THE TANGENT "A Place In The Queue" (2006)
Art-Prog
Ob wir alle in einer "Warteschlange" stehen, ist sicherlich eine Frage der Interpretation. Sind wir Gefangene unserer persönlichen Neigungen, Nichtschwimmer im flachen Mainstream selbsterfundener Trends, Marionetten unserer Religionen und wehrlose Opfer der Werbeindustrie? Hmmm... keine Ahnung... schon möglich, aber derart schwere Kost überlassen wir doch lieber unserer geistigen Elite. Philosophen füllen ganze Bücherregale mit ihren Interpretationsorgien.
THE TANGENT bedienen sich ebenfalls dieser Thematik und bastelten daraus ein weiteres Konzeptalbum. Nun ist "A Place In The Queue" aber keineswegs ein ganz schwerer Brocken. Ganz im Gegenteil. Im dritten Album zelebrieren THE TANGENT zwar wieder einen herzerfrischenden Art-Prog, der dieses Mal aber, fern aller Klischees, die Mottenkiste der Schachtelsatz-Akrobaten ganz schön aufmischt. Sprach ich bei "ii :the world that we drive through" (2004) von einem "Prog-Fest" und einem "intelligenten Ohrenschmaus", muss ich mir für die aktuelle Platte ein paar wesentliche Steigerungen ausdenken. Doch wie soll das nur gehen...?
Roine Stolt hat aus Zeitmagel die Band verlassen, und wie es scheint, beflügelt der neue Mann an der Gitarre die Spielfreude der Band nicht ganz unerheblich. Krister Jonsson erreicht mühelos das Niveau eines Steve Howe (YES), was besonders in Track 4 "GPS Culture" deutlich wird. Hier werden ganz bewusst Querverweise in Richtung YES gesetzt, was nicht zuletzt durch die eindeutigen Keyboardwände und vor allem durch mehrstimmigen Gesang unterstrichen wird. Im Falle der Gesangspassagen würde ich sogar von einer Art Parodie sprechen, denn dieser erinnert selbstverständlich an die legendären YESSONGS (1972) und insbesondere an "I've Seen All Good People" (Your Move, All Good People). Eine wunderschöne Hommage! Doch der neue Gitarrist weiß nicht nur sich selbst in Szene zu setzen, sondern der Mann kann auch zuhören! Dadurch entsteht eine enorme Handlungsfreiheit für die Kollegen und somit erfährt die Band einen (weiteren) gewaltigen Kreativschub! Das Schlagwerk wurde ebenfalls neu besetzt. Jaime Salazar fällt mit seiner ausdrucksstarken Rythmusarbeit besonders in Track 5 "Follow Your Leaders" und im grandiosen Finale auf... Theo Travis packt neben Flöte und Saxophon diesmal auch die Klarinette aus. Er fühlt sich bekanntlich in melodischen Regionen ebenso wohl wie in zerklüfteten Jazzformationen und spätestens in "A Place In The Queue" treibt er es mit den Kabinettstückchen seiner Kunst auf die Spitze.
Die Bandbreite der Kapelle scheint sich so langsam ins Unermessliche zu steigern. Sind es nun die 20- bis 25-minütigen Schachtelsatzorgien "In Earnest" und "A Place In The Queue" oder die Reduktion auf das Wesentliche in "DIY Surgery", wo in gut zwei Minuten ein musikalisches Wunder in stark konzentrierte Zitate verwandelt wird.
Artrock ("In Earnest") jagt Jazzrock ("Lost in London") oder umgekehrt ("DIY Surgery", GPS Culture). Die geniale Legierung taucht gar kurz in den seichten Gewässern der Popmusik (The Sun In My Eyes") auf, mischt dort das Genre aber ordentlich auf.
Insgesamt fallen, im Vergleich zum vorangegangenen Album, eine stärkere Keyboard-Präsenz (aber keine erdrückende Dominanz) und eine sehr viel deutlichere Jazz-Ausrichtung auf. Keyboard und Blasinstrumente führen einen Dialog, der spannender nicht sein könnte!
THE TANGENT schaufeln uns einen musikalischen Leckerbissen nach dem anderen in die verzückten Öhrchen. Fast 80 Minuten beste Unterhaltung auf einem Niveau, von dem andere Bands nur träumen können.
Fazit: Das erste Highlight des Jahres. Schwer zu toppen. Federleichter Art-Prog mit enormem Tiefgang!
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Tracklist:
1. In Earnest 2. Lost In London 3. DIY Surgery 4. GPS Culture 5. Follow Your Leaders 6. The Sun In My Eyes 7. A Place In The Queue
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Line-Up:
Andy Tillison: Organ, Piano, Moog Synthesisers, Guitars & Principal Voice Sam Baine: Piano, Synthesiser & Voice Jonas Reingold: Bass Guitar Theo Travis: Saxophones, Flutes, Clarinet & Voice Guy Manning: Acoustic Guitars, Mandolin & Voice Jaime Salazar: Drums Krister Jonsson: Electric Guitars (except 4)
Dan Watts: Electric Guitars on 4
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