CD-Review

KARL SEGLEM  "new north" (2004)

New Age Folkjazz


Wie nordische Folklore und Jazz harmonieren können, führt uns der norwegische Tenorsaxophonist Karl Seglem vor. Und er tut das mit einer schier unglaublichen Intensität - wobei er sich auf den Einsatz einfachster Mittel bzw. Strukturen "beschränkt"...

Ich fühle mich an Eberhard Webers "Chorus" (1985), Egberto Gismontis "Magico" (1980) erinnert, oder an solche Glanzpunkte, die Jan Garbarek mit "Folk Songs" (1981) geschaffen hat. Diese mehr oder weniger entfernten Seelen-Verwandtschaften geben mir zunächst Orientierungspunkte und Halt, bevor ich rettungslos in das archaische Klanguniversum von "New North" stürze.

Bald verblasst die Show der Erinnerungen und verschwindet - ja sie wird regelrecht von neuen Eindrücken erschlagen. Karl Seglem führt uns durch die schöne Kühle Norwegens und zaubert die zerklüftete Landschaft direkt vor unsere Augen. Gleichzeitig radiert er jeden auch noch so kleinen Hauch von Einfluss aus dem Heimatkontinent des Jazz einfach weg! New North definiert damit (mindestens) eine ebenso neue wie bescheidene Richtung des Jazz.

Nun sind Keyboards und "Electronics" ja nicht gerade die zitierten einfachen Mittel, aber wenn diese zum Einsatz kommen, haben sie sich stets dem Gesamtzusammenhang zu unterwerfen. Das Gleiche gilt für die "Hauptperson", die sich alles andere als "garbaresk" verhält, sondern sich ebenfalls dem selbstgeschaffenen Klangkosmos unterordnet.

"new north" ist ein Sampler, was auf den ersten Blick gar nicht auffallen mag. Erst bei genauerem Studium des Booklets wird klar, dass es sich hier wohl um einen handverlesenen Querschnitt der bisherigen Veröffentlichungen des Künstlers handelt, die jedoch bisher nur in Norwegen erhältlich waren.

"Ich versuche seit zwölf Jahren meine eigene Sprache auf Grund der norwegischen Vergangenheit zu definieren" erklärt Karl Seglem.
Und dies beweist er mit der vorliegenden Auswahl seines bisherigen Schaffens. Besondere Erwähnung verdient der Einsatz der Hardanger Fiddle, welche zwar mit der Geige verschwägert, jedoch mit neun Saiten ausgestattet ist. Dieses eigentümliche Klangwunder wird in der Provinz Telemark, im Osten Norwegens, gebaut. Es kommt schon eine fast beunruhigende Endzeitstimmung auf, wenn sich dieses seltsame Getön erhebt und sich mit Saxophon, Bass, Schlagzeug und Keyboard zu einer introvertierten Sinfonie vereinigt: "Ritual" schickt uns Bilder vom Ende der Welt und aller Zeit...!

Großartige Musiker treten permanent auf die Bremse. Das ist keine so jazztypische Aufzählung von solistischen Eitelkeiten, sondern alle Protagonisten scheinen jeweils dem anderen großzügig die Vorfahrt zu gestatten. Virtuosen, die ganz kleine Brötchen backen. Und somit ist "new north" weitaus mehr, als ein einzigartiges Dokument großartiger Bescheidenheit!

Nicht unerwähnt sollte noch die Booklet-Gestaltung sowie das erlesene Cover (mit Schieber) bleiben, welche die gleiche Schönheit und Ruhe ausstrahlen, wie das Werk selbst.

Fazit: Introvertierte Pracht. Das leiseste Gesamtkunstwerk, dass ich jemals bestaunen durfte!


Thomas Lawall - Februar 2005
 

 

Tracklist:

01. Port  
02. Månefjord - Moon Fjord Remix
03. Råme To - Frame Two 
04. Med Jesus Vil Eg Fara 
05. Ritual
06. Sullan Lullan 
07. Eit Barn Som Finst - A Child There Is 
08. Månefar - Moon Traces 
09. Ny Avskjed - New Goodbye
10. Song For To - Song For Two
11. Edge

Line-up:

Karl Seglem: tenor sax, goat horns
Morten Sæle: guitars
Reidar Skår: keyboards, electronics, sampling, synth. programming
Synnøve S. Bjørset: hardanger fiddle
Håkon Høgemo: hardanger fiddle
Christian Wallumrød: fender rhodes, piano
Berit Opheim: vocals
Odd Nordstoga: vocals
Frederik Wallumrød: drums
Ingar Zach: drums, percussion, bells
Terje Isungset: drums, percussion, wood
Stein Inge Brækhus: drums, percussion
Nils Petter Molvær: trumpet
Jarle Bernhoft: bass
Bjørn Kjellemyr: double bass
Ole Amund Gjersvik: double bass
Audun Erlien: bajo sexto, double bass
Kåre Thomsen: guitars

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