CD-Review

SYLVAN "Presets" (2007)

Art-Rock


... wobei sich die Hamburger Kapelle bekanntlich auch im klassischen Prog zu Hause fühlt. Auch die Neo-Prog- oder Progressiv-Metal-Schublade mag dem potentiellen Fan die Orientierung erleichtern. "Presets" relativiert die verschiedenen Einflüsse der Band und lässt den "kraftvollen und vielschichtigen Sound mit emotionaler Tiefe" etwas
leichtfüßiger erscheinen.

Der erste Durchgang lähmte meine Schreibzentrale und zwang mich, einfach nur zuzuhören. Derart genötigt lenkte mich nichts ab, und so konnte die Faszinination eines solchen Werkes ungehindert meine Öhrchen erobern. Das ist die erste Scheiblette einer Band, die mich nicht selten an (die neueren) ANATHEMA denken lässt, ohne dabei im entferntesten so zu klingen wie diese! Das muss wohl am Gesang liegen, denn ohne jeden Zweifel scheint mir Vincent Cavanagh ein Vorbild und/oder Inspiration von Sänger Marco Glühmann zu sein. Obwohl die Intensität seiner Intonation in "Signed away" zunächst an Peter Gabriel erinnert (ohne wiederum so zu klingen wie er), im weiteren Verlauf aber mehr und mehr an den Sänger von ANATHEMA. Auch "Former life" oder das großartige "Transitory times" lassen vermuten, dass Werke wie "Eternity" (1996), "Alternative 4" (1998) oder "Judgement" (1999) eine nicht unwesentliche Quelle der Inspiration für Marco sein mögen. Ich rede hier aber keineswegs von einer Kopie, denn die absolute Eigenständigkeit der Sangesleistungen steht über allen theoretischen Erwägungen.

Auf dem sechsten Album scheinen sich SYLVAN dem Mainstream nähern zu wollen, was letztlich nur eines bedeuten kann ... aber warum soll man mit guter Musik kein Geld verdienen dürfen? Aber hallo! Man kann gerne ein größeres Publikum ins Visier nehmen, wenn man etwas zu bieten hat. Und genau dies ist hier der Fall, denn SYLVAN verbinden Eingängigkeit mit einem sehr hohen Anspruch. Dabei verraten sie sich und ihre Ideen aber nicht, sondern übersetzen lediglich komplexe Strukturen in allgemeinverständliche Arrangements.
SYLVAN spielen sich von einem emotionalen Höhepunkt zum anderen. Dabei biedern sie sich nicht an, kleistern die Tapete nicht mit Kitsch ins Gelände, sondern legen einen zärtlichen Spagat auf die Matte. Diese Musik ist keine unerreichbare, überirdische Klangwelt, sondern Atmosphäre zum anfassen! Allerdings sollten SYLVAN nicht versuchen, es jedem recht zu machen, wie beispielsweise in dem etwas gefälligen "Hypnotized". Hier sind die weiten Ausläufer der musikalischen Tiefebene, die sich bis zum Mainstream-Delta ersteckt, bereits in greifbare Nähe gerückt. Dieses Gebiet sollten SYLVAN zum Sperrgebiet erklären.

Und genau dies wird mit dem grandiosen "Cold suns" und spätestens mit dem überragenden Titeltrack "Presets" unterstrichen, der alle vorangegangenen Songs auch noch zu summieren weiß. Die ersten zwei Minuten lassen sich zunächst nichts anmerken, doch der ansteigende Spannungsbogen dramatisiert die Stimmung und entwickelt ein episches Thema, das reif und stabil genug für die Ewigkeit ist. Monumental und zerbrechlich erinnern SYLVAN im letzten Song an die Erfinder des Art-Rocks YES (ohne freilich ... ihr wisst schon).
Das zwölfminütige Kunstwerk bricht kurz aus dem (Album-)Zusammenhang, indem es ab der fünften Minute ebenso überraschend wie munter auf die progressive Überholspur schwenkt. Fast schon bedauerlich, dass man alsbald das Bremspedal wieder betätigt und zum Hauptthema zurückkehrt. Aber so ist das Leben ... und dieser Song vielleicht ein Ausblick auf die künftige Marschrichtung hinter einem fernen Horizont. Wie dem auch sei, "Presets" ist eine Wundertüte und einer von den Songs, die niemals enden mögen ...

Fazit: Großartige Melodien, auf Luftpostpapier geschrieben. Bescheidene Großtaten.

 

Bewertung:10/12
("Presets": 12/12)

Thomas Lawall - Januar 2007

 

 

Tracklist:

01. One step beyond
02. Signed away
03. For one day
04. Former life
05. On the verge of tears
06. When the leaves fall down
07. Words from another day
08. Cold suns
09. Hypnotized
10. Heal
11. Transitory times
12. Presets

Line-up:

Marco Glühmann: Vocals
Matthias Harder: Drums
Sebastian Harnack: Bass
Kay Söhl: Guitars
Volker Söhl: Keyboards

 

 

 

 

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