglosigkeiten aus den Lautsprecherboxen quälen, versteht sich von selbst. Horizonterweiterung ist in jeder Hinsicht angesagt, auch wenn einmal mehr klar wird, dass das mit unserer Existenz wohl keineswegs ein gutes Ende nehmen wird.
Der Tiefgang dieser Ausnahmekapelle ist und bleibt gnadenlos. Beschönigt wird hier gar nix. Warum auch? Das Unvermeidliche hat einen großen Nachteil, denn es ist nun mal unvermeidlich! Was bleibt, ist das trotzige, lautstarke Feiern in einem monumentalen Trauerzug und tiefstes Bedauern, dass einfach zu wenig Zeit ist.
Wenn das existenzialistische Drama aber derart grandios inszeniert wird, entsteht eine merkwürdige Ambivalenz, die kaum noch zu beschreiben ist. Aber was soll's, denn schließlich hat Lukrez schon im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung festgestellt, dass da nix mehr kommt. Soll sich also keiner beschweren, oder angeblich nichts davon gewusst haben.
Egal. Auf jeden Fall geht die Welt auf dem zwölften Longplayer der Truppe (mal wieder) ziemlich vornehm zugrunde. Schön, dass es kein luftpostpapierdünnes Gejammer ist, sondern die Inszenierung eines ganz großen Abgangs.
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